3 - Sechs Flaschen Alkohol

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Wenn ich diese Tür öffne, bin ich tot. Das waren meine Gedanken. Eine leise Stimme kam an mein Ohr und hauchte mir diesen Satz ein, immer wenn ich vor der splitternden weißen Holztür stand. Meines Zuhauses.

Einst war es ein schönes Gebäude gewesen, aber mit den Jahren immer mehr vernachlässigt worden. Von dem Weg durch den Vorgarten führte eine kleine Steintreppe auf eine ebenso kleine Veranda. Ein alter Pflanzentopf stand zerbrochen auf einem hellen Pfeiler und trockene Erde rieselte auf eine blass-grüne Bank darunter.

Es war eigentlich nicht mein Zuhause. Nicht mehr für mich. Vor zwölf Jahren war es mehr zu einem Gefängnis geworden, ein helles Gebäude mit blauen Ziegeln, hinter dessen Fenstern jedoch die Schatten lauerten. Und das Monster.

Wenn ich jeden Morgen aus einem meiner Albträume hochschreckte, galt meine Aufmerksamkeit ganz allein dem Verlassen dieses Ortes. Tag für Tag schwor ich mir, nicht zurückzuschauen. Nie mehr wollte ich wiederkommen.

Dennoch stand ich hier auf der braunen Fußmatte. Der Schultag endete viel zu schnell für meinen Geschmack und ich fürchtete mich. Dabei hatte ich der Situation zu oft ins Auge geblickt, um zu erwarten, dass heute etwas anders war. Und es änderte nichts, wenn ich hier herumstand und wartete. Das Einzige, was ich tun konnte, war beten.

Ich war nicht religiös, meinen Glauben in Gott hatte ich schon lange verloren, aber ich erwischte mich jedes Mal dabei, ein Stoßgebet in den Himmel zu schicken. Möge er heute doch betrunken sein. Möge er die Whiskey-Flasche im unteren Küchenregal gefunden und ausgetrunken haben. Mehr will ich nicht. Meinem Vater in betrunkenem Zustand zu begegnen war eine Sache, aber ihn nüchtern zu erleben war schlimmer als der Tod und alles, was dahinter lag.

Wie immer legte ich eine Hand auf das Holz. Ich wurde von einer Welle geschüttelt, die mehr als nur Unbehagen mit sich brachte. Der Schlüssel fand das Schloss automatisch, fast ohne mein Zutun, und die Tür schwang nach hinten weg. Die Scharniere knarrten und ein schwarzer Spalt tat sich auf. Meine Nerven waren gespannt. Vorsichtig lugte ich in den Eingangsbereich. Alles stockdunkel. Kein Wunder, im ganzen Haus waren die Vorhänge zugezogen, kein einziger Lichtstrahl erreichte die Holzdielen.

Mit einem Klicken fiel die Tür ins Schloss. Sofort kroch die Gleichgültigkeit in meine Glieder. Ich war es gewohnt im Inneren nichts zu sehen, weshalb ich zielsicher meinen Weg in die Küche fand. Ich betrat sie immer zuerst, da ich wusste, dass mein Vater diesen Ort als allerletztes aufsuchen würde. Und wenn, dann nur, um sich eine neue Flasche zu holen, zu leeren und sie im Wohnzimmer auf dem Boden liegen zu lassen. Oder gegen Wände zu werfen. Oder eine Wange.

Ich setzte mich an den Tisch, erst dann machte ich Licht. Die Vorhänge blieben geschlossen. Beißende Alkoholdämpfe stiegen mir in die Nase, aber ich nahm kaum noch Kenntnis davon. Da war sie wieder, die Taubheit.

Ich wartete. Auf das Röcheln im Wohnzimmer, auf das Knarzen der Dielen vor der Küche und dem metallischen Geräusch des Schlüsselbundes an seinem Gürtel, wenn er sich bückte und in den Kühlschrank griff.

Ich faltete meine Hände auf der Tischplatte und senkte den Blick. Im Wohnzimmer schlug die schwere Standuhr mit ihrem tiefen Klang aus. Das Pendel machte kein Geräusch. Eine Sekunde verstrich, dann fünf, zehn, zwanzig. Eine Minute. Zwei. Nichts geschah.

Dann sah ich auf, atmete aus und ein Hauch Erleichterung überfiel mich und empfing mich mit warmen Armen. Ich verließ den Raum. Die Küchenlampe spendete gerade ausreichend Licht, um die Couch im Nebenzimmer zu beleuchten. Ich trat näher, so bedacht wie möglich. Meine Augen huschten über die reglose Gestalt, die in einer seltsam verdrehten Position auf dem Sofa lag. Eine Flasche Whiskey neben sich auf dem Boden, eine Flasche Wodka in seiner Hand. Bitte, lass ihn tot sein.

TxS // A Rose; A Heart; A KnifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt