2 - Sportunterricht

392 14 6
                                    

»Mann, du tust mir so leid. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwer es für dich sein muss. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, na ja du weißt ja.«

»Hm.«

Seit Anfang des Sportunterrichts lief Marly neben mir her und redete. Ich hatte ihr erzählt, was passiert war und sie versuchte irgendwie, meine Stimmung zu heben. Ich war ihr dankbar dafür. Nur leider funktionierte es nicht.

Die Sporthalle war groß und mit einer Prallwand in Preußischblau verkleidet, wobei der Großteil von den Schiebetüren zu Geräteräumen eingenommen wurde.

Leichtathletik bei Herrn Sanders stand an und er hatte uns alle zu Tribünenlauf verdonnert. Als Aufwärmübung. Es war die fünfte Stunde, nach der Sache heute Morgen war nicht viel passiert. Ein Schüler wurde zur Schnecke gemacht. Wie üblich einer von der Sorte, die sich nicht spurteten und lieber Klassenclown spielten.

Heute benahm er sich ungewöhnlich anders für seine Verhältnisse. Ich war froh, nur mit einem Eintrag davongekommen zu sein, auch wenn mir nicht klar war, warum er das getan hatte. Anscheinend konnte Marly meine Gedanken schmecken. Prompt schnitt sie das Thema an.

»Komisch, was? Michael hat sich nicht mal die Mühe gemacht, dich anzuschreien.«

Sie nannte Lehrer immer bei ihren Vornamen. Das war ihre Macke. Irgendwann rutschte ihr das im Unterricht raus und sie würde eine Strafarbeit bekommen, ich sah es schon vor mir. Ich seufzte und hustete. Ich verfiel in einen halbherzigen Laufschritt, meine Lungen brannten. Der Regen hatte mir heute Morgen alles andere als gut getan. Auch Marly wurde langsamer.

»Ich meine«, fuhr sie fort, »bei anderen rastet er immer sofort aus. Bei dir nicht. Ob er deine Wange gesehen hat?«

»Wie sollte man die denn bitte übersehen?«

»Okay, sorry, hast recht.« Sie sah sich nach dem Objekt des Gesprächsthemas um und entdeckte ihn hinter einer Gruppe Jungs herlaufen.

»Los, schneller! Da kann euch selbst Marissa überholen, bei dem Tempo.« Er klatschte in die Hände, um sie anzutreiben. In seinem dunklen Trainingsanzug sah er noch weniger wie ein Lehrer aus. Mit seiner Größe hätte er auch Schüler sein können. Nur war er viel fitter. Und älter.

»Wusstest du, dass er früher mal beim Militär war?«, richtete meine Freundin an mich und ich warf einen Blick über die Schulter. Herr Sanders war hinter der Gruppe verschwunden, zog aber keine Sekunde später an uns vorbei. Er zeigte nicht die leiseste Spur von Anstrengung.

»Los, ihr auch. Reißt euch zusammen. Vor allem du, Marly.«

»Hey«, rief sie außer Atem. »Das sind Aufwärmübungen!« Er sprang leichtfüßig über ein paar Stufen und reihte sich vor uns mit einigem Abstand ein. Dort machte er der nächsten Gruppe Beine.

Ich beugte mich zu Marly rüber. »Beim Militär? Wie kommst du immer an solche Infos?«

»Berufsgeheimnis«, sagte sie und zwinkerte grinsend. »Er hatte irgendeinen höheren Rang, aber frag mich nicht welchen, keine Ahnung. Er soll erfolgreich gewesen sein.«

Ja, das passte zu ihm. Ich konnte ihn mir gut in Flecktarn oder Uniform vorstellen, oder sogar in schwarzer Kampfausrüstung.

»Warum ist er Lehrer geworden, wenn er so erfolgreich war?«, fragte ich.

Marly zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

Nach zehn Minuten endete die »Aufwärmphase« endlich und Herr Sanders kam in der Mitte der Turnhalle zum Stehen. Er stieß einen schrillen Pfiff zwischen seinen Zähnen hervor und wir bewegten uns von der Tribüne nach unten. Einige von den Mädchen hielten sich die Seiten und von der Stirn jedes Jungen perlte Schweiß.

TxS // A Rose; A Heart; A KnifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt