18. Kapitel

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     Eine weitere Woche war vergangen, in denen Ryker und die anderen den Werwolf nicht aufgespürt hatten. In dieser Woche hatte es keine Todesfälle mehr gegeben und doch waren alle vorsichtig. Niemand wagte sich nachts mehr auf die Straßen oder generell in den Wald. Werwölfe bekamen erste Drohungen, wie Ryker mir berichtet hatte. Thalia wurde auch angefeindet, da sie mit Tyler zusammen war. Momentan war alles etwas... aufgeladen. So wirkte es zumindest. Aufgeladen und überhitzt. Meine Mutter war noch schlimmer geworden in den letzten Tagen. Mittlerweile war sie so penetrant, dass sie mich von der Arbeit abholte um mich nach Hause zu fahren, nur um dann wieder zur Arbeit zu fahren. Oft hatte ich ihr gesagt, dass das nicht nötig war, doch in der Hinsicht konnte man sie nicht umstimmen.
      Angst regierte ihre Welt mit erhobenem Haupt. Auch Thalia wollte sie am liebsten nach Hause beordern, doch Thalia und Tyler hatten sofort gesagt, dass sie das nicht machen würden und dass Thalia bei ihm sicher war. Eigentlich war nichts Neues los und doch schien alles anderes zu sein. Die Geschäfte machten früher zu, Leute wagten es kaum noch hinaus zu gehen und Werwölfe wurden gemieden. Jedenfalls die, die einige nicht so gut kannten. Schwer seufzte ich, da ein Teil in mir es nicht verstand. Es war nur ein Werwolf. Nur einer. Ich verstand nicht, warum man dann anderen Werwölfen Drohbriefe schreiben musste oder ihnen gar androhte sie zu töten. Ein Teil in mir wurde daraus einfach nicht sonderlich schlau. Nachdenklich trank ich einen Schluck Tee und sah aus dem Fenster. Der Frühling zeigte sich noch nicht von seiner ganzen Seite, sondern schwankte immer mal wieder über.
     Diese Woche hatten wir erneut ein Kältetief von 5 Grad. Dunkle Wolken lagen über dem Himmel, verdeckten die Sonne und hielten die Wärme davon ab zu uns durchzudringen. Durch meinen Job bekam ich die Kälte gar nicht so richtig mit. Eigentlich bekam ich kaum mehr etwas mit. Erst wenn ich wieder nach Hause kam oder Ryker anrief oder mit ihm schrieb, kam ich in der Realität an und erschrak immer wieder aufs neue darüber, wie sehr ein Tag etwas verändern konnte. Immer wieder fragte ich mich, wie schlimm es wohl noch werden würde. Der warme Blutorangentee hatte auch nicht die gleiche Wirkung wie sonst. Noch immer war ich aufgewühlt. Ryker hätte vor einer halben Stunde anrufen sollen und mir berichten sollen, wie es gelaufen war. Sie hatten mal wieder nach dem Werwolf gesucht, da sie nicht glaubten, dass er verschwunden war. Unruhig sah ich auf mein Handy, erhoffte mir nun eine Antwort zu entdecken.
      Fehlanzeige. Keine neuen Nachrichten, auch keine Anrufe. Schwer schluckte ich und warf einen Blick auf die Uhr. Dann sah ich wieder aus dem Fenster, in der Hoffnung, ihn dort vielleicht stehen zu sehen. Nichts. Nur die Vögel, die sich anmutig durch die Luft bewegten und ein paar Leute, die um die Uhrzeit noch spazieren gingen. Meine Eltern würden bald da sein und dann würde ich nicht mehr so ungestört mit ihm telefonieren können. Doch mir war es überhaupt mal wichtig, ein Lebenszeichen von ihm zu erfahren. Irgendeins. Nervös zuckten meine Finger hin und her, schon zum zehnten Mal rührte ich den Tee um, der immer kälter und kälter wurde. Ein erneuter Blick auf die Uhr, ein erneutes Umrühren und doch noch immer keine neue Nachricht auf meinem Handy. Vor meinen Augen spielten sich die wildesten Szenarien ab. Immer und immer wieder. Ich sah Ryker blutend am Boden, nach Luft schnappend.

     Ich sah die anderen, die ihn nicht retten konnten, da der andere Werwolf noch immer über ihn gebeugt war, die Zähne fletscht, die Pranken in seiner Brust. Diese schaurigen Bilder sorgten dafür, dass Übelkeit in mir aufstieg, ich aber dennoch nichts tun konnte, außer weiterhin zu warten. Ihm zu Schreiben würde vermutlich auch nicht viel bringen. Dennoch wagte ich es. Allerdings brauchte ich für diese Nachricht fünf Minuten, da ich das Beben min meinem Körper nicht mehr zurückhalten konnte. Dann war die Nachricht über WhatsApp verschickt. Nur ein Haken. Ein verdammter Haken! Schweiß trat auf meine Stirn und die kalten Klauen der Angst bohrten sich in meinen Kopf, überspielten Bilder und sorgten dafür, dass ich nicht mehr klardenken konnte. Ich sah Bilder, die gar keine Bilder waren, ich hörte Schreie, wo keine Schreie waren. Ich stellte mir so viel vor und wurde immer nervöser.
      Immer unruhiger. In Eile warf ich einen Blick auf die Uhr, dann starrte ich wieder auf die Haken. Nur ein Haken. Mein Herz pochte wild in meiner Brust. Angst... pure, reine Angst, die ich so zuvor noch nie empfunden hatte. Die Angst, die ich momentan empfand, ängstigte mich, denn ich wusste nicht, wie ich mit ihr umgehen sollte. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Sollte ich mich ihr hingeben? Weiter rational denken? Sollte ich aufstehen und ihn suchen? Sollte ich hier bleiben und warten? Was sollte ich tun? Was war richtig? Was war falsch?

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