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Taehyung

Als es schon fast dunkel war und ich den Krankenhausmief abgeduscht hatte, lagen wir zusammen in Jungkooks Bett. Er hatte eine von den Platten aufgelegt, die neben dem Plattenspieler standen und so lauschten wir eine ganze Weile lang nur den sanften Klängen des Saxophons. Jungkook hielt die ganze Zeit über meine Hand und spielte abwechselnd mit meinen Fingern. Zwischendrin kam es mir schon fast vor, als wäre er besessen von ihnen gewesen, aber es machte mir nicht wirklich etwas aus.

„Mittlerweile mag sogar ich diese Art von Musik", meinte er plötzlich, als das Lied sich dem Ende zuneigte und ich drehte meinen Kopf mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm, „Ach, wirklich? Keine asthmatische Mücke mehr, die dir um die Ohren fliegt?", grinste ich, als ich an diesen Abend denken musste und Jungkook gab mir direkt einen leichten Klapps auf die Brust. „Idiot", schmunzelte er, lehnte sich zu mir vor und gab mir einen sanften Kuss. Zwar machte er das öfter, aber irgendwie reichte es mir in diesem Moment nicht.

Deshalb legte ich meine Hand auf seinen Nacken, sodass er nicht zurückweichen konnte und fing an, meine Lippen schüchtern gegen seine zu bewegen. Mein ganzes Gesicht kribbelte vor lauter Nervosität, aber es fühlte sich gleichzeitig auch unfassbar schön an. Meine Gefühle feierten eine riesige Party und ich fühlte zum ersten Mal was es bedeutete, wenn jemand von „Schmetterlingen im Bauch" redete. In den ganzen letzten Wochen hatte ich so viel um die Ohren und im Kopf, dass ich es nie richtig genießen konnte, aber in diesem Augenblick schien das Alles wie weggefegt.

Jungkook richtete sich ein wenig auf und legte seine Hand auf meine Wange. Sein Daumen strich immer wieder über meine Haut und auch über meine Narben, weshalb ich eine heftige Gänsehaut am ganzen Körper bekam. So unglaublich es mir auch immer schien, aber es machte mir absolut nichts mehr aus, dass er das tat. „Ich liebe dich so sehr", hauchte er gegen meine Lippen, was ich sofort erwiderte und ihn erneut zu mir runterzog. Irgendwann bewegte seine Hand sich weiter runter, über meine Brust, bis zu meinem Bauch und schließlich blieb sie auf meiner Seite liegen. Nur wir beide zählten in diesem Moment.

Wir beide und mein Handy, denn genau das fing urplötzlich an zu klingeln und wir sahen beide sofort zur Seite. „Wer ruft denn jetzt noch an?", stieß Jungkook aus. Da ich die Antwort darauf aber auch nicht wusste, zuckte ich mit den Schultern und sah aufs Display, aber die Nummer war mir völlig unbekannt. „Geh' nicht dran", bat Jungkook und drückte mir wieder seine Lippen auf. Irgendwann hörte es auf zu klingeln, doch es dauerte keine fünf Sekunden, da ging der Klingelton schon wieder los.

Diesmal setzte ich mich auf und nahm das Handy in die Hand. „Vielleicht ist es wichtig", murmelte ich und Jungkook seufzte. „Na gut, ich geh' uns was zu trinken holen", und schon war er aus dem Zimmer gegangen. Ich schob derweil den grünen Hörer nach rechts und noch bevor ich etwas sagen konnte, tönte eine blecherne Stimme vom anderen Ende der Leitung. „Ein Gefangener der JVA Seoul möchte mit Ihnen sprechen. Sind Sie einverstanden? Dann drücken Sie bitte die Eins. Wenn nicht, legen Sie einfach auf."

Ich erstarrte.

Das konnte nur mein Vater sein.

Eigentlich wollte ich nicht. Ich wollte auflegen, mein Handy ausschalten und es in die hinterste Ecke werfen. Aber da war noch der andere Teil in mir, der hören wollte, was er zu sagen hatte und wissen wollte, wie es ihm ging. Der Kampf der beiden Seiten dauerte nicht lange, da hatte mein Finger auch schon auf die Zahl gedrückt. Ich sagte nichts. Nicht ein Ton kam über meine Lippen. Es raschelte kurz und dann hörte ich seine Stimme. Sofort fing ich an zu zittern und griff mir unbewusst an den Unterarm, direkt auf die Narbe, die das Feuer vor ein paar Wochen verursacht hatte.

„Taehyung? Bist du da?", fragte er und seine Stimme klang irgendwie so anders... „Mhm", machte ich aber nur und klammerte mich an meinem Handy fest, als hätte es mir irgendwie Halt geben können. „Ich weiß, du willst sicher nicht mit mir reden... Und daran bin ich selbst schuld, das ist mir klar. Aber ich würde dir wirklich gern etwas sagen und wenn du zuhören würdest, wäre das wirklich lieb von dir...", setzte er nach und ich zog meine Stirn in Falten. Ja, das war die Stimme meines Vaters, aber was er sagte und vor allem wie, verwirrte mich. „I-Ich... Okay", bekam ich nur raus und presste meine Lippen aufeinander. In dem Moment kam Jungkook wieder reingelaufen, der mich auch sofort fragend ansah. Ich drückte auf Lautsprecher und legte das Handy vor mir aufs Bett.

„Okay, oh Gott... I-Ich habe mir aufgeschrieben, was ich sagen wollte, aber ich habe den Zettel vergessen, Mist...", murmelte mein Vater und Jungkook machte große Augen. Er sah mich an, als hätte er fragen wollen, ob er das Handy für mich aus dem Fenster schmeißen sollte, aber ich signalisierte ihm, dass es okay war. Deshalb setzte er sich neben mich und nahm meine Hand in seine. Wieder raschelte es und mein Vater sprach weiter.

„Okay, dann sage ich es so... Also, zu aller erst würde ich dir gern sagen, wie leid mir das tut, was passiert ist. Alles. Ich weiß, ich kann nichts davon rückgängig machen, aber du sollst wissen, dass ich jeden einzelnen Tag bereue, an dem ich dir nicht der Vater war, den du verdient hast. Ich möchte gar keine Erklärung für mein Verhalten suchen, denn dafür gibt es einfach keine...", er stockte kurz und ich schluckte trocken. Mein Herz klopfte verdammt schnell und ich drückte Jungkook wahrscheinlich gerade die Blutzufuhr zu seiner Hand ab.

„...ich dürfte dich überhaupt nicht darum bitten, aber ich habe eine Therapie angefangen, die ich auch noch weitermachen werde, wenn ich hier wieder raus bin. Ich schäme mich so, Taehyung. Ich schäme mich für all das, was ich dir angetan habe, das meine ich ehrlich. Und wenn ich die Therapie erfolgreich hinter mich gebracht habe, hätte ich dich gern wieder bei mir. Du hast so lange für deinen alten Vater gesorgt, das war nicht richtig. Ich möchte für dich sorgen und dir all das geben, was ich in den letzten drei Jahren verpasst habe. Natürlich weiß ich, dass du mir nicht einfach so alles glauben kannst und ich mich erst beweisen muss... Ich wollte das auch nicht übers Telefon machen, aber du sollst nicht hierher kommen und mich so sehen... Okay, ehm... Das wars, was ich dir sagen wollte. Ich muss jetzt wieder auflegen, meine Zeit ist um. Aber eine letzte Sache noch:", beendete er seinen Vortrag und ich legte den Kopf schief. Dann sagte er aber etwas, das ich schon sehr lange nicht mehr aus seinem Mund gehört hatte, bevor er auflegte.

„Ich hab' dich lieb, mein Sohn."

Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt