Vieles ergab in diesem Moment noch keinen Sinn. Das Einzige, dass Sinn ergab war die Tatsache, dass ich wohlbehütet und sicher in Rykers Armen lag. Nur wage bekam ich mit, wie jemand die Erzeugerin von Thalia und mir mitnahm. Erst nach und nach kam ich langsam wieder in der Realität an und stieß ein erleichtertes Schluchzen aus, ehe ich mich an Ryker schmiegte und seinen Duft einsaugte. Ein raues Lachen hallte in meinen Ohren wider und er strich sanft über meinen Arm. »Es ist alles gut. Wir leben noch.« Diese Erkenntnis setzte sich nur langsam in mir fest. Ein Teil in mir hatte einfach... Angst. Angst vor dem, was hätte passieren können. Angst vor dem, was beinahe passiert wäre. Sie alle hätten... erschrocken löste ich mich von Ryker und blickte in die Richtung der Werwölfe, die am Boden lagen.
Einige von ihnen hatten sich bereits in Menschen verwandelt und hatten schon wieder die Augen offen. Ärzte knieten bei ihnen und untersuchten sie. Erleichterung durchströmte mich und ich sank erneut gegen Ryker. Sanft küsste er meinen Kopf. »Siehst du? Es ist doch alles gut.« Mein Blick glitt zu dem jungen Mann, der in die Leere starrte. Nein, nicht in die Leere. Er starrte auf die Stelle, an der meine Erzeugerin gewesen war. Eine Ärztin kniete sich vorsichtig und sanft zu ihm und strich über seine Wange. Im ersten Moment hielt ich diese Geste für zu intim für eine Ärztin, die sich nur um einen Verletzten kümmern wollte.
Als der junge Mann allerdings innehielt und sie dann mit großen Augen ansah, wurde mir klar, wer sie war. »Ich bin so froh, dass dir nichts weiter passiert ist, Jerome«, stieß die junge Frau aus und schlang dann ihre Arme um ihn. Wie erstarrt lag er in ihren Armen, ehe er sie fest an seinen Körper zog und das Gesicht in ihrem Hals vergrub. Da mich diese Szene nichts anging wandte ich den Blick ab und sah stattdessen Ryker an, der mich musterte. »Siehst du? Es ist alles gut.« Ein Teil in mir wollte das noch nicht ganz glauben. Konnte es nicht glauben. Denn war denn wirklich alles gut? Es sah so aus. Thalia lag in Dads Armen und weinte, an ihrer anderen Seite Tyler. Es waren Glückstränen. Mir war klar, dass wir alle viel durchgemacht hatten. Heute war ein... merkwürdiger Tag gewesen. Ein Tag, der sich nun langsam den Ende neigte.Die Sonne verschwand bereits hinter den Baumwipfeln und tauchte alles in ein rot-oranges Licht. Freude herrschte unter den Anwesenden. Niemand schien Angst zu haben. Alle schienen rund um glücklich zu sein. Alec und Jax wirkten ebenfalls erleichtert. Nur ein Teil in mir wollte sich den Moment des Glückes nicht erlauben wollen. Ein Teil in mir wartete darauf, dass gleich noch etwas passieren würde. Dabei sollte mir klar sein, dass dem nicht so war. Denn meine Mutter war nun bei der Polizei und die Hexen waren wieder spurlos verschwunden. Ryker war bei mir, Thalia hatte Tyler... und doch spürte ich, dass etwas fehlte. Es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, was mir fehlte. Meine Mutter. Heute hatte ich meine Mutter verloren.
Diese Erkenntnis traf mich wie eine riesige Welle und zog mich mit sich in die Tiefe. Immer tiefer und tiefer drohte ich in der Dunkelheit zu versinken. Trauer flutete meinen Körper, gepaart mit dem Gefühl des Verlusts. Nie in meinem Leben hätte ich gedacht sagen zu müssen, dass meine Mutter einer Fremden glich. Nie hätte ich erwartet eines Tages sagen zu müssen, dass meine Mutter für mich Geschichte war. Und doch war es so. Diese Erkenntnis verbreitete sich langsam in meinem Körper. Zu langsam. Ein Teil in mir... ein großer Teil in mir wollte wirklich nicht weiter daran denken, wollte diese Erkenntnis ausblenden, weil es mir egal sein sollte. Doch hier stand ich. Zitterte am ganzen Körper und wollte mich am liebsten verstecken. Die Frau, die mich großgezogen hatte, war von Anfang an nur einem Plan gefolgt.
Thalia und ich? Nur Teile eines Planes. Mein Vater? Nur Teil ihres tollen Planes... Fassungslos schüttelte ich den Kopf und bekam nur am Rande mit, wie die Polizisten unsere Daten aufnahmen, ehe sie davonfuhren. Das hier kam mir vor wie ein schlechter Traum. Ein Albtraum, aus dem ich erwachen wollte. Doch ich erwachte nicht. Weil es nichts zum Erwachen gab. Ich klammerte mich fester an Ryker, der seine Arme stärker um mich legte und mir einen Kuss auf den Kopf drückte. »Es wird dauern, bis es nicht mehr wehtut. Aber eines Tages tut es nicht mehr so weh wie heute und du wirst darüber hinwegkommen«, wisperte er. Mit tränenverschleiertem Blick sah ich zu ihm herauf und blickte geradewegs in seine braunen Augen. Durch die Tränen erkannte ich leider nicht, wie er mich ansah. Nur an seinem sanften aber dennoch bestimmten Griff spürte ich, dass er für mich da sein wollte. In diesem Moment wurde mir klar, dass es Jahre dauern würde, bis ich wirklich darüber hinweg war. Nicht nur, dass meine Schwester und ich Teil ihres dummen Planes gewesen waren, nein, sie hatte auch unsere Gefährten töten wolle. Nicht nur die. Sie hatte auch alle anderen Werwölfe töten wollen, die hier in der Umgebung lebten. Eisige Schauer jagten über meinen Rücken. Noch immer war es für mich unverständlich, wie man ein Leben nur aus diesem Grund auslöschen konnte.
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Lupi mannariSeit ihrem Unfall fühlt Lani sich verloren. Ihr Herz fühlt sich seltsam leer und eingespeert. Nur weiß sie nicht warum. Es ist als würde ihr etwas fehlen. Und ihre Mutter macht ihr Leben nicht besser, in dem sie sie fast zu Hause einsperrt. Auf der...