19 - Konfrontation

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Ein Donnerschlag. Dunkle Regenwolken zogen sich vor den Abendhimmel und weit hinten am Horizont bildeten sich dicke Gebilde, türmten sich dort auf und bauschten sich zu aschgrauen Massen zusammen. Durch die Vorhänge, die mich von der Außenwelt trennten, fiel nur noch ein Bruchteil des restlichen Lichts der Dämmerung und ließ die Atmosphäre im Raum, das Holz des Tisches und Porzellan des Gedecks noch unheilvoller erscheinen.

Die Wanduhr im Esszimmer tickte unaufhörlich, im Haus war es kalt. Gerade vor wenigen Minuten hatte ich die Heizung eingeschaltet, doch die Wärme blieb mir gänzlich fern. Mit jedem Atemzug zitterten meine Arme, meine Hände an den Vorhängen verkrampften sich und beinahe stiegen mir die Tränen in die Augen. Wenn ich an das dachte, was bevorstand, klammerten sich eisige Gedanken um meinen Kopf und schnürten mir die Kehle zu. Das Atmen in diesem Haus fiel mir immer schwerer.

Mittwoch, viertel vor sechs. Heute würde Herr Sanders kommen, zum Abendessen hier zu mir nach Hause. Ich selbst würde ihn herein bitten, er würde sich setzen, sich etwas zu essen nehmen und wir würden einen netten Abend verbringen. So zumindest redete ich es mir ein, obgleich ich doch wusste, dass aus dem nichts werden würde. Die Stimmung in diesem Haus kippte nur zu schnell, zu leicht. Es brauchte nicht viel und schon konnte es in einer Situation enden, an die ich gar nicht erst denken mochte. Ich wusste, wozu mein Vater fähig war.

Seufzend wandte ich mich vom Fenster ab und schlich durch den Raum. Unentschlossen blieb ich an einem der Regale stehen, überlegte, ob etwas auf dem Tisch neben dem schwarz-blauen Porzellan fehlte, schüttelte den Kopf und drückte den Lichtschalter. Augenblicklich wurde das Esszimmer in goldgelbes Licht getaucht, das die Dekorationen in den Regalen hervortreten ließ und besonderen Fokus auf das große Gemälde an einer der Wände warf.

Exklusiv, edel, modern... wie früher. Und bei dem Abendessen mit der Dame vom Jugendamt. Ich musste schlucken. Was, wenn hinterher wieder so etwas passierte? Nur schlimmer? Wenn ich nicht rechtzeitig durch die Tür verschwinden konnte?

Ein schwerer Stein befand sich in meiner Brust und zog meine Haltung auf groteske Weise nach unten. Eine Last, die ich nie wieder ablegen konnte. Selbst wenn ich ihm entkommen würde, ich hatte keinen Unterschlupf. Marly war tot, die Eltern fort, ich war auf mich allein gestellt. Nur Herr Sanders war noch da, doch inwieweit konnte ich ihm vertrauen? Verdammt, er hatte mich geküsst, ja. Doch was wusste ich von ihm? Gar nichts.

Auf einmal stand mein Vater in der Tür. Er roch nach frisch aufgetragenem Aftershave, Haare locker zurückgekämmt und ein weißes Hemd. Sein intensiver Blick traf das Gedeck, schweifte durch den Raum zu mir und begutachtete mich.

»Kyara, du wirkst abwesend«, äußerte er abfällig, trat ans Fenster und spähte an den Vorhängen vorbei nach draußen, so wie ich es noch vor wenigen Augenblicken getan hatte. »Ich mag das nicht, konzentriere dich.«

Perplex tauchte ich aus meiner Gedankenwelt auf und verkrampfte innerlich. »Ja, ich war nur in Gedanken. Tut mir leid.«

Eine Weile stand er regungslos da, mit dem Rücken zu mir. Dann strafften sich seine Schultern und er angelte nach einem der Gläser auf dem Tisch. Nachdem er es mit Portwein befüllt hatte und langsam zu den Lippen führte, drehte er sich wieder zu mir um.

In seinen Augen funkelte beiläufige Neugier. »Handeln deine Überlegungen von etwas bestimmten?«

Ja, ein Lehrer mittleren Alters, fit, braune Haare... »N-nein,«, stammelte ich, »eigentlich nicht. Nur alltägliches.« Und es war nicht einmal eine Lüge.

Mittlerweile drehten sich meine Gedanken täglich um ihn. Herrn Sanders, die Geschehnisse um ihn herum, Elenas Tod, Marlys Tod, meine eigene Dummheit. Mir kam es beinahe so vor, als wäre ich an allem Schuld. Vielleicht war ich das auch. Und der Gedanke, mich mit meinem Vater zu unterhalten, machte alles nur noch schlimmer.

TxS // A Rose; A Heart; A KnifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt