14 - Fragwürdige Heiterkeit

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Er wurde unterbrochen. In ausgerechnet so einem Moment wurde er unterbrochen. Herr Maasens Stimme wurde von dem Wind über den Asphalt getragen und er erreichte uns, als wir schon wieder fünf Schritte auseinander standen. Ein Hauch Röte zierte meine Wangen und ich warf Herrn Sanders einen verwirrten, gleichzeitig verstohlenen Blick zu. Unsere Augen trafen sich, ehe seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf dem Geschichtslehrer ruhte.

»Habt ihr genug Löwen geguckt?«

»Viel gibt's ja nicht zu sehen«, erwiderte Michael Sanders. Seine Stimme klang gepresst, aber er bemühte sich um Ruhe.

War er so aufgewühlt? Hatte ich ihn so aufgewühlt? Sein Kreuz spannte sich an, seine Schultern waren gestrafft, er war wütend. Ich konnte seine Wut förmlich schmecken, aber keinen Augenblick später verwandelte sie sich in etwas, was man am ehesten mit Gleichgültigkeit beschreiben würde.

Er atmete aus, seine Arme sanken und er schob eine Hand in die Hosentasche. Der Moment war vorbei. Heute würde ich nicht mehr erfahren, was er mir vor wenigen Sekunden mitteilen zu wollen schien.

Herr Maasen hatte von unserer Situation nichts mitbekommen und lächelte uns beide an. Er nickte mir zu und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. »Ich hatte mir überlegt, dass die Schüler sich jetzt schon aufteilen können. Nicht alle wollen weiter durch den Zoo gehen, während die anderen – was weiß ich – Karussell fahren. Einer von uns kann mit denen, die wollen, weiter zu den anderen Tieren gehen.«

Die Antwort von Herrn Sanders folgte schnell, als hätte er es schon geahnt und sich darauf eingestellt. »Alles klar, das können wir so machen. Ich bleibe hier und passe auf, dass keiner aus dem Riesenrad fällt.« Er wusste, dass der Langhaarige ein Tierfreund war und überließ es ihm, den restlichen Teil der Schüler durch den Zoo zu führen.

Beide wandten sich um und ich folgte ihnen mit einem leisen Seufzen. Die Gruppe aus Schülern teilte sich, eine Hälfte ging Herrn Maasen hinterher, die andere strömte auseinander in Richtung Fahrgeschäfte und Essensstände. Die Stimmung insgesamt war unbeschwert. Von den anderen zumindest. Ob sie alle überhaupt wussten, warum wir eigentlich hier waren? Wer der Auslöser hierfür war?

Sowie ich das Lachen der anderen vernahm, schüttelte ich den Kopf. Natürlich nicht. Bestimmt behielten sie es irgendwo im Hinterkopf, wollten sich den Tag jedoch nicht mit dem Gedanken an Elena verderben. Wegen ihr waren wir doch hier. Als eine Art Ablenkung.

Ich sah einmal in die Runde und bemerkte, dass ich ganz alleine an den Geschäften vorbeigegangen war. Ohne mein Zutun hatte ich den Eisstand passiert, ein sich um sich selbst drehendes Karussell und einen Schießstand. Keiner der mich kannte war mehr hier, nur hier und da einige Menschen in der Schlange zu einer Attraktion. Die Anlage war riesig, solange ich mich nicht verlief, war alles in Ordnung. Versuchte ich mir einzureden. Ob es gelang, konnte ich nicht behaupten. Ich hätte es eh nicht bemerkt, denn meine Aufmerksamkeit wurde viel zu schnell von einem Punkt auf den nächsten geleitet.

Aus der Ferne hörte ich Schreie. Das Surren einer Hydraulikanlage erfüllte die Luft und ich sah gerade noch, wie die Fahrgäste in dem Freifallturm Richtung Süden schossen, mit einem Quietschen abgebremst und wieder fünfzig Meter gen Horizont katapultiert wurden. Jetzt schlängelte sich der Duft von gebrannten Mandeln meiner Nase entgegen, es roch nach Zuckerwatte und chinesischen Nudeln und zum ersten Mal bekam ich wirklich Hunger auf etwas.

Schnell holte ich meinen Geldbeutel aus der Tasche. Wir hatten von der Schule ein paar Coupons gestellt bekommen. Eigenes Geld hatte ich zwar, das Kindergeld ging direkt an mich, doch ich musste sparen, um mir Schulsachen und gelegentlich eine Hose zu kaufen.

Ich stellte mich an einen Stand mit einem Gericht, was ich so vorher weder gesehen noch gegessen hatte. Vorsichtshalber sah ich mich nach hinten um, ich konnte nicht anders. Obwohl es das Unwahrscheinlichste war, das ich mir vorstellen konnte, rechnete ich damit, dass jeden Moment mein Vater um die Ecke kam und vor meinen Augen erscheinen würde. Er hatte mir solches Essen immer verboten, es wurde immer selbst gekocht – von mir – und das war's. McDonalds war eine große Ausnahme gewesen, ich war immer noch erstaunt darüber. Hatte er einen Sinneswandel hinter sich gehabt oder etwas in der Art?

TxS // A Rose; A Heart; A KnifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt