Zum tropfenden Kessel

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Als ich die Augen öffnete saß ich wieder bei mir im Garten auf der Decke. Die Sonne war bereits untergegangen und der helle Mond schien auf uns herab. Ich hatte also länger gebraucht als ich anfangs dachte. Durch die geschlossenen Augen und die stetige Konzentration hatte ich wohl nicht mitbekommen wie viel Zeit tatsächlich vergangen war. Wenigstens hatte es dieses Mal nach einem Tag funktioniert und hatte nicht vier Wochen gedauert wie das letzte mal.
„Harry hat Schwierigkeiten glaube ich", murmelte ich und sah Ava besorgt an. „Oder wird sie haben. Ich weiß nicht wann aber auf jeden Fall noch in den Ferien..."
„Was ist passiert?", fragte Ava.
„Ich weiß es nicht. Es war dunkel und Harry saß mit seinem Koffer auf der Straße. Da war...", ich stockte als ich an den Hund dachte. Wie seine großen leuchtenden Augen Harry fixiert hatten als hätte er nur darauf gewartet ihn endlich zu sehen. „Der Hund war dort... Er beobachtete Harry."
Ich hatte bisher weder Ava noch Snape erzählt, dass der Hund ein Animagus war. Und nicht irgendeiner. Hinter dem Hund versteckte sich der ausgebrochene Häftling und Massenmörder Sirius Black. Warum war er bei Harry gewesen? Was wollte ein Mensch wie er von meinem Bruder?
„Was ist danach passiert?", fragte Ava weiter und riss mich damit aus meinen Gedanken.
„Ein Bus tauchte auf und Harry stieg ein. Er wollte zum tropfenden Kessel..."
„Ein Bus?", fragte Ava verwirrt.
„Ja. Der fahrende Ritter stand auf dem Bus", antwortete ich nickend.
„Das ist ein Bus für gestrandete Zauberer", sagte Ava nachdenklich. „Man kann ihn rufen in dem man seinen Zauberstab ausstreckt und damit eine Art winkende Bewegung macht."
Gestrandete...
„Ja!", rief ich etwas lauter als beabsichtigt als ich mich an Stan's Worte erinnerte. „Gestrandete Hexen und Zauberer! Das hat auch der Schaffner gesagt! Aber was bedeutet das? Ich meine, auch wenn die Dursley's nicht die herzlichste Familie sind, so würden sie Harry niemals auf die Straße setzen. Irgendwas wird also passieren, dass Harry dazu bringt von dort abzuhauen..."
„Du bist dir absolut sicher, dass es noch in den Ferien passiert?", fragte Ava nun streng und sah mich ernst an. Ich überlegte kurz, rief mir erneut ins Gedächtnis wie Harry ausgesehen hatte und nickte dann. Wir waren erst sechs Wochen getrennt von einander und er hatte sich kein bisschen verändert seit dem. Wäre dieses Ereignis weiter in der Zukunft hätte Harry älter ausgesehen als zu diesem Zeitpunkt.
„Die Ferien dauern nur noch zwei Wochen", meinte Ava grübelnd. „Hast du irgendwas sehen können, dass einen Anhaltspunkt auf den Tag geben könnte? Du sagtest du wärst auf einer Straße gewesen. Lagen vielleicht irgendwo Zeitungen rum oder konntest du einen Blick auf den Stand des Mondes werfen?"
Erneut rief ich mir ins Gedächtnis was ich gesehen hatte. Dunkle Regenwolken hatten sich vor den Mond geschoben also fiel dieser Punkt schon mal weg. Innerlich blickte ich mich erneut auf der Straße um, versuchte zu rekonstruieren ob dort etwas gelegen hatte an dem ich ein Datum fest machen konnte, irgendetwas, dass ich vielleicht übersehen hatte. Doch da war nichts.
Enttäuscht von mir selbst schüttelte ich mit dem Kopf. Kein Anhaltspunkt. Frustriert stand ich auf und wäre fast wieder zusammen geklappt wenn Ava mich nicht rechtzeitig aufgefangen hätte.
„War wohl keine Idee den ganzen Tag im Schneidersitz zu sitzen", sagte ich sarkastisch. Ava schmunzelte. Meine Beine waren irgendwie ein bisschen taub und kribbelten leicht.
Als ich einigermaßen sicher stehen konnte, und ich das Gefühl hatte meine Beine würden wieder mit Blut gefüllt werden, ließ Ava mich wieder los.
„Ist Sev eigentlich schon wieder da?", fragte ich und sah zum Haus in dem kein Licht brannte.
„Noch nicht", antwortete Ava. Stirnrunzelnd sah ich hinauf zum Mond der schon ziemlich hoch stand.
„So spät war er noch nie dran", murmelte ich besorgt. „Ob ihm was passiert ist?"
Doch Ava wusste keine Antwort darauf. Doch das brauchte sie auch gar nicht denn keine Sekunde später tauchte Snape mit einem leisen plopp auf der Straße vor unserem Haus auf. Ich lief auf ihn zu.
„Sev!", rief ich erleichtert. „Alles okay? Du kommst sonst nie so spät nach Hause."
Snape sah ernst aus, noch ernster als sonst, und sah abwechselnd zwischen Ava und mir hin und her.
„Es geht um Potter", sagte Snape mit eiserner Miene. „Es ist etwas passiert."

Hastig stopfte ich meine Sachen in den großen Koffer und verfluchte mich dafür, mich nicht direkt zu Beginn der Ferien darum gekümmert zu haben ihn zu sortieren. Nun wenn ich ehrlich war hatte ich aber auch nie damit gerechnet in solch eine Situation zu kommen.
Mit Snapes auftauchen hatte sich für Ava und mich nicht nur die Frage geklärt warum er so spät erst nach Hause gekommen war sondern auch zu welchen Tag der kommenden zwei Wochen ich gereist war. Snape hatte mir erzählt, dass Harry gezaubert hatte - was für uns Schüler außerhalb der Schule strikt verboten war - und dann Hals über Kopf das Haus der Dursley's verlassen hatte. Die Leute vom Ministerium waren schon auf der Suche nach ihm und selbst der Zaubereiminister Cornelius Fudge kümmerte sich persönlich darum. Etwas viel Aufwand wenn man mich fragte doch Snape hatte mich versichert, dass sie ihn nicht suchten um ihn zu betrafen oder gar der Schule zu verweisen.
Ich wusste wo Harry hinwollte und mit nicht ganz freiwilliger Einwilligung von Snape packte ich nun meine Sachen um zu ihm zu gelangen. Während Snape zurück ins Ministerium gekehrt war um Fudge Harrys Ziel mitzuteilen würde Ava mit mir direkt nach London zum tropfenden Kessel apparieren.
Ein Klopfen an der Zimmertür riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich zusammen zucken.
"Wenn du weiter einfach blindlings Sachen in deinen Koffer wirfst wirst du die Hälfte vergessen und die andere kannst du neu kaufen", hörte ich Ava belustigt aber auch ein wenig besorgt sagen und stoppte mitten in meiner Bewegung. Verwirrt sah ich von ihr auf meinen Koffer in dem zerbrochene Tintenfässer lagen deren Inhalt sich auf meiner Schuluniform ausbreitete. Ich schloss die Augen und atmete einmal tief ein und aus. Dann öffnete ich sie wieder und sah zu Ava die ihren Zauberstab herausgeholt, meine Uniform von den Flecken befreit und meinen gesamten Koffer wieder ausgeleert hatte.
„Lass es uns zusammen machen. Dann gehts auch schneller."
Mit Avas Hilfe ging es tatsächlich schneller und als alles gepackt war griff ich mit der einen Hand meinen Koffer und mit der anderen Avas Hand. Ich nickte ihr einmal zu zum Zeichen, dass ich bereit war.
„Dann mal los", murmelte Ava. Ich merkte, wie sich ihre Hand von mir wegzog und griff etwas fester zu. Das Nächste, was ich merkte, war, dass alles schwarz wurde. Von allen Seiten presste sich etwas sehr heftig gegen mich und raubte mir den Atem. Eiserne Bänder schlossen sich um meine Brust und dann... Genauso schnell wie es gekommen war hörte es auf. Es war nicht das erste mal, dass ich appariert war aber - obwohl es definitiv schneller als alles andere ging - meine Lieblingsart zu reisen würde das nie werden. Ich sog in tiefen Zügen die kalte Nachtluft ein und öffnete die Augen. Vor uns war ein kleiner, unscheinbarer Pup, dessen schwarze Holzverkleidung ich nur zu gut kannte, und ein kleines Schild schwang leicht quietschend im Wind hin und her auf dem in goldenen Buchstaben Zum tropfenden Kessel stand. Wir waren angekommen.

Licht oder Dunkelheit - Die Geschichte der Potter Zwillinge #3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt