21. Kapitel

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     Nachdem ich mich beruhigt hatte und der Strudel meiner Gedanken abgeklungen war und es in meinem Kopf wieder friedlich war, standen Alec und ich auf. Erst jetzt, als sich sein Körper von meinem löste, viel mir die Kälte auf, die sich um uns gelegt hatte. Der Tag neigte sich dem Ende und die Sonne schien schon zu verschwinden. Dementsprechend war es kühl, als Alec nicht mehr seinen Arm um mich gelegt hatte. Fröstelnd schlang ich nun meine Arme selbst um meinen Kopf. Alec betrachtete mich. »Versteh mich nicht falsch aber ich möchte nicht noch enger bei dir sein, denn sonst reißt er mir vermutlich den Kopf ab...«, meinte Alec und kratzte sich am Nacken. Ein kleines Lachen entschlüpfte meinen Lippen. »Schon okay. Obwohl ich nicht denke, dass er das wirklich tun würde. Ryker mag dich doch und er weiß, dass du nur für mich da sein wolltest.« Alec zuckte mit den Achseln.
      »Natürlich aber in der Hinsicht sind Werwölfe alle etwas gleich. Sobald der Geruch deines Gefährten oder deiner Gefährtin an jemand anderem klebt, wirst du automatisch wütend. Das ist nun mal so.« Herausfordernd hob ich eine Braue. »Es wäre also besser ich erfriere, oder wie?« Alec schüttelte grinsend den Kopf. »Natürlich nicht. Ich denke nur, dass es Ryker durchaus lieber wäre, wenn er selbst seine Arme um dich legen könnte.« Ein schwerer Seufzer kam mir über die Lippen. »Gott seid ihr anstrengend. Also wirklich.« Alec grinste. »Ryker ist ja noch harmlos. Bei Jax hätte ich eher Bedenken. Er kann ganz schön besitzergreifend sein. Zwar nicht übermäßig, aber er kann das ganz gut. Nicht so schlimm wie Tamlin, aber auch nicht wie Rhysand. Eine merkwürdige Mischung aus beiden irgendwie.«
      Bei den beiden Namen runzelte ich die Stirn. In unserem Dorf hatte ich schon oft diese beiden Namen gehört, sie aber nie richtig zuordnen können. »Tamlin und Rhysand?« Alec nickte und bekam rote Ohrenspitzen. »Ich habe „Das Reich der sieben Höfe" gelesen.« Überrascht sah ich ihn an. »Du liest?« Er zuckte mit den Schultern. »Gelegentlich.« Auf meine Lippen legte sich ein breites Strahlen. »Schämst du dich etwa dafür?« Wieder ein Schulterzucken. »Nicht unbedingt. Manche lachen einen nur aus, wenn man sagst, dass man gerne liest. Besonders, da „Das Reich der sieben Höfe" eher als Mädchenbuch von vielen angesehen wird, obwohl ich der Meinung bin, dass man durch dieses Buch auch viel als Junge lernen kann.« Ich nickte. Auf dem Weg zurück zu meinem goldenen Gefängnis erklärte er mir, was ihn an dieser Reihe fasziniert hatte und warm er es so sehr mochte, da ich noch nie davon gehört hatte, es aber auch nie lesen würde.
      Er schien großen Spaß daran zu haben es mir zu erklären und es freute mich, dass ihm diese Bücher so gut gefielen. Es war schön ihn so darüber reden zu hören. Es war schön, dass er Freude an Büchern hatte. Seine Gesellschaft ließ mich zumindest für den Moment vergessen, was alles passiert war. Es lenkte mich einfach ab. Wenn er über Bücher sprach, lenkte es mich ab. Zwar hatte ich selbst kaum Ahnung davon, doch ich genoss es einfach ihm dabei zuzuhören, da man bemerkte, wie wichtig ihm dieses Thema zu sein schien. So wichtig, dass es gar keine andere Möglichkeit gab, als ihm zuzuhören. Der Weg zu meinem goldenen Gefängnis verlief schneller als erwartet und kaum hatte ich mich versehen standen wir vor dem Haus.

      Alec betrachtete es von oben bis unten und schüttelte seinen Kopf. »Ich hätte mich schon längst verlaufen.« Ein leises Lachen entschlüpfte meinen Lippen. »Als Kind ist mir das tatsächlich oft passiert«, erwiderte ich und sah ihn an. Ein verhaltenes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er grinste. »Ja, das wäre mir vermutlich auch passiert. Glaub mir. Ich kann das sehr gut verstehen.« Ich grinste etwas. Dann holte ich einmal tief Luft. Alec drückte meine Schulter. »Das wird schon. Ryker ist noch da. Wenn du mit ihm reden willst, dann rede mit ihm. Wenn ich eins gelernt habe, ist es, dass auch das Leben als Werwolf kurz sein kann. Wenn du nicht bereit dafür bist, dann ist das okay, aber stoße ihn bitte nicht von dir. Ryker liebt dich. Auch, wenn er das bestimmt noch nicht gesagt hat. Aber er würde alles tun, damit du in Sicherheit bist.« Mein Blick glitt zu ihm.
     In dem Moment realisierte ich, dass er recht hatte. Das Leben konnte verdammt kurz sein. Zu kurz, um ständig in der Vergangenheit zu leben. Zu kurz, um ständig Trübsal zu blasen. Dennoch wusste ich auch, dass ein Teil in mir Angst davor hatte mit ihm darüber zu sprechen, der andere Teil in mir wollte jedoch Antworten haben. Antworten darüber, wie wir uns kennengelernt hatten und was alles passiert war. Ich wollte Antworten. Ich brauchte Antworten. Ich musste es einfach hören. Unwillkürlich zogen sich meine Lippen nach oben, als mich Dankbarkeit über Alec durchflutete. »Danke, dass du heute für mich da warst. Das hat mir sehr viel bedeutet.« Er wank ab. »Ach nicht der Rede wert. Das macht man doch für Freunde. Du hättest es auch für mich getan.« Ich nickte. Natürlich hätte ich das getan. »Du bist ein guter Freund geworden, auch wenn wir nicht so viel Zeit miteinander verbracht haben. Du bist wirklich ein guter Freund.« Alecs Lippen wurden von einem Lächeln nach oben gezogen.
     »Du bist auch eine sehr gute Freundin für mich. Wirklich. Irgendwie bin ich froh, dass Ryker zu uns gekommen ist und wir dich so kennenlernen konnten. Etwas sagt mir, dass alles irgendwo seinen Sinn hatte. Das soll natürlich keine Ausrede sein, aber anders könnte ich es mir auch nicht vorstellen.« Nachdenklich betrachtete ich den jungen Mann neben mir und wusste nicht so ganz, wie ich reagieren sollte. Klar hatte etwas immer seinen Sinn aber... es hätte anders auch funktioniert. Irgendwo war ich der Meinung, dass Ryker so oder so vermutlich zu Jax gefunden hätte. Vielleicht hätte er dann noch immer sein eigenes Rudel gehabt und Jax und er wären nur beste Freunde geworden, aber sie hätten einen Weg zueinander gefunden.
     Allerdings konnte ich auch Alecs Meinung verstehen, obwohl ich größtenteils wiedersprechen wollte. Der Widerspruch wurde von meiner Seite aber sofort heruntergeschluckt und ich holte stattdessen noch einmal tief Luft. »Dennoch bin ich wütend auf meine Mutter...« Alec sah mir in die Augen und Verständnis flackerte in seinem Blick auf. »Ich weiß. So würde es mir auch gehen. Aber denk daran, dass deine Wut auf andere dich selbst auch kaputtmachen kann. Manchmal muss man verzeihen, sollte aber nicht vergessen.« Ein kleines Schmunzeln zog meine Mundwinkel nach oben. »Wie soll denn das gehen?« Alec zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Ich habe es mal in einem Buch gelesen und dachte, dass da etwas Wahres dran ist. Wie genau man das aber macht ist mir selbst ein Rätsel.«
»Dann versuche ich mal es herauszufinden.«

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