Taehyung
Wir liefen stumm nebeneinander her, denn ich wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte. Es war mir noch immer unangenehm, dass Jungkook mich nach Hause begleitete, gerade nach meinem kleinen Zusammenbruch. Zwar würde mein Vater nicht zu Hause sein, aber das machte es nicht wirklich besser. Er würde trotzdem sehen, wie ich lebte und das war mir unheimlich peinlich, denn obwohl ich die Wohnung so gut es ging sauber hielt, war mein Vater bis vor kurzem noch zu Hause und das hieß, dass es nicht besonders ordentlich sein konnte.
Am Haus angekommen, zögerte ich eine Weile, bevor ich anfing in Zeitlupe nach meinem Schlüssel zu kramen. „Du... Du musst nicht mit hochkommen...“, versuchte ich noch ein letztes Mal, ihn davon abzuhalten, redete aber gegen eine Wand. „Schon gut, ich habe heute sowieso nichts mehr vor“, zuckte er mit den Schultern und der letzte Rest an Hoffnung in mir starb. Gleich würde er sehen, wie schäbig ich lebte...
Wir stiegen die Treppen hoch, sagten dabei aber kein Wort. Viel mehr sagte ich nichts, denn ich war zu sehr damit beschäftigt, Jungkook den Zustand meiner Wohnung zu erklären und die passenden Worte dafür zu finden, ohne ihm alles sagen zu müssen. Klar, ich hätte ihn auch einfach vor der Tür stehen lassen können, aber dann hätte mein Gewissen noch lauter geschrien, als sowieso schon. Jungkook hatte mir mit seinem Geld geholfen, obwohl er das nicht musste, da konnte und wollte ich nicht so unhöflich sein.
Vor meiner Tür steckte ich den Schlüssel ins Schloss und sah Jungkook an. „Ehm, könntest du vielleicht kurz hier warten? Ich muss nur eben schauen, ob-“ „Hör auf, Taehyung. Was immer es ist, du wirst mich nicht verschrecken“, unterbrach er mich und ich weitete die Augen. Was nun? Ich konnte ihn doch nicht mit in die nach Qualm und Alkohol stinkende Wohnung nehmen. Ihn, der ein so schönes, ordentliches und großes Haus hatte. Ich konnte aber nicht weiter darüber nachdenken, denn im nächsten Moment spürte ich Jungkooks Hand auf meiner und er schloss mit mir zusammen die Tür auf, bevor er sie langsam aufdrückte.
Ich stand wie festgefroren da, nicht fähig, mich zu bewegen oder irgendetwas zu sagen. Jungkook dagegen ging rein und ich konnte sehen, dass er sich umschaute. Er seufzte und drehte sich zu mir um. „Was ist? Willst du nicht reinkommen?“, fragte er und traf damit genau ins Schwarze. Nein, ich wollte nicht. Ich wollte nicht in die Wohnung gehen, die eigentlich mein Zuhause war und für die ich mich nun schämte. Ich wollte nicht sehen, was Jungkook alles zu Gesicht bekam und ich wollte nicht wissen, was er darüber dachte. Die Tränen stiegen mir wieder in die Augen und mein Hals schnürte sich zu. Ich umklammerte die Tüte in meiner Hand, als würde sie verhindern, dass ich im Boden versank.
„Gut, dann fange ich ohne dich an. Wo ist das Putzzeug?“, fragte er plötzlich, während er sich die Ärmel hochschob und die Hände in die Hüften stemmte. Mein Blick löste sich vom Boden und ich sah ihn irritiert an. „Was? Jungkook, du musst nicht... Ich will nicht... Das ist nicht...“, brachte ich bloß abgehackt heraus, denn ich konnte nicht glauben, was hier passierte.
Der Dunkelhaarige seufzte, ehe er auf mich zukam und mir die Tüten aus der Hand nahm. „Es macht mir nichts aus, Taehyung. Wirklich nicht. Du musst wissen, bevor meine Mutter so erfolgreich wurde, war sie Putzfrau und ich habe ihr oft geholfen, wenn ich nicht alleine zu Hause bleiben durfte. Ich mag das Putzen, irgendwie beruhigt es mich. Also, wollen wir? Danach können wir ja irgendwas zocken oder einen Film schauen. Na?“, erklärte er und ich blinzelte ein paar Male. „O-Okay...“, stimmte ich zu und atmete tief durch, bevor ich mir einen Ruck gab.
Als ich im Wohnzimmer stand und mir das Chaos ansah, wäre ich am Liebsten wieder rausgerannt. Es lagen wieder überall Flaschen herum, der Aschenbecher auf dem Tisch war voll und die Asche war daneben verteilt auf dem Tisch, während Klamotten auf dem Boden verstreut waren und eine geöffnete Dose Ravioli umgekippt auf dem Boden lag. „Tae-“ „Es tut mir leid!“, schrie ich schon fast, als Jungkook mich leicht an der Schulter packte und zu sich umdrehen wollte.
Sofort ließ er mich los und hob beschwichtigend die Hände. „Hey, alles okay. Ich tu dir nichts, hörst du? Es ist alles in Ordnung“, sagte er und ich versuchte, mein rasendes Herz wieder unter Kontrolle zu kriegen. „Hier sieht es so schrecklich aus“, flüsterte ich und versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen. Ein leises Schmunzeln kam von Jungkook und ich linste durch meine Finger hindurch. „Vielleicht tut es das, aber das ist alles nur oberflächlich. Das Schöne ist einfach nur versteckt, mit ein bisschen Arbeit kriegst du das aber wieder hin...
...und ich helfe dir dabei.“
____
Na, wer ist hier noch alles dabei? :)
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Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓
Fanfiction❝I think perfection is ugly. Somewhere in the things human make, I want to see scars, failure, disorder, distortion.❞ - Yohji Yamamoto Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen und obwohl es in der Natur des Menschen liegt, mit den Augen zu sehen...