7 - Abendessen

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Mit einem Ruck wurde die Tür aufgerissen, Füße stapften auf Holz und ich stürmte die Treppe hoch. Keuchend, mit hochrotem Gesicht. Kurz hielt ich inne, lauschte. War da ein Geräusch? Ein Hinweis auf eine lebende Person? Nein, er war nicht da, schlief und war betrunken. Ich setzte meinen Sprint fort, stieß mich an einer Wand ab und erinnerte mich gerade noch daran, die Tür zu meinem Zimmer leise zu schließen. Wie konnte das passieren? Der Zettel war weg! Ich hatte ihn doch die ganze Zeit in der Tasche gehabt.

Meine Atmung ging schnell, viel zu schnell. Was ist, wenn er auf der Straße liegt, was ist, wenn ihn jemand gefunden hat? Meine Gedanken rasten, sie schossen mir durch den Kopf wie ein glühender Pfeil. Ich hatte es gesagt, aber Marly wollte nicht auf mich hören. Jetzt war er weg und ich wusste nicht, wohin.

Ein Stockwerk weiter oben knarzte eine Bettstange, für einen Moment war es totenstill, ich hielt inne. Nichts geschah. Ich spürte den Puls, hörte ihn in meinen Ohren, bekam Kopfschmerzen. Eins, eins, zwei. Meine Finger glichen zitternden Grashalmen, ich schaffte es nur mit Mühe, mein Handy aus der Tasche zu pfriemeln. Drei, fünf. Mein Daumen glitschte über das Display und hinterließ feuchte Schlieren auf der Oberfläche, als ich die Nummer von Marly wählte. Einatmen, ausatmen.

»Hey Kya«, meldete sich eine Stimme. »Was gibt's?«

Ich fror. Die Zunge in meinem Mund wollte sich nicht lösen. Sie verknotete sich, zusammen mit meinen Gedanken und der Panik, die mit diesen einhergingen.

»Hallo?«

»Hey... Marly«, meldete ich mich endlich zu Wort. Ich schmeckte Blut, ich musste mir auf die Zunge gebissen haben, um sie so wieder zum Leben zu erwecken. Der metallene Geschmack ließ mich kalt, ich kannte ihn. Verzweifelt rang ich nach den richtigen Worten.

»Du, der Zettel... den du heute gemacht hast... du hast ihn nicht zufällig eingesteckt?«

»Den Zettel?« Marly überlegte kurz und schüttelte den Kopf. Ich konnte es nicht sehen, aber hörte es. Ihre Haare flogen hin und her. »Ne, den hast du doch eingesteckt, gerade als Stephan hereingekommen ist.« Herr Maasen. »Der Arme, der muss bestimmt total fertig sein.«

Ich schluckte schwer und der kleine Funken Hoffnung erlosch vollends. Ich hatte gehofft, dass ich ihn nie eingesteckt hatte, aber ich lag falsch.

»Kannst du es dir vorstellen? Du kommst als Lehrer ganz normal morgens in die Schule und dann erhältst du so eine Nachricht.«

»Er ist weg, Marly... weg

»Nanu, du klingst ja ganz aufgelöst, was ist denn los? Wer ist weg?«

Meine Hände fuhren in meine Haare und klammerten sich dort fest. Ich brauchte Halt. Wusste sie denn nicht, was ich meinte? »Der Zettel ist weg, mit den Stichpunkten über Herrn Sanders und mich. Ich, ich weiß nicht wie, aber er ist verschwunden, ich weiß nicht was ich tun soll.«

Meine Füße machten kaum ein Geräusch, ich tigerte in meinem engen Zimmer auf und hab, erreichte die Wand, drehte um und vollführte das Ganze von vorn. Mir tat alles weh und vor meinen Augen flimmerte es gefährlich. Warum war ich so? Warum war es mir so wichtig? Nur ein dummer Zettel.

Am Ende der Leitung stöhnte Marly auf. »Sekunde, willst du mir sagen, du hast ihn verloren?« Eine Pause. Ich nickte kaum merklich und knirschte mit den Zähnen. »Super, die schöne Arbeit umsonst.«

Eine heiße Welle überrollte mich, drohte, mich zu überwältigen. »Darum geht es jetzt doch nicht!«

»Soll ich mein Pendel benutzen und gucken, wer den Zettel hat?«

»Ich will deine Esoterik nicht, ich will den Zettel! Hättest du ihn bloß nie geschrieben. Was ist, wenn er aus der Tasche gefallen ist und ihn schon jemand gefunden hat?« Meine Stimme triefte vor Verzweiflung. Ich war mir sicher, dass sie es merkte, aber es war mir egal.

TxS // A Rose; A Heart; A KnifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt