11 - Anruf und Angebot

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»Wenn du hinterher im Löwenkäfig landest, bist du doch selber schuld. Das sehen Sie doch auch so, oder, Herr Maasen?«

In der hintersten Reihe wurde gelacht und ich legte meinen Kopf wieder auf die Tischplatte. Meine Aufmerksamkeit wurde zu einigen Bildern an der Wand gelenkt. Bunte Kunstprojekte des Leistungskurses zur Epoche des Expressionismus. Daneben sammelten sich Plakate zu diversen Geschichtsthemen und Biologie Experimenten. Ich wusste nicht, was los war. Was mit mir los war.

Eigentlich hatten wir Geschichte, doch Herr Maasen war weit vom Unterrichten entfernt. Der Tod Elenas war kaum drei Tage her und inzwischen war die Schulleitung auf die glorreiche Idee gekommen, einen gemeinsamen Ausflug zu organisieren. Natürlich nur für unsere Klasse, Elenas Klasse. Einen Ausflug in den Zoo.

Der Lärm wallte sich zu einer gewaltigen Welle auf, die mich zu übermannen drohte. Ich seufzte und meine Hände fanden ihren Platz über meinen Ohren.

»Bitte beruhigt euch doch mal.« Unser Geschichtslehrer hatte die Gruppe kaum noch unter Kontrolle, alle waren auf den Zoobesuch fixiert. »Es ist ja kaum noch auszuhalten.«

Herrn Sanders wäre das nicht passiert, dachte ich. Während die Anderen nichts Besseres zu tun hatten, als zu schreien, schlichen meine Gedanken immer wieder an den gestrigen Abend zurück. Dieses Ritual, das von Marly.

»Herr Maasen, jetzt sagen Sie doch auch mal was. Was halten Sie davon, Marissa in das Robben-Becken zu werfen?«, rief Andy, einer von diesen typischen Klassenclowns. Schwarze Haare, rundes Gesicht, Sinn für Humor, aber keine Disziplin. Unser Lehrer warf ihm nur einen schiefen Seitenblick zu, wissend, dass nichts zu etwas führen würde. Die Klasse war zu laut, zu aufgeregt, um auch nur eine halbe Minute zuzuhören. Oder gar zu denken.

Und ausgerechnet heute war Marly nicht da. Ich hatte keinen zum Reden, war nicht nur meinen Mitschülern sondern vielmehr meinen Gedanken alleine ausgeliefert. Wo war sie nur? Gestern Abend war sie noch topfit gewesen und alles war in Ordnung. Sie hatte mir weder geschrieben, dass sie nicht kommen würde, noch dass es ihr irgendwie schlecht ging.

Mein Magen verzog sich, als meine Überlegungen eine Abzweigung zu viel nahmen. Sie hatte vorgehabt, das Glas, dieses verfluchte Glas, im Wald zu vergraben. Das kleine Waldstück etwas außerhalb der Stadt, und auch noch bei Nacht, nicht mal der Mond schien, es war Neumond. Ich hoffte nur, ihr mochte nichts passiert sein.

»Also mich würde ja interessieren«, Herr Maasen hatte sich doch dazu entschieden, zur Diskussion beizutragen, »wer als Begleitperson mitkommen soll.« Und während es plötzlich still wurde, sah ich Marly bereits unter einer Baumwurzel liegen. Alle Köpfe gingen in die Luft und blickten die Person am Lehrerpult aufmerksam an, als bemerkten sie ihn erst jetzt. Mein Herz machte einen brutalen Satz, genauso wenig wie die anderen hatte ich ihn eintreten sehen.

»Ich wäre für Herrn Sanders!«, rief ein Mädchen zwei Plätze rechts von mir. Der Großteil der Klasse stieg mit ein und Herr Sanders hob beschwichtigend die Hände. Ich spürte seinen Blick auf mir, sah an ihm nach oben und verfolgte seine Augen von mir weg und durch den Raum gleiten. Rasch richtete ich mich auf und korrigierte meine Haltung. Er musste schon fünf Minuten im Raum gestanden haben, hatte er mich die ganze Zeit angesehen? Nein, das war unwahrscheinlich. Ein leichter Schauer zog sich über meinen Rücken.

Schon wieder sah er mich an. Es war die letzte Stunde, den ganzen Tag war ich ihm aus dem Weg gegangen, dass ich ihm bloß nicht in die Arme laufe, doch jetzt hatte er mich selber gefunden. Er ist hier, um über den Ausflug zu reden. Nichts anderes. Wo war Marly, ich brauchte ihre emotionale Unterstützung.

»Keine Sorge.« Herr Sanders' Stimme hallte durch den Raum. »Es ist bereits beschlossene Sache, dass ich mitkomme.«

Wenig Begeisterung bei den Jungs. »Beschlossen? Seit wann?« Alle wussten, dass sie lieber die nette Referendarin als Gesellschaft haben wollten.

TxS // A Rose; A Heart; A KnifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt