Der Milchshake schmeckte fantastisch. Alles schien fantastisch. Erst nach und nach begriff ich, dass ich jetzt einen Job hatte. Ich begriff, dass ich nun arbeiten würde, wie jeder andere ich. Ich begriff, dass ich die erste kleine Hürde zu meiner Freiheit geschafft hatte. Hochgefühle rauschten durch mich hindurch und blieben in jeder Pore meines Körpers stecken. Sie blieben dort und ließen mir garkeine andere Wahl als glücklich zu sein. So glücklich war ich noch nie in meinem Leben gewesen. Meine Augen ruhten auf Ryker, der lächelnd seine Pancakes aß.Wir aßen eine Art Frühstück. Die Sonne schien, der Himmel war blau, der Milchshake schmeckte fantastich. Alles war schön. Alles war perfekt. Etwas in mir konnte gar nicht beschreiben, wie glücklich ich war. Es war einer dieser Tage, an denen ich nicht unglücklich sein konnte.
„Ich bin sehr stolz auf dich, Lani", widerholte Ryker erneut, damit ich es auch ja nicht vergaß. Seine Worte waren wie Balsam für meine Seele. Motivierten mich dazu mehr zu wollen, mehr zu können. „Gott, ich freue mich so auf morgen", stieß ich voller Euphorie aus, was Ryker lächeln ließ. Er grinste mich an. Von einem Ohr zum anderen. „Das glaube ich dir. Ich finde, dass du auch geeignet dafür bist." Sein letzter Satz irritierte mich. Wir kannten uns noch nicht so lange und er sagte schon, dass ich dafür geeignet war. Ein Teil in mir konnte das nicht ganz glauben. Denn er kannte mich schließlich nicht. Na ja, noch nicht ganz. Doch er schien fest davon überzeugt zu sein. „Woher möchtest du das wissen?" In diesem Moment leuchtete so etwas wie Panik in seinen Augen auf und er spannte sich an. Unsicher rieb er sich über den Nacken, seine dunklen Augen glitten durch den Raum, nur nich zu mir.
Seine Augen glitten über die Besucher desCafès hinweg, über die bunten Sitzbänke, über die Bilder an den Wänden, über die Theke, an der die schönsten Gebäcke ausgelegt waren. Alles mögliche. Ein Teil in mir glaubte, dass er mir etwas verheimlichte. So sah es zumindest aus. „Ich..." Ryker kratze sich am Nacken und schien nach einer Antwort zu suchen. Diese schien er im Raum finden zu wollen, doch fand sie nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Schließlich glitt sein Blick wieder zu mir. „Man erkennt es an deiner Art. Auch wie du am Wochenende mit den Zwillingen umgegangen bist oder auch mit Alec. Man merkt es dir einfach an." Ungläubig hob ich eine Braue, da ich es nicht ganz verstehen konnte. Meine Gedanken versuchten sich aus diesem Wirrwar an Informationen einen Reim zu machen, doch weit kam ich dabei leider nicht. Ich versuchte ja eins und eins zusammenzuzählen, verstand allerdings einfach nicht, wie er zu diesem Schluss kam. Irgendwann gab ich dann aber nach und nickte einfach, nicht mehr in der Lage noch weiter darüber nachzudenken.
„Ja, ich denke das war eine gute Wahl. Sport und gleichzeitig noch soziale Interaktion ist immer gut. Wirklich." Ryker nickte und nahm herzhaft noch einen Bissen von seinem Pancake mit Ahornsirup. Ich hatte mich für den Milchshake und einen Donut entschieden. Der Donut war bereits in meinem Magen zu Brei verarbeitet und doch war er sehr lecker gewesen. So lecker wie nichts anderes auf der Welt. „Der Pancake scheint dir ja zu schmecken", meinte ich und nahm einen Schluck von meinem Milchshake. Ein Nicken war die einzige Regung die ich bekam, da er noch mit Kauen beschäftigt war. Dann, nachdem er damit fertig war, erwiderte er: „Ja, das ist er wirklich. Möchtest du probieren?" Schnell, aber mit einem Lächeln schüttelte ich den Kopf. „Iss du nur." Ryker zuckte mit den Schultern und aß weiter. Während er aß sah ich mich immer mal wieder um. Immer mal wieder versuchte ich zu erkennen, ob jemand in unsere Richtung sah.Zu ihrem Glück taten die meisten das nicht. Stattdessen unterhielten sie sich über die Footballspiele von gestern, diskutierten darüber, welche Mannschaft das beste Spiel abgeliefert hatte und welche nicht. Da ich nicht viel über diesen Sport wusste, hörte ich gar nicht erst zu sondern warf einen Blick auf den kleinen Bildschirm an der Theke, der momentan die Nachrichten zeigte. Als Greendale erwähnt wurde, wurde auch sofort erwähnt, dass es nun schon drei Tote gab. Die Luft blieb mir weg. Ein Kind. Dort auf dem Bild war kleiner Junge zu sehen, von dem nicht mehr viel übrig war. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, während Kälte durch meinen Körper rann. Unsicher sah ich zu Ryker, der nun auch den Blick hob und zum Bildschirm sah. Der fröhliche Ausdruck auf seinen Zügen gefror. Zurück blieb eine eiserne, erstarrte Miene. Sein Adamsapfel hüpfte, als er schwer schluckte. Ryker holte tief Luft, als erwähnt wurde, dass der Junge gerade mal sechs Jahre alt gewesen war.
Eine drückende Stimmung legte sich wie eine Glasglocke über den Raum, dämpfte alles von außen ab und setzte uns unseren Gefühlen aus. Einige Besucher im Cafè senkten ihre Blicke, eine Frau schluchzte und eine andere weinte, als sie das Bild sah. Mit erstickter Stimme sagte sie: „Das war der Junge meiner Nachbarn." Wir alle wurden still, der Ton wurde lauter gestellt. „Bis jetzt ist noch nicht bekannt, wer dieser Werwolf ist. Experten und auch andere Rudel gehen von einem kranken Werwolf aus. Welche Krankheit es ist, oder was dem Werwolf passiert sein könnte, weiß niemand. Die Werwölfe bestätigen, dass der Werwolf einen wilden Ausdruck in den Augen hat und nicht mehr bei Sinnen zu sein scheint. Wie genau das möglich ist, weiß niemand. Wir halten jeden Bewohner an momentan nicht in den Wald zu gehen und auch nachts nicht mehr auf die Straße zu gehen."
Erdrückenede Stille, gepaart mit eisiger Kälte legte sich um uns. Eine schwere Last legte sich auf meine Schultern und drückte auf meine Lungen. Das Atmen fiel mir schwer und ich wusste nicht genau, was ich tun sollte. Alles schien sich zu drehen. Zu drehen und zu drehen. Über den Tisch hinweg nahm Ryker meine Hand und drückte sie sanft. Die überraschende Berührung riss mich aus meinen Gedanken und sorgte dafür, dass die Klauen der Panik und der Angst mich nicht zu fassen bekamen. Sie verflüchtigten sich in der Sekunde, als er mich berührte. Mit traurigem Blick sah ich ihn an. Ryker zwang seine Mundwinkel nach oben, um mich zu motivieren, doch leider fand ich es alles andere als motivierend. Ich fand es schrecklich. Natürlich war ein Kinderleben nicht mehr wert als das eines Erwachsenen aber es war doch immer schockierend, wenn ein Kind starb.
Denn Kinder hatten noch ihr ganzes Leben vor sich. Die Vorstellung, wie der Kleine vor Angst gezittert haben musste, versetzte mich in eine Art Starre. Unwohlsein erfüllte mich von der Zehenspitze, bis zum Ende meiner Haare. Es war unerträglich. Ein Kind... er musste vor Angst so gezittert haben... bildlich stellte ich mir vor, wie er mit weitaufgerissenen Augen am Boden lag, der Werwolf über ihm. Lebhaft spielte sich diese grausame Szene vor meinem inneren Auge ab, als wäre ich selbst dabei gewesen. Natürlich war ich es das nicht gewesen, dennoch sah ich eine Szene vor mir. Vielleicht auch nur deshalb, weil ich den Werwolf selbst gesehen hatte. Diesen mordlustigen Ausdruck in seinen Augen. Diese... diese Leere. Wie bei einem Geist. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so gefühlt. Noch nie. „Lani", riss mich Rykers Stimme aus meinen Gedanken. Sofort sah ich zu ihm.
„Lani, atme. Denk nicht daran", hauchte er und drückte meine Hand fester. Schließlich nickte ich und holte einmal tief Luft, als könnte mir das helfen. Nur tat es das nicht. Jedenfalls nicht viel. Es war eher eine Qual. Eine reine Qual. Die Leute spähten in unsere Richtung, als sie meinen Namen hörten. Den Namen, den man ab und an in der örtlichen Zeitung oder gar im Fernsehen laß oder hörte. Lani Walters... die Lani Walters. Manchmal wünschte ich mir, dass ich meinen Namen ändern konnte. Einfach einen anderen Namen. Eine andere Person. Frei von dem Vorteil, reich und verwöhnt gleichzeitig zu sein. Doch leider war das nur ein Wunschdenken. Wunschdenken, dass ich nie erreichen könnte. Niemals. Es ging nicht. Die Leute würden mich dennoch erkennen. Lani Walters, blonde Haare, blaue Augen.
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Caged Hearts ✔
WerewolfSeit ihrem Unfall fühlt Lani sich verloren. Ihr Herz fühlt sich seltsam leer und eingespeert. Nur weiß sie nicht warum. Es ist als würde ihr etwas fehlen. Und ihre Mutter macht ihr Leben nicht besser, in dem sie sie fast zu Hause einsperrt. Auf der...