9. Kapitel

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    Mein Herz schlug wie verrückt, während ich mir ausmalte, was meine Eltern mir sagen würden. Jeder Schritt in Richtung des großen Hauses, dass ich eigentlich Zuhause statt Gefängnis nennen sollte, verursachte mir Magenschmerzen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich spürte den Drang, einfach umzudrehen. Er wurde mit jedem Schritt größer und größer. Um weiteren Halt zu finden drehte ich mich einmal um, um Ryker zu sehen, der versteckt im Wald stand und noch darauf wartete, bis ich im Haus verschwand. Von hier aus konnte ich seinen Blick nicht sehen, doch ich fand, dass seine Haltung sehr angespannt war. Als würde er jeden Moment gerne aus dem Gebüsch springen, um mich vor dem zu schützen, was auf mich zukam.
     Alles drehte sich. In meinem Kopf hörte ich bereits die schrille Stimme meiner Mutter dröhnen. Widerhallen, wie ein nervötendes Echo. Vor meinen Augen sah ich bereits den besorgten Blick meines Vaters auf mir ruhen. Angestrengt achtete ich auf meine Atmung, um ja nicht durchzudrehen. Immer wieder versuchte ich zur Ruhe zu kommen. Versuchte tief ein und aus zu atmen, doch leider ohne Erfolg. Im Gegenteil. Mein Herz schlug mit jeder Sekunde schneller und als ich schließlich die Hand an den Türöffner legte, spürte ich das kalte Metall der Tasten unter meinen Fingerkuppen. Die breite dunkle Tür wirkte wie das Tor in die Hölle. Mein persönliches Tor in die Hölle. Schlimmer als alles andere. Noch einmal holte ich tief Luft.
      Dann gab ich den Code ein, der sich in meinen Kopf gebrannt hatte, wie ein Brandzeichen. Das Geräusch der Tasten hallte so laut wie ein Donnergrollen wider. Laut und gefährlich. Gefahr bedeutend. Die Tür öffnete sich und ich trat hinein. Kaum hörte jemand meiner Familienmitglieder das Geräusch der Tür, ertönten schneller Schritte. Absätze klackerten über den Boden. Meine Mutter. Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, kam sie um die Ecke. Um sie herum eine dunkle Wolke aus Wut, Zorn in ihren Augen. Ihre Augen schienen förmlich zu glühen. Wie zwei Feuerbälle am Horizont. Sie kam granziös auf mich zu. Wenn man nur ihre Figur sehen würde, ihre Schuhe und ihre Frisur, dann würde man sie für einen Engel halten. Doch wenn man ihre Augen sah, wusste man, dass sie ein Teufel war. Ein Teufel, der keine Gnade kannte.
      Unruhig zog ich meine Schuhe aus und sah sie an. Kurz vor mir blieb sie stehen und sah mich fast von oben herab an. Wütend stämmte sie die Hände in die Hüften. „Junge Dame, du hattest vor eher zurückzusein. Was ist darauß geworden? Wo warst du?" Ihr Tonfall war schrill, aber beherrscht. Kein gutes Zeichen. Eine falsche Antwort und ich würde mich an Hausarrest für die nächsten drei Monate gewöhnen können. „Ich habe die Zeit ganz vergessen", erwiderte ich kleinlaut. Es war keine Lüge. Ich hatte die Zeit wirklich ganz vergessen. „Ach ja? Die Zeit einfach vergessen? Das ist dir nie passiert, Lani!" Nun wurde sie lauter. Die flasche Antwort. Eindeutig die flasche Antwort. „Ich... ja, es tut mir leid. Ich hatte einfach Spaß und war so lange nicht mehr draußen. Ich schwöre." Ich schwor nie. Ich schwor immer nur dann, wenn es wirklich wichtig war. Sie hob eine perfekt gezupfte Braue, die so perfekt war, dass sie dafür locker einen Preis hätte gewinnen können.
      Nur leider waren ihre Brauen nicht so. Sie waren nicht so gewachsen. Deswegen war ich nicht neidisch. „Du schwörst also? Du hast einfach die Zeit übersehen? Das willst du mir wirklich klarmachen?" Ich schluckte und nickte. „Ja, ich... ich habe die Zeit übersehen. Ich wollte einfach mal abschalten und Zeit für mich haben und nachdenken. Das war mir einfach wichtig." Sie sah mich an. „Na gut. Aber dein Vater war auch in Sorge. Er musste für einen Notfall in die Arbeit, aber na ja, ich soll dir sagen, dass er große Sorgen hatten und du das nächste Mal bescheidgeben solltest." Gerade nochmal davongekommen, dachte ich mir und atmete innerlich auf, äußerlich lächelte ich leicht vor mich hin und sagte: „Ja, ich werde das nächste Mal einfach bescheidgeben. Es kommt nicht mehr vor." Ich jedenfalls wusste, dass ich es nicht versprechen konnte. Jedenfalls nicht wirklich.
     Doch meine Mutter schien es zu glauben, denn sie lächelte, als wäre nie etwas gewesen. „Gut, da das geklärt ist, kannst du ja jetzt den Salat schneiden." Das tat ich. Es war mir lieber als Hausarrest.

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