20 - Ins Gericht

119 12 8
                                    

Das Klingeln der Tür durchschnitt die Luft wie ein scharfes Messer, das nur darauf wartete mir an die Kehle zu fahren. Mein Vater und ich hielten beide inne, kurz streiften sich unsere Blicke, dann straffte er seine Schultern und begab sich in den Flur.

»Kein Wort«, schien er mir mit einem letzten funkelnden Ausdruck über die Schulter befehlen zu wollen, dann strich er seine Haare zurecht, legte seine Hand auf die Klinke und drückte sie herunter.

Ich blieb im Rahmen der Küchentür stehen, in sicherem Abstand. Meine Gedanken kreisten in meinem Kopf hin und her, prallten an der einen Wand ab und erzeugten an der anderen stechende Wellen aus Schmerz. Mein Puls raste. Ich konnte es einfach nicht glauben. Hätte er wirklich...? In der Lage gewesen, das wäre er, ja das traute ich ihm durchaus zu. Aber warum sie und nicht ich?

Die Tür wurde geöffnet und während ich um die Kante des Rahmens spähte, trat mein Lehrer in den Flur, in unser Haus. Gegen meinen Willen machte sich das ziehende Gefühl auf den Weg in meine Magengegend. Ich wollte es nicht. Ich wollte nicht so fühlen, nicht in dieser Situation.

»Richard Menten...« Mein Lehrer ergriff zuerst das Wort.

»Michael Sanders...« Mit jedem Wort verdickte sich die Luft ein Stück mehr. »...so sieht man sich also wieder.«

»Ich darf doch reinkommen?«

»Bitte, bitte, tu dir keinen Zwang an.«

Er trug ein schwarzes Jackett, darunter ein weißes Hemd. Beinahe ebenso wie mein Vater. So wie ich sie nebeneinander stehen sah, fiel mir die Ähnlichkeit beider auf. Unbewusst fanden meine Zähne meine Lippen, ein leichter Schmerz wurde ausgelöst.

Irgendetwas verband sie. Wenn ich auch nicht wusste, was es war. Beide Männer verhielten sich auf eine seltsame Art und Weise gleich. Beide Personen waren verschieden, aber analysierten und kalkulierten den jeweiligen Gegenüber intensiv ein, musterten ihn und warteten auf eine Reaktion. Als fände zwischen ihnen ein unsichtbarer Kampf statt, der für alle Außenstehenden spürbar, aber dennoch unsichtbar blieb.

Nach ein paar Sekunden des Schweigens wanderte Herr Sanders ein paar Schritte in den Flur hinein, schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen an mir vorbei bis zur Treppe und sah sich um.

»Ja, genau so habe ich mir euer Haus immer vorgestellt. Groß, modern, Kunstwerke an den Wänden. Ganz nach ihrem Geschmack.«

»Dass du es wagst, jetzt noch von ihr zu sprechen, wundert mich kein bisschen. Du warst immer schon so...«

»Seltsam, eigentlich sollte ich derjenige sein, der das sagt.« Er trat einen Schritt meinem Vater entgegen. Beide funkelten sich an, die Stimmung im Haus war jetzt schon kaum mehr auszuhalten. Die Ruhe, die beide mit dieser gleichen Aggressivität ausstrahlten, war beängstigend.

»Du bist es also wirklich. Ich wusste doch, dass ich deine Stimme am Telefon gehört habe.«

»Was«, endlich meldete ich mich zu Wort, keiner der beiden schien bemerkt zu haben, dass ich mich mit ihnen im selben Flur befand, »was geht hier vor?«

Langsam lösten sich die Augen meines Lehrers von meinem Vater und glitten zu mir. Pistaziengrüne Augen. Während er mich still musterte, zog sich sein Mundwinkel ein kleines Stück nach oben. So bleich mein Gesicht auch war, ich meinte, einen Hauch zu erröten. Augenblicklich musste ich an vorgestern denken, den Kuss. Jetzt wünschte ich mir, er wäre nie passiert.

»Kyara, hallo.«

Er schien mir meine Stimmung und die Unruhe anzusehen, denn sofort verfiel sein Gesichtsausdruck in die ernste Form zurück, die er im Unterricht immer angenommen hatte.

TxS // A Rose; A Heart; A KnifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt