4. Kapitel

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     Meine Ohren klingelten noch immer und mein Kopf dröhnte, als wir endlich Zuhause ankamen. Die ganze Fahrt über hatte mir meine Mutter eine Prädigt darüber gehalten, dass es nicht in Ordnung war, sich mit einem schönen Kleid in feuchtes Gras zu setzen. Mein Kleid hatte jetzt einen grünen Fleck. Nicht nur einen. Doch es störte mich nicht. Denn ich kannte ein Wundermittel, dass alle Flecken beseitigte. Meine Mutter war natürlich der Meinung, dass ich das Kleid nun wegwerfen konnte. Das würde ich allerdings nicht tun. Eine gute halbe Stunde hatte ich mich mit ihr auf der Feier gestritten, bis Tyler sie gebeten hatte, mich in Ruhe zu lassen. Seine Autorität hatte sie schnell zum Schweigen gebracht, doch kaum hatten wir die Feier hinter uns gelassen, ging es im Auto weiter.
      Die ganze Fahrt über hatte sie mir gesagt, dass ich nicht in den Garten hätte gehen sollen, dass ich mich nicht in das Gras hätte setzen sollen und all solche Vorwürfe. Sie schien genau zu wissen, was ich im Garten gewollt hatte, doch sie schnitt das Thema um Ryker nicht mehr an. Allerdings nur, weil Dad da war. Er hatte ihr nämlich gesagt, dass die das Thema in Ruhe lassen sollte. Sie tat es widerwillig. Kaum stieg ich aus dem Auto aus, dessen Innenraum mir auf der Autofahrt plötzlich so klein vorgekommen war, holte ich tief Luft und sog die kühle Nachtluft in die Nase hinein, die kurz darauf meine Lungen strömte. Das Gefühl der klaren Luft in meinen Lungen tat gut und brachte mich für einen Moment auf andere Gedanken. Dennoch steckte die Müdigkeit tief in meinen Knochen. Ein Teil von mir war traurig darüber, dass Talia nicht da war. Sie wohnte bei Tyler. Natürlich tat sie das.
      Dennoch vermisste ich sie. Talia war immer der Ruhepol in der Familie gewesen. Immer. Doch seit sie weg war, hatte sich das alles geändert. Meine Mutter konnte nun ungestört über mich herziehen. Nicht, dass ich das oft zuließ, auf der anderen Seite waren ihre Bemerkungen so schlimm, dass ich manchmal nicht wusste was ich antworten sollte. Talia war sozusagen immer mein Schutzschild gewesen. Etwas, was ich nun nicht mehr hatte. Mir blieb nicht mehr viel. Nur Dad, doch auch er hatte nicht immer Zeit. Obwohl ich mittlerweile ganz gut gegen meine Mutter kontern konnte, gingen ihre Worte ab und an doch unter die Gürtellinie. Seufzend lief ich die Auffahrt hinauf bis zu der Villa, die so groß war und doch so klein. Sie war ein großes Gefängnis. Ein Gefängnis, dass mir die Luft zum Atmen nahm.
      Je weiter ich darauf zulief, desto schwerer wurde mein Herz, desto schwerer fiel es mir zu atmen. Ich hasste es. Ich hasste dieses Haus, diese Auffahrt, diese große Garage, diese Autos, diesen Garten mit Pool... einfach alles hasste ich an diesem Haus. Gut, nicht alles. Das Lesezimmer war ganz gut. Und ja, der Pool war praktisch, aber nur Protz, den man nicht unbedingt brauchte. Wozu hatte man in der Nähe einen wunderschönen Bergsee? Hinter mir hörte ich meine Mutter motzen, jetzt wo sie im Licht der beleuchteten Auffahrt die Flecken wieder sah. Das Piepen in meinen Ohren und das Dröhnen in meinem Kopf übertönte allerdings ihre schrille Stimme und als ich den Code für die Tür eintippte, übertönte das Piepen der Tasten ebenfalls ihre Stimme.
      Kaum hatte ich den großen Flur mit den hohen Wänden betreten, kam es mir so vor, als würden die Wände näher und näher rücken. Ein Blick auf die große Uhr verriet mir, dass es kurz nach Mitternacht war. Wir waren viel zu lange dort gewesen. Jedenfalls meiner Meinung nach. Seufzend zog ich meine Schuhe aus und rieb mir die Zähen, die an den Ränder der Ballarians gerieben hatten. Meine Mutter zeterte noch immer, als sie das Haut betrat. Hinter meinen Eltern fiel die Tür krachend ins Schloss. So laut, dass ich kurz zusammenzuckte. Der Nachteil einer Tür, die sich von selbst schloss. Ohne weiter auf meine Eltern zu achten nahm ich meine Schuhe in die Hand und lief nach oben. Da meine Mutter mit Zetern beschäftigt war, merkte sie gar nicht, dass ich ohne den beiden eine gute Nacht zu wünschen nach oben ging, die Tür hinter mir zuschlug und mich aufs Bett warf.
      Meine Glieder entspannten sich, als ich durch das Glasdach hinauf in den Sternenhimmel blickte. Es hatte mich große Mühe gekostet meine Mutter zu überreden dieses Fenster einbauen zu lassen. Es nahm fast mein ganzes Zimmer ein und konnte mit Schalosien geschlossen werden. Meist aber schloss ich diese nur im Sommer unter Tags, damit es nicht zu heiß im Zimmer wurde. Nachts war das Fenster offen, damit ich die Sterne betrachten konnte. Eigentlich sollte unsere Putzfrau alles putzen, doch ich putzte dieses Fenster. Ich hatte es gewollt, dann musste ich es auch putzen. Zwar sträubte sich Mrs. Milan dagegen, doch das war mir egal. Gedankenverloren betrachtete ich die Sterne und genoss die kleine Freiheit, die ich hatte. Das hier war meine kleine Freiheit. Nur heute erlaubten mir meine lauten Gedanken nicht, diese Freiheit zu genießen. Diese Freiheit die Sterne zu betrachten. Stattdessen erinnerte mich das an Tyler. Auch Tyler liebte die Sterne. Und Tyler erinnerte mich an Ryker.
      Ryker... etwas in mir brannte darauf zu erfahren, warum er vor drei Jahren aus seinem Rudel gestoßen wurde und wie es möglich war, dass er sich Jax unterordnen konnte, wenn er doch Alpha-Gene besaß. Das ergab in meinen Augen keinen großen Sinn. Aber um zu überleben taten wir alle doch ab und an ziemlich viel. Vollkommen in meinen Gedanken verloren starrte ich also hinauf in den Himmel, ohne noch wirklich die unzähligen Sterne dort zu sehen. Vor meinem inneren Augen sah ich stattdessen Ryker, den Schmerz in seinen Augen, die Erkenntnis, die Trauer und noch so viel mehr, dass ich nicht verstand. Ich verstand nicht wirklich, warum er traurig war oder gar so verletzt und voller Schmerz. Ich verstand nicht warum er mir nicht hatte sagen wollen, dass er mein Gefährte war. Das war ja nichts schlimmes. Jedenfalls nicht in meinen Augen. Wie lange sich meine Gedanken drehten wusste ich nicht genau. Wie lange ich in den Himmel starrte, ohne eine Antwort auf all meine Fragen zu bekommen wusste ich auch nicht.
      Die Zeit strich an mir vorbei. Die Welt drehte sich momentan ohne mich. Erst als mir die Augen zufallen zu drohten, warf ich einen Blick auf die Uhr und erstarrte. 01:00 Uhr nachts. Also stand ich auf, zog das Kleid aus und lief in das angrenzende Bad zu meinem Zimmer, holte eine Waschpaste heraus, die meine Mutter gar nicht mehr kannte, da sie immer alles in die Reinigung gab, oder von Mrs. Milan waschen ließ. Großzügig verteilte ich die Paste auf den grünen Flecken und sah zu, wie sie nach und nach bleicher wurden. Der Rest würde die Waschmaschine für mich erledigen. Nur nicht mehr heute. Müde verrichtete ich mein Geschäft im Bad, bei dem mir abermals fast die Augen zufielen, dann torkelte ich zurück ins Zimmer. Dort zog ich meinen BH aus, warf ich ihn achtlos auf meinen Schreibtischstuhl, die Unterhose warf ich in den Wäschekorb, ehe ich blind nach einer neuen griff.
      Dann zog ich mir noch das übergroße Schlafshirt über, das einst meinem Vater gehört hatte, als er noch 30 Kilo mehr auf den Rippen gehabt hatte und kuschelte mich kurz darauf ins Bett. Doch egal wie sehr ich versuchte einzuschlafen, so wirklich wollte es nicht klappen. Ruhelos drehte ich mich hin und her. Hin und her. Die Zeit verstrich. Als ich das nächste Mal auf die Uhr sah war es 03:00 Uhr morgens. Langsam musste ich nicht mehr an Schlaf denken. Denn wenn ich jetzt erst einschlafen würde, würde ich erst um 11:00 Uhr oder 12:00 Uhr aufwachen und das war eindeutig zu spät für mich. Es gab einfach Dinge, die ich gerne tat und die ich gerne tun wollte. Irgendwie war ich ein Frühaufsteher. Gut, ich stand nicht um 06:00 Uhr morgens auf, aber doch um 08:00 Uhr, um die Ruhe zu genießen, bevor das Haus endgültig zum Leben erwachte.
      Nach weiterem Hin und Herdrehen wurden meine Augen immer schwerer und die sanften Wogen des Schlafes kamen über mich. Warme, angenehme Stimmen riefen mich zu sich und kurz darauf versank ich bodenloser Dunkelheit. Leider rettete mich diese Dunkelheit nicht davor, nicht nachzudenken.

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