2. Kapitel

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     Ländliche Musik hallte aus den Boxen wider, die in der Halle aufgestellt waren. Verschiedenste Gerüche lagen in der Luft. Der Geruch von Zigarettenrauch, der so penetrant war, dass ich das Kratzen bereits jetzt in meinem Hals spürte und zu Husten begann. Der Geruch von Rauch war gemischt mit dem Geruch von Schweiß und billigem Parfüm oder Deo. Die Luft war sehr feucht und dampfig, was meinen Kopf pochen ließ. Hier und dort standen viele Leute, unter ihnen mehr Werwölfe als Menschen, doch das störte mich nicht. Es war mal schön nicht unter diesen reichen Snobs zu sein. Alle lächelten mir freundlich zu und begrüßten mich. Unter den Werwölfen gab es auch ein Rudel, dass ich noch nicht kannte. Das Rudel wohnte im Nachbardorf. Banewood. Das Rudel von Banewood war gefürchteter als das aus Greendale.
      Das Rudel bestand aus großen Männern und Frauen, alle mit Muskeln bestückt. Man fürchtete sie, weil der Alpha, Jax, wie mir Tyler erklärt hatte, am ganzen Körper Tattoos hatte, die mit Eisen versehen waren, damit das Tattoo nicht von seiner Haut „abheilte". In der Menge konnte ich ihn sofort ausmachen. Seine Präsenz war so stark, dass man gar nicht anders konnte als zu ihm zu sehen. Er trug ein weißes Shirt, dass an seinen Oberarmen spannte, einen schwarzen Ohrring, der matt glänzte, eine dunkle Jeans, die an beiden Knien so große Löcher hatte, dass man die ganze Kniescheibe und somit die Tattoos sehen konnte, die darauf gemalt waren.
      Alles in allem strahlte er die Präsenz eines Alphas aus. Dominant, autoritär, mächtig und gleichzeitig doch vertrauensvoll und freundlich. In seinen Augen lag pure Freundlichkeit, als er zu mir sah und mir ein Lächeln schenkte, dazu eine kurze Begrüßung in Form von Winken. Ungeschickt winkte ich zurück, überrascht, dass der berüchtigte Jax so freundlich zu sein schien und wirklich jeden begrüßte. Selbst die, die er nicht kannte. Wie mich. Dennoch lauerten dunkle Schatten in seinen Augen, als er sich wieder dem Mann an seiner Seite zuwandte. Ein jüngerer Bursche, vielleicht 16. Seine Haare waren genauso dunkel wie die von Jax und sie hatten die gleichen blau-grauen Augen. Brüder, schoss es mir durch den Kopf. Dann fiel mir ein, dass Jax einen Bruder hatte.
      Jedenfalls nach Tyler Erzählungen. Alec. Alec und Jax. Jetzt, wo beide mir ihr Profil zeigten, war die Ähnlichkeit unverkennbar. Der gleiche markante Kiefer, den ungefähren gleichen Schwung der Lippen, die gleiche Haltung, wobei Alec trotziger wirkte als sein Bruder. Nicht nur trotzig. Er wirkte schon fast angriffslustig. Als wäre er bereit seinem Bruder jeden Moment die Meinung zu geigen. Jax raunte ihm leise etwas zu und ich befürchtete schon den ersten Streit auf dieser Party zu haben, als ein eher größerer junger Mann im Anzughose und Hemd zu ihnen trat. Der weiße Stoff des Hemdes stand im starken Kontrast zu seiner dunklen Haut und ich biss mir auf die Lippe, da seine Haut mich an Mocca erinnerte. Nur noch einen Ton dunkler.
      Wunderschön. Seine großen Hände legte er auf die Rücken von Jax und Alec und bedachte beide mit einem beruhigendes Lächeln, dass selbst in meinem Körper für vollkommene Ruhe sorgte, obwohl meine Eltern jeden Moment vom Buffet zurück sein würden und sie mir dann vermutlich aufschwatzen würden, dass ich mir endlich auch einen Mann suchen sollte. Oder eine Frau. Wobei das zweitere nur mein Vater sagen würde. Meine Mutter niemals. Der große Mann war noch größer als Jax, hatte allerdings weniger Muskeln, was aber nicht schlimm war. Das Hemd spannte dadurch weniger an seinen Oberarmen und man musste sich dadurch keine Sorgen machen, dass das Hemd jeden Moment reißen könnte. Seine Lippen waren breit und voll und wurden von einem schwarzen Drei-Tage-Bart umrundet. Seine Augen schienen die Farbe vom flüssigem Nutella zu haben, was mich jetzt schon schwach werden ließ.
      Jax und Alec entspannten sich beide in der Gegenwart des jungen Mannes. Über die Musik hinweg hörte ich wie Jax denn jungen Mann Ryker nannte. Der Name löste ein merkwürdiges Kribbeln in meinem Bauch aus und mein Herz tat einen komischen Satz, den ich nicht einordnen konnte. Ich konnte es einfach nicht. Sonst reagierte mein Körper nicht so auf Namen. Ryker schien nicht älter als Jax zu sein und doch würde ich auch Ryker den Posten als Alpha zutrauen. Er schien der Ruhepol zu sein, wenn Jax es mal nicht sein konnte. Mein Blick glitt Rykers Gesicht entlang. Etwas daran kam mir so schrecklich bekannt vor. Wage versuchte ich mich daran zu erinnern, warum er mir bekannt vorkam, doch ich fand kein passendes Puzzlestück dazu. Im ersten Moment jedenfalls nicht. Dann war da ein kleiner Fetzen in meinem Kopf, der mir sagte, ich hätte Rykers Foto einmal in der Zeitung gesehen. Ryker Daniels, der einsame Wolf, der nun ein neues Rudel hatte. Jax' Rudel. Doch ich konnte das Bild in meinen Erinnerungen nicht lange genug aufrechterhalten. Es war nur ein kurzer Fluss von Bildern, ehe dieser verebbte und mich mit Leere zurückließ.
      »Was macht der denn hier?«, erklang die schrille Stimme meiner Mutter direkt an meinem Ohr und das Dröhnen in meinem Kopf wurde stärker. Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben, als ich mich ihr zuwandte. Auch Dad wurde etwas bleich um die Nase und er sah panisch zu meiner Mutter, eher sein Blick kurz zu mir flirrte, eher er wieder wegsah. Die beiden benahmen sich seltsam. Ja, es mochten Gerüchte um Ryker kursieren, aber das war noch lange kein Grund so zu reagieren. »Das ist... sehr sehr schlecht. Vielleicht sollten wir wieder gehen, ehe er dich sieht«, sagte meine Mutter und wollte mich schon wegziehen, als Rykers dunkle Augen genau auf mich fielen. Komplett reglos verharrte ich in diesem Moment auf der Stelle, die kalte Hand meiner Mutter auf meinem Arm, die Musik in meinem Ohr und dieser beißende Geruch in meiner Nase. Sobald ich aber in die dunklen tiefgründigen Augen von Ryker blickte, machte mir das alles nichts mehr aus. Im Gegenteil.
      Ich nahm nichts mehr um mich herum wahr. Langsam aber sicher verlor ich mich in seinen dunklen Augen, die wie flüssige Schokolade wirkten. Instinktiv biss ich mir auf die Lippe, als er näher trat. Ein Schritt nach dem anderen, den Blick noch immer auf mich gerichtet. Dann kurz vor mir hielt er plötzlich inne und tat einen schwankenden Schritt, ehe er die Stirn runzelte und mich von oben bis unten ansah. In seinem Blick lag so etwas wie... Erkenntnis. Intensive Erkenntnis. Erstaunen. Verwirrung. Er sah mich weiter an. Er runzelte die Stirn, zuckte kurz zusammen und rieb sich seine Schläfe, als hätte er dort Schmerzen. Er kniff die Augen zusammen. Ich zählte die Sekunden, die sich wie Stunden anfühlten. Dann öffnete er die Augen und tiefer Schmerz, so wie Wut und... Erleichterung. Mein Herz hämmerte laut in meiner Brust, während meine Mutter versuchte mich wegzuziehen. Am Rande bekam ich mit wie mein Vater es ihr verbat und ihre Hand von meinem Arm löste. Der Raum verschwand um mich herum, als Ryker immer nähertrat. Lange, große, sichere Schritte.
      Er nahm den Raum ein. Mit jedem weiteren Schritt beanspruchte er immer mehr Raum für sich. Leute wichen zurück, andere schienen zu tuscheln, doch ich hatte nur Augen für ihn. Je näher er kam, desto größer schien ein Sog zwischen uns zu werden. Was für eine Art Sog das war konnte ich selbst nicht verstehen. Und doch schien es zu sein. Er kam näher und näher. Dann stand er so nah vor mir, dass sein Duft nach Kiefern und einem kühlen Gebirgssee meine Nase kitzelte und dann meine Lungen füllte. Ein schöner Geruch. Der Geruch der Freiheit. Wie von selbst glitt mein Blick zu seiner Nase, die etwas groß war und doch tat es seiner Schönheit keinen Abbruch. Sie passte perfekt zu ihm, passte perfekt in sein gemeißeltes Gesicht. Seine Augenbrauen hatten einen kecken Schwung und verliehen ihm eine Art von frechem Aussehen, was aber durch die Wärme in seinen Augen kaum zum Ausdruck kam.

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