8. Kapitel

2K 126 10
                                    

    Vor mir erstreckte sich ein dunkler Raum. Im ersten Moment dachte man, dass die Wände nur schwarz wären, doch dann erkannte ich die weißen Punkte an der Decke und an den Wänden. Weiße Schränke standen im Zimmer, sie waren gefüllt mit Filmen über Filmen, CDs und ein paar Büchern über Sport, aber auch viele Bücher, die auch mir bekannt vorkamen. Er hatte „Die Bestimmung" in seinem Regal stehen. Allerdings war nicht die Leseratte. Ich hatte den Film dazu gesehen und er besaß noch unzählige weitere Bücher, die ich nicht kannte. Neben Filmen ging ich gerne Joggen oder faltete gerne Origami. Er war einer der wenigen männlichen Wesen auf dem Planten, das las. »Du liest gerne?«, hakte ich nach. Er sah mich an und lächelte. »Ja, das könnte ich Stunden lang machen. Sonst gehe ich gerne im Wald joggen oder so.«
      Meine Augen leuchteten auf. »Ich jogge auch gerne.« Sein Lächeln wurde etwas breiter und ein Strahlen trat in seine Augen. Ein Strahlen, dass dem Schein der Sonne Konkurrenz gemacht hätte, wenn sie denn scheinen würde. Sein Blick bohrte sich intensiv in meine Augen und so langsam schien ich nicht mehr zu wissen, in welche Richtung ich schauen sollte. Ich wusste es einfach nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Mir wurde ganz warm und ich spürte einen Kloß der Aufregung in meinem Hals. Als mir sein Blick zu intensiv wurde, wandte ich ihn ab und richtete meinen Blick auf seine Musiksammlung. Er schien sehr viele Interpreten zu mögen. Von Enrique Iglesias, bis Shawn Mendes war ungefähr jeder einmal vertreten. Bei ihm schien es fast alles zu geben außer Rap und Rock.
      »Du hast wohl keinen klaren Musikgeschmack«, stellte ich dämlicherweise fest. Zu meinem Glück lächelte er und nickte mir zu. »Ja... ich kann mich nicht wirklich festlegen. Wenn mir ein Song gefällt, dann gefällt er mir eben. Egal aus welchem Genre er kommt.« Bei seinen Worten musste ich lächeln. Und doch stellte ich fest, dass er überwiegend Pop-Musik in seinem Regal stehen hatte. Was nicht schlimm war. »Das ist lustig. Wenn man mich nach meinem Musikgeschmack gefragt hat, habe ich genau das Gleiche gesagt. Ich wusste auch immer nie, welche Richtung ich besser finde. Ich kann alles außer Rap hören. Rock geht ab und an, wenn es ein guter Song ist, aber Rap geht in meinen Augen nicht wirklich. Ich mag Rap einfach nicht so außerdem verstehe ich meist nur ein Wort oder so.« Ryker lachte auf.
      »Vermutlich geht das uns allen so, glaube ich. Viele können sich nicht für eine Musikrichtung entscheiden, glaube ich. Weil es einfach so viele Songs gibt, die gut sein können. Aber ja, im Rap versteht man manchmal wirklich nur ein Wort.« Die Stimmung zwischen uns war sehr locker und ich war froh darüber, dass es so gut ging. Ich war froh, dass die Anspannung komplett von ihm abgefallen war. In seiner Nähe fühlte sich alles locker und leicht an, als müsste man vor nichts Angst haben. Als könnte man alles schaffen, wenn man nur wollte. Mein Herz schlug befreiter und die Welt schien auf einmal viel freundlicher zu sein. Besser. Obwohl dicke Wolken den blauen Himmel bedeckten fühlte es sich dennoch so an, als würde die Sonne scheinen und das war ein schönes Gefühl.
     Der Tag wirkte in seiner Nähe viel heller. In meinem großen Gefängnis wirkten trübe Tage immer so dunkel wie die Nacht und helle Tage wirkten nur halb so hell, wie sie es hier taten. In meinem XXL-Gefängnis kam mir alles trüb und dunkel vor. Von außen sah das Haus wunderschön aus, doch von innen war es alles andere als das. Jedenfalls für mich nicht. »Und? Was machen wir?«, hakte ich nach und wich seinem Blick noch immer aus. Ich war es nicht gewohnt, dass jemand mich so intensiv ansah. Es war... leicht befremdlich. Irgendwie jedenfalls. In meinen Augen konnte ich damit nicht so gut, wie ich eigentlich sollte. »Wir können einen Film sehen. Was magst du denn für Filme? Ich habe eine große Auswahl hier«, sagte er und deutete auf sein Regal, das über und über mit Filmen gefüllt war. Mein Blick blieb an einem Film hängen, den ich ihm niemals zugetraut hätte. »Du... du hast „Spirit – Der wilde Mustang" hier?« Überrascht sah ich ihn an. Ryker nickte.

     »Ja, der Film ist mir sehr wichtig und die Message, die er ausdrückt, ist auch sehr wichtig. Deswegen habe ich ihn hier. Möchtest du ihn ansehen?« In dem Moment wusste ich nicht, ob ich ihn umarmen, küssen oder... sonst was mit ihm tun sollte. Manche Mädchen die sagten, wenn ein Typ dein Lieblingsbuch gelesen hat, dann heirate ihn. Galt das auch für Männer, die deinen Lieblingsfilm im Regal stehen hatten und genauso wertschätzen wie du? Ich wusste es nicht. Und doch schlug mein Herz gerade schneller. »Können wir mehrere Filme ansehen?«, fragte ich. Er nickte. Ich lief zum Regal. Als erstes zog ich „Spirit" heraus, dann „Venom" und dann einen Film, den ich auch nicht in seinem Regal erwartet hatte. „Mein geliebter Haustyrann" war ein Film über eine Familie, die nur Dackel kaufte. Bei dem Kauf neuer Dackel bekam der Mann aber eine dänische Dogge mit, die keiner wollte. Man kann sich vorstellen, dass die Dogge bei ihrer Größe etwas... ungeschickt war.
      Ryker lächelte und sah mich an. In seinen Augen lag so viel Wärme, dass ich mich im ersten Moment fragte, wie er einem Menschen nur so viel Wärme zeigen konnte. Für ihn schien das aber ein Leichtes zu sein. »Wie ich sehe möchtest du heute eine bunte Mischung«, meinte er und grinste von einem Ohr zum anderen. Eilig nickte ich. Eine bunte Mischung an Filmen war immer gut, wenn man sich nicht entscheiden konnte. Ehe ich mich versah nahm er mir den Pferdefilm aus der Hand und schob ihn ins DVD-Lauffach und dann sah er mich wieder an. »Sag mal, möchtest du was Essen oder Trinken? Also unter Essen verstehe ich Knabberzeugs. Du scheinst ja Chips zu mögen«, fragte er mich und bei seiner Aufmerksamkeit stutzte ich etwas.
      Natürlich hatten die Chips oben in meinem Einkaufskorb gelegen, aber gleichzeitig hatte ich das Gefühl gehabt, dass er immer nur mich angesehen hatte. Anscheinend hatte er aber genau gesehen, was ich mir gekauft hatte. Momentan war mir aber nicht wirklich nach Chips. Eigentlich gar nicht. Mein Magen war gefüllt von einem merkwürdigen Kribbeln, dass in seiner Nähe immer stärker zu werden schien. Nervosität stieg in mir auf, obwohl das eher untypisch für mich war. Dennoch war ich nervös. Nicht furchtbar nervös, aber nervös, während Ryker mich noch immer ansah und auf eine Antwort wartete. »Ähm... Hunger habe ich nicht wirklich und ich weiß nicht, was ihr für Getränke dahabt«, erwiderte ich und war heilfroh darüber, dass meine Stimme nicht zitterte. Denn das geschah mir nur selten und wenn es geschah, dann musste das etwas heißen. Doch zu meinem Glück war ich noch relativ ruhig.
      »Wir haben Wasser, Cola, Fanta und Sprite im Haus. Oh und Sirup. Also Orangensirup, Zitronensirup und so was.« Bei den letzten beiden Aufzählungen mussten meine Augen aufgeleuchtet haben, denn ein wissendes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er sagte: »Wasser mit Sirup also. Welchen möchtest du gerne haben?« Ich grinste von einem Ohr zum anderen und fühlte mich so wohl. Schon lange hatte ich keinen Sirup mehr bekommen, weil meine Mutter meinte, dass wir nur Wasser trinken sollten und nichts anderes. Niemals. Mir war bewusst, dass Wasser besser war, aber niemand starb davon, wenn er sich einen kleinen Schuss Sirup ins Wasser schüttete, um etwas Geschmack zu bekommen. Denn manchmal schmeckte Wasser einfach... fad...Jedenfalls war das mein Gefühl. »Orangensirup bitte.« Ryker lächelte, dann verschwand er.
      Während er die Getränke holte, nahm ich die Fernbedienung und drückte auf „Englisch", ehe es zum eigentlich Film überging. Ich betrachtete das aufwendig gestaltete Menü. Damals hatten sich die Filmemacher noch richtige Mühe gegeben. Wenn man das Menü aufmachte, war erst alles grau und man sah, wie die Computeranimation langsam aber sicher bunt wurde. Am Ende standen Spirit, Rain, der Adler und der Indianer auf dem Menü. Jeder von ihnen stand für ein anderes Feld im Menü und wenn man sie anklickte, bewegten sie sich und machten ihre Filmgeräusche. Schon allein für das Menü hatte ich mich in den Film verliebt. Ich wusste nicht, ob das bei den neueren DVDs auch noch so war. Ich wusste nur, dass es bei der ersten DVD so war. Als Ryker wiederkam und wir uns auf sein etwa 1,40 m breites Bett gesetzt hatten und uns an die Wand lehnten, ging der Film los. Wir sagten kein Wort sondern ließen uns von dem Film forttragen.
      In eine Zeit, in der wilde Pferde noch frei waren. In eine Zeit, in der der Westen Amerikas noch den Indianern gehört hatte, bevor die Weißen gekommen waren, um alles an sich zu reißen. Die Wut verdrängte ich und konzentrierte mich nur auf den Film. Sah zu, wie der Adler durch die schönste Landschaft flog, über einen Fluss hinweg, über eine Herde wilder Pferde hinweg. Obwohl ich den Film kannte, liebte ich ihn immer wieder. Ich liebte die Liebe zum Detail, auf die hier im Film geachtet worden war. Die unendlichen Weiten des Westens waren so unglaublich gut eingefangen und man nahm sich immer mal wieder Zeit, es im Film zu zeigen. Natürlich war es auch ein Kinderfilm, aber auch Erwachsene konnten diesen Film ansehen, ohne das ihnen langweilig wurde. Es gab Spannung, Schüsse, Kämpfe und all das. Die Message dieses Films war hier das ausschlaggebende, was mich daran erinnerte, was Netflix und Dreamworks mit Spirit getan hatte. »Hast du auch schon von der neuen Serie gehört? Die mit „Spirit", der eigentlich Spirits Sohn ist?« Schon allein diese Aussage ließ mich zusammenzucken. Warum sollte Spirits Sohn auch Spirit heißen? Das machte keinen Sinn.

Caged Hearts ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt