27. Kapitel

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     Vor meinem inneren Auge sah ich, wie ich durch den Wald lief. Es war kühl. Herbstlich. Die Blätter fielen von den Bäumen oder färbten sich braun. Unter meinen Füßen lag nasses Laub. Ich sah, dass, je tiefer ich in den Wald lief, ich die Orientierung verlor. Und dann tauchte Ryker auf und ich spürte schon jetzt die kleine Verliebtheit, die sich damals anscheinend in mir breit gemacht hatte. Ich spürte mein Herzklopfen. Ich hörte deutlich seine Stimme, als er in meinen Erinnerungen fragte: »Haben Sie sich verlaufen?« Sprachlos nickte ich nur und fragte mich, warum ich damals nicht einfach mit Worten zugestimmt hatte.
      Dann verschwand diese Erinnerung und wurde von einer anderen ersetzt, in der wir zusammen durch den Wald joggten und uns näher kennenlernten. Wir fragten uns über Musikgeschmack, Filmgeschmack, Ansichten und andere Dinge aus. Ich spürte deutlich, dass ich, zu dem Zeitpunkt, schon viel für ihn empfunden hatte. Dann ging die Erinnerung weiter zu seinem Rudel. In meinen Erinnerungen konnte ich nun deutlich sehen, was meine Mutter gemeint hatte. Doch ich spürte, dass ich mich in Rykers Nähe niemals unwohl gefühlt hatte und er hatte mich immer verteidigt aber auch zugelassen, dass ich mich selbst verteidigte. Es folgten noch mehr Erinnerungen, die eher noch bruchstückhaft waren und nicht mehr von Bedeutung. Keuchend riss ich die Augen auf und sah Ryker an, der seine Zähne mittlerweile von meinem Hals gelöst hatte. Ein besorgter und ängstlicher Ausdruck verzerrte seine Züge.
       »Habe ich dir wehgetan, Lani?«, fragte er besorgt und musterte mich. Ich runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf?« Sanft fuhr sein Daumen über meine Wange. »Du weinst.« In dem Moment spürte ich das nasse Etwas, dass über meine Wangen rann. Schnell wischte ich sie fort und lächelte. Doch es kamen immer wieder neue Freudentränen nach. »Nein, ich kann mich nur erinnern. Zwar noch nicht an alles, aber an einiges«, wisperte ich. Rykers Augen weiteten sich vor Überraschung und er sah mich an als käme ich vom Mond. »Wirklich? Du erinnerst dich?« Ich nickte und ein Schluchzen kam über meine Lippen, ehe ich ihn an mich zog und fest umarmte. Rykers Muskeln entspannte sich und er drückte seine Nase in meine Halsbeuge.

      Er nahm einen tiefen Atemzug, als hinge sein Leben davon ab. »Ich bin so froh darüber, Lani. So glücklich.« Als seine Stimme gegen meinen Hals prallte, spürte ich dabei einen warmen Luftzug, der über meine Bisswunde glitt. Erst jetzt nahm ich dieses kleine Jucken wahr, von dem er gesprochen hatte. Dadurch, dass er mir so nahe war und seine Stimme meinen Hals traf, verschwand dieses Jucken. »Ich erinnere mich an unser erstes Treffen. Nur an den ersten Kuss erinnere ich mich nur schleierhaft«, flüsterte ich in sein Ohr, während ich mich näher an ihn schmiegte. Ryker drückte einen Kuss auf meine Schulter. »Kein Wunder. Ich habe dich geküsst, als du müde warst. Du warst müde und wir haben gestritten und dann hast du mich einfach geküsst, weil ich das die ganze Zeit verhindern wollte, weil ich damals schon Angst hatte die Kontrolle zu verlieren. Ehe wir uns aber länger küssen konnten, bis du in meinen Armen eingeschlafen.«
     Überrascht löste ich mich von ihm und spürte, wie Hitze in meine Wangen schoss. »Ich habe... ich bin... eingeschlafen? Einfach so?« Er lachte und streichelte meine Wange. »Ja. Du hast mich ungefähr 20 Sekunden geküsst und bist dann eingeschlafen.« Ich legte die Hände an meine Wangen und schüttelte meinen Kopf. »Gott, wie schrecklich. Das ist ja schrecklich!« Ryker lachte und nahm die Hände von meinen Wangen. Seine Daumen zeichneten die Linien in meinen Handflächen nach. »Nein, das ist es nicht. Ich fand es süß. Du warst eben müde und hast deine letzte Kraft dafür genutzt mich zu küssen.« Jetzt, wo er es mir erzählte, fügten sich die Bilder in meinem Kopf zusammen. Wir hatten darüber gestritten, dass er mich nicht küsste und Angst hatte. Vermutlich war das einer der Punkte, über den wir uns immer streiten würden.
     Denn ich wusste, dass es noch lange dauern würde, bis Ryker mit mir schlafen würde. Denn der Werwolf in ihm verlangte danach. Ich sah es ihm an. Doch er hielt sich zurück. In diesem Moment sah ich es seinen Augen an. Er wollte mich vollkommen an ihn binden, hielt sich aber zurück, da er nichts überstürzen wollte. Ich war sogar der Meinung, dass das eher gut war, da ich im Laufe des Tages vermutlich noch meine Regel bekommen würde und ich nicht wollte, dass Ryker sich ekelte. Ich wollte alles mit ihm genießen. In vollen Zügen. Nicht in Eile. »Hat dich das nicht gestört?«, hakte ich nach. Ryker runzelte die Stirn. »Warum hätte es das tun sollen, Lani? Es war amüsant und du warst so süß. Es hat mich nicht gestört.« Ich nickte, auch wenn ich mir das nicht vorstellen konnte. Das war ja fast so, als wenn jemand beim Sex einschläft.
     »Hattest du nicht das Gefühl, dass du na ja... nicht gut genug bist? Denn das stimmt nicht aber ich weiß ja nicht, ob ich ihr das Gefühl vermittelt habe...« Ryker musterte mich verwirrt. »Wieso sollte ich das denken, Lani? Du warst hundemüde, weil du über 18 wach warst. Da ist man nun mal irgendwann müde. Ich wusste, dass du nur müde warst.« Erleichterung flutete mich. »Dann ist ja gut.« Ryker küsste meinen Kopf und wollte aufstehen, doch ich zog ihn zurück ins Bett. Fragend musterte er mich. »Noch nicht. Ich will noch in deinen Armen liegen.« Ein Zwiespalt lag in seinen Augen. »Lani... ich... mein Werwolf möchte dich... also... du weißt schon. Ich weiß nicht, wie viel Selbstbeherrschung ich noch aufbringen kann.« Flüchtig sah er mich an.

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