Taehyung
Zwei weitere Wochen später, durfte ich das Krankenhaus endlich verlassen. Zwar wusste ich nicht, was mich nun erwarten würde und wie mein Leben aussehen würde, aber ich war froh darüber, nicht mehr in diesem Krankenhausbett schlafen zu müssen.
Kurz bevor ich entlassen wurde, kam noch eine Psychologin zu mir und bot mir an, dass ich einmal in der Woche zu ihr kommen könne, um das Erlebte zu verarbeiten oder einfach, um mit einer unabhängigen Person reden zu können. Sie war wirklich nett und obwohl ich nie ein Mensch war, der seine Sorgen anderen erzählte, vertraute ich ihr irgendwie. Ein bisschen. Deshalb sagte ich auch nicht sofort nein, als sie mir dieses Angebot gemacht hatte.
Mein Vater hatte nur eine leichte Gehirnerschütterung und eine Platzwunde am Kopf, weshalb er schon vor mir entlassen und direkt in Untersuchungshaft gebracht wurde. Ich hatte aus dem Fenster gesehen, als sie ihn abführten und alles in mir schrie danach, runter zu rennen und mich vor die Polizisten zu stellen. „Es muss sein... Er wird zurechtkommen", hatte Jungkook mir gut zugeredet und mich in den Arm genommen, als ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ich wusste, dass er recht hatte und dass mein Vater nun endlich Hilfe bekam. Und trotzdem tat es weh zu sehen, dass er mein Leben, vorerst, in Handschellen verließ.
Gerade war ich dabei, ein paar Formulare zu unterschreiben, da kam der Dunkelhaarige auch schon mit seiner Mutter im Schlepptau ins Zimmer gelaufen. Sie kam direkt auf mich zu und zog mich in ihre Arme, während sie mir über den Kopf strich und mir danach auf die Schulter klopfte. „Eomma, lass' mir auch was übrig!", zog Jungkook plötzlich an meinem Arm und ich musste sofort grinsen, denn Jungkook war regelrecht zu einem Kuscheltier mutiert. Bei jeder Gelegenheit umarmte und küsste er mich. Anfangs war es zwar etwas ungewohnt, aber ich muss zugeben, ich hatte mich ziemlich schnell daran gewöhnt.
Mrs. Jeon schüttelte lächelnd den Kopf und zog etwas aus ihrer Handtasche. „Also, Seokjin hat bereits etwas gefunden, wo ihr gemeinsam wohnen könnt, allerdings müssen dort noch ein paar Dinge erledigt werden. Deshalb dachten wir, du möchtest in der Zwischenzeit vielleicht bei uns wohnen", erklärte sie und mein Grinsen wurde noch breiter. „Klar!", stieß ich aus und Jungkook schmunzelte, ehe er mich zu sich drehte und mein Gesicht mit seinen Händen umrahmte. „Ich liebe dich", flüsterte er und drückte einen kurzen Kuss auf meine Lippen. „Ich liebe dich auch", erwiderte ich und sah in diese liebevollen, warmen Augen, die mir so viel gegeben hatten. „Das könnt ihr später weiterführen, Jungs!", unterbrach Jungkooks Mutter uns und klatschte in die Hände. „Ab nach Hause!"
[....]
Gut zwei Stunden später, saßen wir gemeinsam am Tisch bei den Jeons und hatten etwas gegessen, unterhielten uns aber noch ein wenig über alles Mögliche. Jungkook hielt die ganze Zeit über meine Hand unterm Tisch und streichelte mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Er tat es nicht mehr, weil er mich beruhigen wollte, denn das war nicht mehr nötig. Diese Geste war so viel mehr, als das und gab mir ein warmes, fast schon kribbelndes Gefühl von Zuhause, Liebe und Geborgenheit.
Nachdem wir den Tisch abgeräumt hatten, musste Mrs. Jeon noch los um irgendetwas zu erledigen, also gingen Jungkook und ich nach oben. Am Treppenabsatz blieb er stehen und schaute mich mit einem undefinierbaren Blick an. „Was ist?", wollte ich wissen und der Dunkelhaarige biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor er antwortete. „Also... Ich wusste nicht, ob du weiter im Gästezimmer oder... bei mir schlafen möchtest. Also hab' ich einfach beide Zimmer vorbereitet... Ich hoffe, das stört dich nicht", gab er zögerlich von sich und ich musste schmunzeln. „Ein eigenes, schönes Zimmer ist zwar cool... Aber ich denke, ich schlafe doch lieber mit dir", grinste ich und Jungkook riss die Augen weit auf.
Es dauerte einen Moment, aber dann begriff auch ich, was ich da gesagt hatte und hob sofort die Hände. „Bei dir! Bei dir schlafen! Nicht mit dir! Also, nicht sofort. Irgendwann, aber-", ich wurde von Jungkooks Lippen unterbrochen, die sich auf meine legten und augenblicklich ebbte die Aufregung wieder ab. „Beruhig' dich, Tae. Alles ist gut", hauchte er und sah mir in die Augen. Ich nickte und lächelte ihn an, ehe er meine Hand nahm und mich trotz allem zum Gästezimmer führte. „Okay, dann lass' uns deine Sachen holen und sie in mein, nein unser Zimmer bringen", sagte er und öffnete die Tür.
Ich staunte nicht schlecht, als ich das neu eingerichtete Zimmer sah. Die Bettwäsche war nicht mehr weiß, sondern dunkelblau mit hellen Mustern darauf. An der Wand hingen Bilder und Poster, in der Ecke stand ein Schreibtisch und ein Stück daneben ein Kleiderschrank. Es sah überhaupt nicht mehr aus wie ein Gästezimmer. Eine Sache hatte sich aber nicht verändert: Der Plattenspieler. Er stand noch immer auf der kleinen Kommode neben dem Bett, nur reihten sich daneben einige mehr Platten, als ich in Erinnerung hatte.
Neugierig ging ich darauf zu und zog eine davon heraus. „Hast du die alle gekauft?", wollte ich wissen, aber Jungkook schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, nicht alle. Mein Vater hatte noch einige auf dem Dachboden und Yoongi hat auch noch ein paar gekauft", erklärte er und ich legte die Platte aufs Bett, bevor ich ihn abermals umarmte. Als ich aber gerade etwas sagen wollte, fiel mein Blick auf den Nachttisch und ich wich sofort einen Schritt zurück. „Ist das-", brachte ich nur raus und ging auf das Schränkchen zu. Mit leicht zittrigen Fingern streckte ich meine Hand aus und nahm den silbernen Rahmen hoch, in dem das Foto meiner Mutter steckte.
Jungkook kam zu mir rüber und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ich dachte, du hättest sie gern bei dir...", sagte er mit roten Wangen und mir liefen einzelne Tränen über die Wangen. Nicht weil ich traurig war, im Gegenteil. Es waren Freudentränen. Freudentränen, weil mir ein Mensch geschickt wurde, der so etwas für mich tat und nichts von mir verlangte.
Und es war ein so schönes Gefühl...
DU LIEST GERADE
Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓
Fanfiction❝I think perfection is ugly. Somewhere in the things human make, I want to see scars, failure, disorder, distortion.❞ - Yohji Yamamoto Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen und obwohl es in der Natur des Menschen liegt, mit den Augen zu sehen...