29. Kapitel

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     Mit schnellen aber wackligen Schritten ging ich auf die Gruppe zu. Der Werwolf in der Mitte, dessen Fell rot vor Blut im warmen Sonnenlicht schimmerte, hob den Blick und bleckte die Zähne bei meinem Anblick. Ryker kam auf mich zu und knurrte weiter. In seinen Augen stand der stumme Befehl, dass ich verschwinden sollte. Deswegen schenkte ich ihm ein kleines Lächeln und strich über sein Fell, als er näher kam. Alle anderen Werwölfe starrten mich ebenfalls an als hätte ich einen Schlag weg. Momentan war mir das allerdings egal. Der Wind, den meine Mutter hervorrief um mich davon abzuhalten in die Nähe des Werwolfs zu kommen war mir aber im Gegenschluss nicht egal.
     Hartnäckig lief ich weiter und ließ mich nicht davon beirren. Sie konnte mich nicht beirren. Entschlossen lief ich auf den Werwolf zu, dessen spitze scharfe Zähne aufblitzen, als er das Maul öffnete und langsam auf mich zukam. Seine hungrigen Augen fixierte mich wie seine Beute. Mir fiel auf, dass ich in dem Moment seine Beute war, doch das war nicht mehr entscheidend. Im Gegenteil. Statt Angst zu bekommen, versuchte ich sie zu unterdrücken und lief weiter. Jeder Schritt war schwerfällig und wacklig, doch ich lief weiter auf ihn zu. Irritiert hielt der Werwolf inne und betrachtete mich von oben bis unten. »Denkst du wirklich, dass deine Gefährtin das hier toll findet? Ja, vielleicht weiß sie nicht, ob sie dich möchte aber... so wird sie dich sicher nicht wollen«, hauchte ich. Ein Zucken seines Blickes und seiner Ohren.
     Er hielt inne, sah sich um. Dann sah er wieder zu mir. In seinen Augen ein innerer Konflikt. Wer dieser Mann auch war, er wusste, wovon ich sprach. Schuld funkelte einen Moment lang in seinen bernsteinfarbenen Augen auf, dann wurde sie aber wieder von dieser Mordlust ersetzt. Meine Mutter war stark, doch ich war mir nicht sicher ob sie gegen den Bund zwischen zwei Gefährten ankommen würde. »Vielleicht ist sie sich unsicher aber glaub mir, wenn du ihr beweisen würdest, dass es sich lohnt dich als Gefährten zu haben, dann wäre das hier alles kein Problem. Glaub mir. Manchmal braucht jemand ein bisschen um mit dem anderen warm zu werden. Du musst ihr Zeit geben, darfst deswegen aber nicht aufgeben.«
     Ich versuchte einen sanften Ton anzuschlagen, der gleichzeitig eindringlich war und frei von dem Zittern, dass gerne durch meinen Körper hindurchkommen würde, je näher ich ihm kam. Dabei versuchte ich nicht auf die Werwölfe zu sehen, die am Boden lagen und sich nicht rührten. Daran durfte ich in diesem Moment nicht denken. Mein Blick glitt für einen Moment zu Alec, der mich aufmerksam mit Sorge in seinem Blick musterte. Allerdings wusste ich was ich hier tat. Lange genug hatte ich ihn vorhin studiert. Es fiel ihm leichter die Werwölfe zu töten, wenn sie auf ihn zugingen, sobald sie aber zögerten oder schwach wirkten, zögerte auch er. Ich war ein Mensch. Er zögerte schon allein deswegen. Der Hass meiner Mutter über Werwölfe schien in diesem Moment auf ihn übertragen worden zu sein.

      Doch ich war ein Mensch. »Jeder von uns hat Bedenken. Nicht nur ich habe in manchen Dingen Bedenken, aber es liegt an dir ihr zu zeigen, dass du ein guter Mann bist und sie mit dir keinen schlechten Gefährten hat. Denn nur so kann sie lernen dir zu vertrauen.« Wieder einen Schritt weiter. Der Werwolf zuckte zurück und knurrte, doch in seinen Augen war das Leben, das ich sehen wollte. Das pure Leben. Keine Mordlust. Sorge, Verwirrung, Angst, Selbsthass, Unwohlsein. Einfach alles. »Was magst du denn an ihr? Wenn du daran denkst, dann wird dir vielleicht klarer, wie du sie von dir überzeugen kannst.« In seinem Blick flackerten Zuneigung und Liebe auf und ich wusste, dass ich damit einen Punkt getroffen hatte, der ihn hoffentlich aus dem Bann lösen konnte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, während ich wartete.
    Seine Augen richteten sich erneut auf mich. Ich sah den Kampf in seinen Augen und in seiner Haltung. Mit aller Kraft versuchte er gegen den starken Bann vorzugehen, den diese Frau über ihn gelegt hatte. Sein Blick glitt über die Werwölfe die am Boden lagen. Sein Blick veränderte sich. Erneut drohte ich ihn zu verlieren. »Sieh nicht hin, okay? Sieh nicht hin. Wir wissen, dass das nicht du bist. Wir wissen, dass du das nicht willst. Es ist nicht schön, aber es ist nicht deine Schuld. Du bist nur eine Puppe in den Händen dieser Hexe. Sie tötet. Nicht du. Sie. Daran musst du denken. Sie tötete alle, nicht du. Du warst nur der Ausführer durch ihren aufgezwungenen Willen.« Wieder sah der Werwolf zu mir und ich hätte gerne seinen Namen gewusst. Doch so war es auch in Ordnung. Wieder veränderte sich sein Blick.
    Hass loderte hell darin auf. Im ersten Moment erschreckte mich das Ausmaß des Hasses, denn ich dachte, dass er sich gegen mich richtete. Doch sein Blick war auf etwas hinter mir fixiert. Auf das Fenster... ich drehte mich um. Sie war dort immer noch zu sehen. Thalia und mein Vater hatten sich von ihr entfernt und kamen jetzt auch heraus. Nur sie stand noch hinter dem Fenster, ganz in ihrer Welt und ihren Sprüchen versunken. Dann sah der Werwolf wieder zu mir. »Es ist sicher schwer für die Leute, aber wenn wir ihnen erklären, was mit dir passiert ist, werden sie nach und nach verstehen. Du bist keine blutrünstige Bestie. Du bist jemand, der unter einem Bann steht und keine Hilfe bekommt. Such dir einen Anker. Einen Anker um in die Realität zu entkommen. Ich weiß, dass klingt kitschig aber... es wird dir helfen. Ryker zum Beispiel wäre mein Anker. Denn er ist es der an mich glaubt und an meiner Seite ist. Er ist mein Licht. Du hast auch eins. Du musst ihm nur folgen.«
     Lange musterte der Werwolf mich und wirkte unschlüssig. Als wüsste er nicht, was er nun tun sollte. Dann sah er wieder zu meiner Mutter, wieder zu mir. Dann sah er die Werwölfe an. Dann sah er zu Ryker, der nun neben mir stand. Nicht bedrohlich oder gar angriffslustig. Er stand nur neben mir. Lächelnd schmiegte ich mich an sein warmes Fell und strich ihm über den Rücken. Ein kleiner, zufriedener Laut, der fast einem Schnurren glich, kam aus seiner Kehle. Der Werwolf musterte uns beide. Jetzt, als Ryker neben mir stand, fühlte ich mich noch einmal um einiges stärker und sicherer. Ich spürte die Energie die von ihm ausging. Seine Nähe reichte aus um vollkommene Ruhe durch meinen Körper fließen zu lassen. »Glaub mir, sie wird es eines Tages sicher verstehen. Du musst nur daran glauben.«
     Zweifel lagen in seinem Blick. Zweifel, die ihn innehalten ließen und meiner Mutter die Chance gaben erneut die Kontrolle zu übernehmen. Sein Blick änderte sich, doch ich glaubte nicht, dass es zu spät war. Ryker neben mir spannte sich an, ging aber nicht vor mich. Er blieb neben mir stehen und strahlte diese gewisse Ruhe aus. Eine gewisse... Alphahaltung. Der Werwolf kam nicht näher, hatte aber wieder diesen mordlustigen Blick, der mich eigentlich verunsichern sollte, es aber nicht ganz tat. Denn hinter diesem Werwolf steckte ein verunsicherter junger Mann, der Angst hatte. Angst seine Gefährtin für immer zu verlieren, Angst gefangen genommen zu werden. Er hatte vor allem Angst. Entschlossen lief ich die Luft in meine Lungen strömen, denn trat ich einen Schritt nach vorne. Er knurrte mich an.

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