Die Schlange vor der Kasse war nicht lang. Das sah ich sofort, als ich den Laden betrat. Er war klein und der Kassierer alt. Jedes Mal kam ich hier her, ging extra eine halbe Stunde, aber es lohnte sich. Dem Mann an der Kasse war es egal, ob ich mit oder ohne Alkohol hier herauslief. Hauptsache er bekam sein Geld. Er hatte mich sogar jedes Mal aufs Neue vergessen.
Schnell hatte ich gefunden, was ich suchte und steuerte die Kasse an, als ich plötzlich aus den Augenwinkeln jemanden bemerkte. Ich drehte mich um, keiner war da. Kopfschüttelnd setzte ich meinen Gang fort, doch da war es schon wieder.
Ein Geruch stieg mir in die Nase. Ich kannte ihn! Mein Herz schlug schneller und als hätte ich eine Treppenstufe zu viel übersehen, machte mein Magen einen Hüpfer. Die Luft blieb mir weg. Hinter einem Regal versteckte ich mich und schielte daran vorbei zur Kasse. Oh verdammt!
Ein Mann redete mit dem Kassierer. Er war klein, braunhaarig und athletisch. Ich wusste doch, dass ich das Aftershave erkannte. Plötzlich sah er auf und drehte den Kopf. Mein Herz blieb stehen, er sah mir direkt in die Augen. Er hatte mich entdeckt.
»Hallo Kyara.« Michael Sanders ob grüßend die Hand. »Warum versteckst du dich wie ein Ninja hinter dem Getränkeregal?«
Ertappt kam ich hinter meinem Versteck hervor. Mit sechs Flaschen voll Alkohol im Arm. Als er diese musterte, stieg mir die Röte ins Gesicht. Warum musste er ausgerechnet jetzt hier sein, in diesem Laden, den nicht so viele Leute kennen sollten? Seine Augen stachen in meine.
»Hast du heute noch was vor?«
»Ähm... bitte?«
Perplex blinzelte ich ihm entgegen, worauf sein Kopf zu dem Inhalt meiner Arme zuckte. Oh nein. Was für einen Eindruck musste er jetzt von mir haben? Ich kam mit einem Veilchen in die Schule, lag in Sport erst auf ihm, dann unter ihm und jetzt sah er mich hochprozentigen Alkohol kaufen. Ich wollte im Erdboden versinken. Der Kassierer unterdessen interessierte sich nicht für uns, sondern wartete und starrte in die Luft.
Verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten. »Die Flaschen... der Alkohol, ähm... das ist für die Geburtstagsfeier meines Vaters.«
Sein rechter Mundwinkel zog sich nach oben. »Wie alt wird er denn, wenn er so viel braucht?« Der Ansatz eines Lachens machte sich bemerkbar.
Ich musste ein Schlucken unterdrücken. Ich wusste nicht, wie alt er war. Ich war zwar seine Tochter, aber angesprochen hatte er es nie. Und ich hatte nie das Bedürfnis verspürt, es zu erfahren. Sonst hätte ich jetzt eine Antwort parat gehabt.
»Er ist 54«, log ich. Vielleicht mochte es sogar stimmen.
Herr Sanders nickte bedächtig und fuhr mich von oben bis unten ab, als schätzte er, wie viel ich wert war. Mein Herz schlug immer noch wie verrückt. Er öffnete den Mund, wollte anscheinend etwas sagen, doch überlegte er es sich anders. Er lachte stattdessen und schüttelte den Kopf.
»Na dann. Vergesse ich mal, dass ich dich hier gesehen habe. Viel Spaß beim Feiern und richte deinem Vater Glückwünsche aus. Ich hatte noch gar nicht die Möglichkeit, mit ihm Bekanntschaft zu machen. Vielleicht sieht man sich ja beim nächsten Sommerfest.«
»Das werde ich machen. Er wird sich freuen.«
Es gab nichts weiter zu sagen. Aber er ging nicht, er bewegte sich nicht von der Stelle. Wir schwiegen. Er betrachtete mich einfach. Besser gesagt, meine blaue Wange. Ich spürte, dass er Fragen hatte, aber ich konnte ihm diese unmöglich beantworten. Wenn er erfahren würde, was Zuhause passierte, käme wieder das Jugendamt. Es gäbe Fragen, aber man hätte eine gerissene Person vor sich, die immer ihren Willen bekam.

DU LIEST GERADE
TxS // A Rose; A Heart; A Knife
Teen FictionEin blauer Fleck zieht teuflische Ereignisse mit sich und beschwört eine Welle aus Gefühlen und Fragen herauf. Warum ist Herr Sanders so plötzlich an Kyara interessiert, warum ist über Nacht eine Schülerin tot und wie passt hier ihr gewalttätiger Va...