Taehyung
Ich konnte nicht mehr aufhören zu zittern.
Mein Vater lag einfach da und rührte sich nicht mehr. Der Qualm wurde immer dicker und die Flammen schlugen auf die Schränke und die Vorhänge über, als ich zu ihm krabbelte und meine zitternde Hand auf seine Wange legte. „Appa... Appa, wach' auf...", flüsterte ich, doch nichts. Er bewegte sich nicht. Ich konnte nicht einmal feststellen, ob er noch atmete, so viel Qualm hatte sich in der Wohnung schon ausgebreitet. „Appa bitte, das wollte ich nicht!", rüttelte ich nun etwas fester an ihm, aber es tat sich noch immer nichts.
In meiner Panik dachte ich überhaupt nicht daran, das Feuer zu löschen und mein Akku war noch immer nicht aufgeladen, sodass ich keine Hilfe rufen konnte. Ich sah nur noch meinen Vater, den einzigen Menschen, der mir von meiner Familie noch geblieben war und wie er blutend am Boden lag. Meinetwegen.
Das Atmen fiel mir schwerer und ich hustete immer wieder, während ich meinen Vater schüttelte. „Bitte Appa, steh auf!", schrie ich mittlerweile und zerrte an ihm. Plötzlich zischte und knisterte etwas, bevor es mit einem lauten Knall auf den Boden fiel und eine große Flamme aus der Küche stach. Ich hielt mir den Arm vors Gesicht, ließ den Mann auf dem Boden aber nicht los. „Du darfst nicht sterben! Ich habe doch nur noch dich! Komm' schon!", heulte ich unkontrolliert, bevor ich mich mit zitternden Beinen aufrappelte und meinen Vater am Arm etwas zur Seite zog.
Ich musste ihn hier rausbringen!
Das Feuer wurde immer größer und mir war unfassbar heiß, aber ich musste mich zusammenreißen. Ich konnte, wollte und durfte meinen Vater nicht sterben lassen. Ich hatte schon meine Mutter verloren, ihn wollte ich nicht auch noch verlieren. Deshalb holte ich kurz Luft, presste meine Kiefer fest aufeinander und schob meine Hände unter seine Arme, bevor ich in die Hocke ging und ihn mit aller Kraft hochzog. Ich kam nur langsam voran und musste immer wieder Pause machen, aber etwas in mir weigerte sich, einfach aufzugeben.
Die Schmerzen in meinem Bauch wurden mit jedem Schritt schlimmer und ich hustete fast ununterbrochen, während ich meinen Vater durch den schmalen Flur zog. Als ich aber endlich die Tür ausmachen konnte, fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen und das Adrenalin rauschte nur so durch meinen Körper in der Aussicht, dass ich es gleich endlich hier raus geschafft haben würde. Um die Tür zu öffnen, musste ich meinen Appa kurz loslassen, zischte aber beinahe sofort auf, als ich die Klinke berührte. Das Metall war so heiß, dass es schon fast glühte, weshalb ich den Ärmel herunterschüttelte und es noch mal versuchte. Diesmal klappte es tatsächlich und ich konnte meinen Vater endlich raus in den Hausflur ziehen.
Um keine Gefahr zu laufen, dass das Feuer uns doch noch erreichte, zog ich ihn sogar ein paar Meter weiter und ließ mich völlig außer Puste neben ihn fallen. Die nächste Welle der Erleichterung zog durch meinen Körper, denn ganz leise konnte ich schon die Sirenen der Feuerwehr hören und war so unendlich froh. Als ich zu meinem Vater sah, weitete ich jedoch die Augen, denn das Blut lief noch immer und aus Reflex zog ich meinen Hoodie aus, um ihn unter seinen Kopf zu legen und damit die Wunde zu bedecken. Ich hatte es geschafft. Meiner Mutter konnte ich damals nicht helfen, aber meinen Vater hatte ich aus den Flammen gerettet.
Eomma.... „Eomma!", hörte ich mich plötzlich schreien und sprang, die Schmerzen ignorierend, auf. Ohne weiter darüber nachzudenken, rannte ich zurück zur Wohnung und hielt mir einen Arm vors Gesicht, ehe ich reinging und den Qualm mit der anderen Hand vor mir her wedelte. Sicher, es war eine ziemlich dumme Idee gewesen, aber ich musste ihr Foto einfach holen, immerhin war es alles, was ich von meiner Mutter noch hatte. Überall loderten die Flammen und es zischte immer wieder, aber ich konnte nur noch an dieses Bild denken. Es gab keine Kopie davon und es war das Einzige, auf dem wir zusammen drauf waren.
Nichts und niemand hätte mich davon abhalten können, es zu holen.
Gerade war ich bei der Kommode angekommen, da zischte es erneut hinter mir und ich hörte ein Knarzen. Ich drehte mich um und ich hielt die Luft an. Der Balken, der die Küche vom Wohnzimmer trennte, drohte umzukippen und immer wieder fielen kleine Holzstücke ab. Wieder machte sich Panik in mir breit und meine Augen tränten. Mir war heiß und ich bekam das Gefühl, bald zu ersticken. Ohne noch eine weitere Sekunde zu verschwenden, schnappte ich mir das Foto vom Boden und steckte es schnell in meine Hosentasche. Ich wollte eilig wieder rausgehen, aber genau in diesem Moment passierte es: Der Balken gab einen fast schon heulenden Laut von sich, bevor er mit einem lauten Knall umkippte und mir den Weg nach draußen versperrte.
‚Das wars für mich', geisterte durch meinen Kopf und ich sank hilflos auf die Knie. Das sollte also mein Leben gewesen sein. Ich hatte meine Mutter verloren, mein Vater hasste mich und als ich endlich Liebe gefunden hatte, sollte ich sterben. Ich holte das Foto wieder aus meiner Tasche und presste es an meine Brust. „Ich bin bald bei dir, Eomma...", murmelte ich und senkte den Kopf. Man sagte ja, dass das ganze Leben an einem vorbeizieht, wenn man dem Tod nahe ist, aber ich sah nur eines: Jungkook.
Und mit diesem Gedanken, schloss ich meine Augen.
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Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓
Fanfiction❝I think perfection is ugly. Somewhere in the things human make, I want to see scars, failure, disorder, distortion.❞ - Yohji Yamamoto Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen und obwohl es in der Natur des Menschen liegt, mit den Augen zu sehen...