Bill hatte den ganzen Abend nichts mehr gesagt. Ich saß nur auf seinem Bett und wäre das ein oder andere Mal fast eingeschlafen. Ich verstehe ihn nicht, es muss doch einen Grund geben, weshalb sie mich hier haben wollen. Würden sie mich umbringen wollen, hätten sie schon längst die möglichkeit gehabt. Gefangen bin ich so oder so, entkommen kann ich auch nicht.
"Du solltest jetzt schlafen.", sagte Bill auf einmal.
"Ich will nicht.", gab ich zurück.
Er brauchte nichts sagen, ein Blick von ihm reichte und ich gehorchte. So rutschte ich ein wenig weiter in die Kissen und zog die Beine an. Die Augen geschlossen und mit ruhigen Atem lag ich da. Schon erstaunlich wie einsam man sich fühlen kann. Und dieses riesen Bett machte es nicht gerade leichter. Eigentlich würde ich so gerne wissen, was die beiden so böse macht. Ich meine keiner ist von Natur aus böse. Tief in meinem Innern habe ich etwas Mitleid mit den beiden, obwohl ich nichts, aber auch wirklich nichts über sie weiß. Keine Ahnung, ich habe das Gefühl, dass sie in Wirklichkeit komplett anders sind. Aber so etwas werde ich wohl nie erfahren.
"Möchtest du eine Decke?" Bill Stimme riss mich aus dem Halbschlaf.
Verschlafen öffnete ich die Augen. Er stand vor dem Bett und sah mich aus braunen Augen an. Tatsächlich war mir kalt, aber er hatte doch noch nie gefragt. Er lachte leicht.
"Sei lieber froh, dass ich frage."
Unverholfen zog ich meine Mundwinkel nach oben. Immer noch stand er da und wartete auf meine Antwort. Unsicher huschte mein Blick abwechselend zwischen seinen Augen und seiner Hand, in der er eine Decke hielt, hin und her. Kurz entschlossen warf ich alle Gedanken hinter mich und nickte. Er kam auf mich zu, setzte sich neben mich auf's Bett und legte mir dann die Decke über die Schultern. Sehr unangenehm diese Situation. Jeder normale würde (eigentlich schon die ganze Zeit) ausrasten, aber mein Körper reagierte mal wieder komplett anders. Außerdem würde abhauen eh nichts bringen, wo sollte ich denn hin. Und wenn Bill weiterhin so "nett" ist, werde ich sicher noch die restlichen Tage meines Lebens gut überstehen.
"Ähm...", stammelte Bill, "ich bin total müde, würde es dir was ausmachen, wenn ich mich auch ins Bett lege. Tom würde mich köpfen, wenn ich zu ihm gehe."
Ich sah ihn an. Meinte er das jetzt ernst? Er will sich mit mir ein Bett teilen. Ich meine, hat er wahrscheinlich die ganze Zeit schon gemacht, ich habe es nur nicht bemerkt. Mir wäre es eigentlich egal, weil ich noch nie Probleme hatte mit dem anderen Geschlecht in einem Bett zu schlafen, wäre da nicht die Tatsache, dass es sich hier um einen Vampir handelt.
"Ich penne auch auf der anderen Seite.", fügte er noch hinzu.
"Ist mir egal, ist doch dein Zimmer.", gab ich zurück.
"Gut." Er lief um das Bett auf die andere Seite und setzte sich auf die Bettkante. In der Zeit hatte ich mich schon auf die Seite gedreht und die Augen geschlossen. Ich merkte nur noch wie er das Licht ausschaltete und sich dann auch hinlegte. Ruhiger Atem war zu hören und langsam wanderte ich in einen unruhigen Schlaf.
~***~
Ich schreckte aus dem Schlaf, ich war schweizgebadet und ich zitterte. Es war ein Traum, nur ein Traum, oder? Mit zitternden Händen stützte ich mich auf die Matratze. Alles war ruhig und dunkel. Mein Atem war schnell und mein Herz raste.
"Tony?", hörte ich dann eine verschlafende Stimme sagen.
Mein Kopf schnellte herum, doch ich konnte niemanden erkennen. Plötzlich ging eine Lampe an und der Raum wurde etwas heller. Ich sah Bill, der sich gerade die Augen rieb und gähnte. Als ich richtig wahrnahm, wo ich war, wurde ich komischerweise ruhiger.
"Tony, was ist?", fragte Bill mich, als er sich etwas zu mir vorgebeugt hatte.
Wieso ist er so nett? Das ist doch gar nicht seine Art, schoss es mir durch den Kopf. Doch das war mir jetzt eigentlich egal, denn wenigstens kannte ich ihn. Mehr oder weniger. Ängstlich drehte ich mich zu ihm um. Mit besorgtem Blick musterte er mich. Warte mal?, besorgt. Geht das überhaupt.
"Was hast du geträumt?"
Nun drehte ich mich im Bett einmal so, dass ich vor ihm saß. Sein Blick ruhte auf mir.
"Da war mein Vater, der war in einem Flugzeug und das ich abgestürtzt. Dann war da neben dem Wrak meine Mutter, glaube ich und sie hat gelacht. Sie sagte, ich sei die nächste. Aber-warte, Bill! Wo habt ihr meinen Vater hingeschickt? Er ist doch nicht wirklich abgestürtzt, oder? Bill, bitte sag mir, dass er lebt!" Ich wurde immer histerischer, als ich realisierte, was ich da gerade erzähle.
Ohne, dass ich es wollte, flossen Tränen über meine Wangen. Ich schluchzte und zitterte. Was, wenn mein Vater wirklich Tot ist. Was soll ich denn dann machen, ich habe doch niemanden mehr. Plötzlich fiel mir dieser Stab wieder ein. Er hatte eine scharfe Spitze. Wenn mein Vater wirklich Tot ist, dann schlitze ich mir damit die Pulsadern auf.
"Tony, dein Vater lebt. Dafür haben Tom und ich gesorgt. Und bitte bring dich nicht um, wir werden schon eine Lösung finden." Bei dem zweiten Satz versagte seine Stimme.
Mit verschleierten Augen sah ich ihn an. Sein Blick war immer noch besorgt. Auf einmal hob er langsam seine Hand und legte sie dann vorsichtig auf meine Wange. Sie war kalt, aber fühlte sich irgendwie beruhigend an. Ich warf alle Vorurteile gegenüber Bill hinter mich, lehnte mich nach vorne und schlang meine Arme um seinen kalten Körper.
"Was machst-"
Er blieb kurz wie erstarrt sitzen, doch dann legte er eine Hand auf meinen Rücken und die andere auf meinen Kopf. Ununterbrochen liefen die Tränen weiter und hinterließen eine nasse Spur auf Bills T-Shirt.
"Bill ich will nicht sterben. Nicht jetzt, ich will mein Leben leben. Bitte, das musst du doch verstehen.", schluchzte ich.
Für einige Sekunden war es still, abgesehen von meinem Herzschlag. Vielleicht reicht es ihm jetzt und er bringt mich um. Doch alles was ich dachte war falsch, denn er drückte mich enger gegen sich und fuhr mit seine Hand durch mein Haar.
"Ich weiß Tony...ich weiß"
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Schwarzer Engel
Mystery / ThrillerTony ist es gewohnt, keine Freunde mehr zu haben. Doch als sie mit ihrem Vater auf's Dorf zieht, ändert sich das schlagartig. Sie lernt die Zwillinge Bill und Tom kennen. Doch die beiden haben ein Geheimnis. Es fällt ihnen schwer sich von Tony fernz...