Warme Sonnenstrahlen kitzelten auf meiner Haut, während ich durch den Wald lief. In meinem Inneren gab es eine Stimme, die mir sagte, dass es keine gute Idee war, durch den Wald zu laufen, während dort draußen eine Kreatur herumlief, die einen Menschen getötet hatte. Auf der anderen Seite fürchtete ich mich aber nicht. Instinktiv hatte ich den Weg gewählt, den gestern Ryker mit mir auf seinem Rücken zurückgelegt hatte. Nur kurz darauf kam mir kein Baum mehr bekannt vor und erneut schien ich die Orientierung verloren zu haben. Hilflos blickte ich mich um. Sah von links nach rechts, von rechts nach links und doch schien ich mich nicht mehr auszukennen. In meinen Augen sahen die Bäume alle gleich aus.
Keiner war anders als der andere. Jedenfalls nicht in meinen Augen. Um mich herum war nichts als Wald. Um mich herum war nichts anderes als Grün und Braun. In der Ferne zwitscherten Vögel ein Lied, knapp über meinen Kopf hinweg flog ein Rabe und der Wind wog sanft die Äste und Blätter im Wind. Um mich herum lebte der Wald sein Leben. Vögel flogen umher, unter meinen Füßen liefen vermutlich Ameisen umher. Käfer flogen durch die Luft, erste Bienen flogen umher, auf der Suche nach Arbeit. Ein Teil in mir wollte sich ganz den Eindrücken des Waldes hingeben, als ich dunkle Silhouetten ausmachte, die näherkamen. Sie waren große Gestalten und mit jedem Schritt, den sie näher kamen, erkannte ich sie. Werwölfe.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und Panik stieg in mir auf. Sie kamen näher, dann standen sie unweigerlich vor mir. Beide waren große Gestalten, deren Köpfe gut 20 Zentimeter über meinem eigenen waren. Ihre Augen waren dunkel und düster. Doch sie knurrten weder, noch griffen sie an. Sie musterten mich von Kopf bis Fuß. Ihre Statur war mager. Bei beiden konnte man die Rippen erkennen und auch ihr Fell schien stumpf zu sein. Nicht glänzend. Rogues, schoss es mir durch den Kopf. Beide wirkten allerdings freundlich gesinnt. Sie musterten mich nur, schnupperten. Ich starrte sie beide an. Im ersten Moment wollte sich Angst in meinem Körper breitmachen, doch das ließ ich nicht zu. Sie waren zwar Rogues, was aber nicht bedeutete, dass sie böse Werwölfe waren. Vielleicht hatten sie in ihrem Leben etwas Schlechtes getan, doch eine böse Tat, so lange es kein Mord, oder eine Vergewaltigung oder etwas Ähnliches war, beschrieb nicht den Menschen dahinter für sein Leben lag.
Genauso wenig wie eine gute Tat den Menschen gleich zu einem guten Menschen machte. Deswegen versuchte ich Ruhe zu bewahren und hob so gut es ging die Hand, um ihnen zu winken. Beide legten den Kopf schief und schienen überrascht. »Hallo.« Das unsichere Krächzen in meiner Stimme konnte ich leider nicht verstecken und auch nicht zurückhalten. Im Gegenteil. Meine Stimme zitterte leicht und ich wollte mich schämen, doch beide blieben ruhig und standen vor mir, als wären sie festgefroren. Dann nickten sie mit ihren großen Köpfen. Der rechte von ihnen, der braune Wolf, verwandelte sich mit einem hellen Lichtblitz und zum Vorschein kam ein mageres Mädchen. Die Kleidung schlackerte an ihrem Körper, ihre blonden Haare waren nicht so weich wie meine eigenen. Sie glänzten nicht und wirkten eher stumpf und kaputt. Ihre schmalen spröden Lippen waren zu einem sanften Lächeln verzogen, dass sich in ihren Augen nur zur Hälfte widerspiegelte.»Du hast dich verlaufen, nicht wahr?«, fragte sie, ihre Stimme leise, vorsichtig. Ihr Blick flirrte umher, als fürchtete sie, dass gleich jemand aus den Büschen springen könnte, um ihr an die Gurgel zu gehen. Verblüfft sah ich sie an. Dann fiel mir auf, dass Wölfe die Ausstrahlung wahrnahmen. Vermutlich strahlte ich komplette Orientierungslosigkeit aus, so wie eine kleine aufkeimende Panik, die mich einfach nicht loslassen wollte. Allerdings würde das länger so bleiben. Das konnte ich jedem versichern. Orientierung und ich würden niemals Hand in Hand gehen. Orientierung und ich vertrugen uns nicht wirklich. Sie würde nie zu mir passen. Ich wäre der typische Tourist, der sogar die Karte noch falsch herum halten würde und sich dann wundern würde, warum er nicht am Ziel ankam. Für diese Schwäche schämte ich mir aber nicht. Dafür hatte ich andere Stärken.
Namen und Orte konnte ich mir verdammt gut merken. Auch Straßennamen kannte ich verdammt gut, nur leider verwechselte ich dabei gerne die Reihenfolge. »Ja... für mich sieht im Wald alles gleich aus... jeder Baum, jeder Busch, jeder Ast. Einfach alles...« Etwas hilflos zupfte ich an meinem Oberteil. Das Mädchen lächelte. »Wo willst du denn hin?«, hakte sie nach. Im ersten Moment sträubte sich ein Teil in mir ihnen beiden zu vertrauen. Fremden konnte man nicht immer trauen. Das lernte man als Kind. Besonders bei den momentanen Umständen sollte man nicht jedem trauen, der einem über den Weg lief. Allerdings gehörte das zu den Dingen, die... widersprüchlich waren. Denn eigentlich sollte man anderen gegenüber aufgeschlossen sein. Man sollte nicht hinter jedem Busch einen bösen Menschen erwarten. Doch auf der anderen Seite wollte ich niemanden in Gefahr bringen. Schon gar nicht Jax und sein Rudel.
Das wäre... sehr sehr schlecht. Jeder wusste das. Die beiden aber vor mir wirkten aufgeschlossen und nett. Allerdings konnte das auch eine Masche sein. Mein Kopf und mein Herz stritten sich momentan, ob ich die Wahrheit sagen sollte. Denn ich hatte die Wahl zu lügen und zu sagen, dass ich nach Hause wollte, doch dann würden sie wissen wo ich wohnte. Dann blieb mir noch die Wahl zu sagen, dass ich einfach nur ins Dorf zurück wollte. Dann konnte ich noch sagen, dass ich zu Jax wollte. Vermutlich wussten sie aber eh, wo Jax wohnte. Zudem war ich mir sicher, dass Jax sich gut mit den Rogues verstand. »Eigentlich wollte ich zu Jax' Rudel und habe mich dabei schon wieder verlaufen«, rutschte die Wahrheit über meine Lippen, was ich auf keinen Fall bereute. Denn das Mädchen lächelte warm und freundlich.
»Da bist du eigentlich gar nicht so falsch, aber du würdest, wenn du in diese Richtung weiter läufst, dennoch wo anders rauskommen. Sollen wir dich ein Stück begleiten? Der Wald kann tückisch sein und ehe man sich versieht ist man im tiefsten Wald und die Sonne geht unter.« In diesem Moment verwandelte sich der andere, große Wolf. Ein Junge. Er war in menschlicher Form etwas kleiner und sah dem Mädchen sehr ähnlich. Geschwister. Ein Teil in mir fragte sich, was die beiden getan hatte, um aus ihrem Rudel geworfen zu werden. Doch vermutlich würde ich darauf keine Antwort bekommen, was auch nicht zwingend nötig war. Denn man musste die beiden nur ansehen, um zu wissen, dass sie nicht so böse sein konnten.
»Aber Sage, wir sollen doch jagen gehen... Wenn wir das nicht tun, ist Rocco wieder wütend auf uns«, bemerkte der Junge. Sage seufzte. »Rocco kann seinen Hintern auch mal selbst bewegen, weißt du? Er kann selbst jagen gehen. Selbst wenn wir etwas fangen würden, Jake, dann würde es niemals für alle reichen, da wir nicht so viel tragen können. Damit es für alle reicht bräuchten wir einen großen Elch, oder zwei Rehe. Doch wir wissen beide, dass seit dem Vorfall die Tiere sich kaum noch zeigen.« Dann sah sie mich an. »Wir sollten sie begleiten. Sie ist allein und man weiß in letzter Zeit nicht, was sein Unwesen im Wald und in der Umgebung treibt. Niemand kann genau sagen, was da gestern passiert ist.«
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Caged Hearts ✔
LobisomemSeit ihrem Unfall fühlt Lani sich verloren. Ihr Herz fühlt sich seltsam leer und eingespeert. Nur weiß sie nicht warum. Es ist als würde ihr etwas fehlen. Und ihre Mutter macht ihr Leben nicht besser, in dem sie sie fast zu Hause einsperrt. Auf der...