18 - Marly Behrens

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»Hallo? Ach, du bist's, komm doch rein.«

Die Tür wurde aufgestoßen und eine schmale Frau kam in mein Blickfeld. Die Frontseite des hellen Steinhauses war in Sonnenlicht getaucht, doch der Eingang wurde von einem großen Busch umgeben und der Schattenwurf ließ die Haut der Dame noch dunkler aussehen als sonst. Gerade so konnte ich die roten Augen erkennen und das Glänzen auf ihren Wangen, die von einem grünen Tuch eingerahmt wurden. Sie hatte geweint und vergeblich versucht, die Tränen wegzuwischen.

Betreten sah ich zu Boden, einen Strauß weißer Rosen in der Hand. Das Wissen über die Ereignisse der letzten Tage konnte man deutlich in dem Rücken der Frau spüren und auf ihren Schultern sehen. An dem Querbalken der Überdachung klimperte ein Windspiel.

»Bitte.« Mit einer Handbewegung bedeutete sie mir, einzutreten.

Ich folgte dem geraden Flur ins Wohnzimmer, ich kannte den Weg. Wie oft hatte ich schon mein Ebenbild in dem großen Spiegel an der Wand gesehen, so oft schon die fremdartigen Bilder gemustert und immer wieder über den einzigartigen Kamin gestaunt, der auch im Winter nicht benutzt wurde, sondern immer mit bunten Tüchern behangen war.

Mit dem Blumenstrauß unter der Nase sah ich mich um und erkannte auf den ersten Blick, was hier vor sich ging. Die zahlreichen Stoffe, Tücher und Dekorationen waren in braune Kisten eingepackt worden und vollends aus der sonst so offenen und hellen Wohnung verschwunden. Nun kam der riesige schwarze Fleck und das Loch in der Wand neben einem großen Holzschrank zum Vorschein und die fehlenden Tücher gewährten freie Sicht auf diesen.

Ich erinnerte mich noch genau daran, wie ich Marly besucht hatte. Wir waren noch jünger gewesen, sie hatte ein Feuerzeug genommen und aus Versehen die Tapete angesteckt. Dabei wollte sie nur die Kerzen ihrem Geburtstagskuchen anzünden. Marly, wegen ihr war ich hier.

»Wie geht es dir?«

Rebecca Behrens setzte sich auf das Sofa, ich folgte ihrem Beispiel und nahm auf einem der bequemen Sessel gegenüber Platz. Den Strauß Rosen legte ich zwischen uns auf den Tisch, dieser war mehr oder weniger die einzige Dekoration, die im Haus noch übrig geblieben war. Die Atmosphäre im Raum war erdrückend.

»Hm... na ja, ganz gut, denke ich. Und Ihnen?« Ich sprach sie normalerweise mit Vornamen an, aber siezte sie. Eine Gewohnheit von mir, die in diesem Fall mehr als gut zu passen schien. Die Frau vor mir auf der Couch sah gebrochen und fremd aus, als sei alle Lebensfreude aus ihrem Innersten gewichen. Wer konnte es ihr verübeln?

»Ach...« Sie seufzte. »Es ist schön, dass du vorbeigekommen bist. Wie du siehst, sind wir gerade beim Packen.« Jede einzelne Silbe klang langgezogen, als befürchtete sie jeden Moment das Schlimmste, obwohl dies schon längst eingetroffen war.

»Sie ziehen um?«

»Ja, wieder zurück nach Mexiko, in die alte Heimat.«

Ein Nicken und meine Augen wanderten zu Boden. »So schnell schon?«

Sie und ihr Mann, Martin Behrens, waren vor mehr als achtzehn Jahren nach Deutschland gekommen, haben hier geheiratet, gearbeitet und eine Tochter bekommen. Jetzt, nach so vielen Jahren wollten sie zurück. Verständlich, jetzt hatten sie niemanden mehr, der sie hier hielt. Marly war tot.

»Euer Lehrer Herr Sanders war auch schon hier.«

Augenblicklich spürte ich das Blut aus meinem Gesicht weichen. Hatte ich richtig verstanden? Es brauchte einen Moment, bis ich mich besinnen und den Mund zu Worten formen konnte. »Er war hier? Wann?«

»Als du gekommen bist war er gerade zehn Minuten weg. Wirklich ein sehr zuvorkommender und höflicher Mann. Hat ein paar nette Worte gesagt und Blumen geschenkt. Allerdings wirkte er etwas angespannt, aber wer wäre das nicht.«

TxS // A Rose; A Heart; A KnifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt