Taehyung
Ich wusste, wieso Jungkook abgehauen war und, dass er meine Worte wahrscheinlich völlig falsch aufgefasst hatte. Wie schon gesagt, ich war ein ziemlich guter Menschenkenner und deshalb war ich auch nicht wirklich böse auf ihn. Etwas enttäuscht vielleicht, weil er einfach abgehauen war und sich nicht gemeldet hatte, aber böse? Nein.
Jimin war aufgewacht, kurz nachdem ich wieder im Haus eintraf und er hatte uns auch sofort erzählt, was passiert war. In diesem Moment war es wohl besser, dass Jungkook nicht da war, denn was Jimin uns da erzählte, hätte ihn wahrscheinlich explodieren lassen. Kurz bevor er dunkel wurde, sind die Beiden dann aber auch gegangen. Jimin wollte unbedingt duschen und Yoongi wich ihm natürlich keinen Zentimeter von der Seite.
Ich hatte auch erst überlegt, ob ich vielleicht lieber zu Jin Hyung gehen sollte, aber wie ich Jungkook kannte, hätte er sich sicher bloß Sorgen gemacht und das konnte ich ihm dann doch nicht antun. Und da war wieder das Problem, das ich schon so lange hatte: Ich dachte immer zuerst daran, wie andere sich fühlten, statt auf mich selbst zu hören. Aber wollte ich selbst denn gehen? Wollte ich bei meinem Hyung sitzen und permanent darüber nachdenken, was Jungkook wohl gerade machte und wie er sich fühlte?
Nein, wollte ich nicht.
Ganz sicher nicht, denn dann wäre ich mindestens genau so verrückt geworden. Deshalb saß ich wieder auf dem kleinen Balkon, der ans Arbeitszimmer grenzte und sah mir die Sterne an, die durch den Smog ausnahmsweise mal zu sehen waren, als ich die Tür ins Schloss fallen hörte. Jungkook war endlich wieder da und mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Ach was, ein Felsbrocken. Zuerst tat sich nicht viel und ich hörte auch kaum Geräusche. Gute zwei Minuten später drang mir aber das Geräusch vom Bett des Dunkelhaarigen ins Ohr, auf das er sich wohl gerade hatte fallen lassen. Ich ließ ihm noch einen Moment für sich, rappelte mich dann aber auf und ging langsam und leise wieder ins Haus.
Er hatte seine Tür nicht geschlossen, also konnte ich vom Türrahmen aus sehen, dass er mit dem Rücken auf der Matratze lag, seinen Unterarm auf sein Gesicht gelegt hatte und sich nicht rührte. Nur seine Brust hob und senkte sich, während sein anderer Arm ausgestreckt auf dem Bett lag. Zwar kostete es mich Überwindung, aber in diesem Moment wollte ich einfach in seiner Nähe sein. Ich ertrug es nicht, dass wir uns gestritten hatten und er nun sauer auf mich war. Ganz und gar nicht.
Ich ging also auf das Bett zu und versuchte, mein klopfendes Herz unter Kontrolle zu bekommen, was mir nicht wirklich gelang. Dort angekommen, kletterte ich langsam darauf und legte meinen Kopf auf Jungkooks ausgestrecktem Arm ab. Ich wusste nicht, ob das zu viel oder er noch immer sehr sauer auf mich war, aber seine Reaktion beantwortete mir das beinahe noch in der Sekunde, als mein Kopf seinen Arm berührte. Der Dunkelhaarige legte sofort seinen Arm um mich und zog mich so nah zu sich, wie es nur ging. Aus Reflex legte ich ebenfalls einen Arm um ihn, sodass wir einen Moment lang einfach eng umschlungen dalagen.
„Ich hatte Angst...", murmelte er plötzlich und ich wich ein wenig zurück, nur um ihm in seine verdächtig glänzenden Augen zu sehen. „...solche Angst", kam erneut von ihm und ehe ich mich versah, vergrub er sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Seine Schultern bebten und er zitterte am ganzen Körper, weshalb ich ihn nur noch fester an mich drückte. Die Tränen liefen nur so über meinen Hals und Jungkook kriegte sich überhaupt nicht wieder ein, egal wie sehr ich versuchte, ihn zu beruhigen. „Wovor hattest du Angst?", fragte ich ihn und er zog mich, sofern das überhaupt noch möglich war, noch näher an sich heran. „Davor, dich verloren zu haben...", sagte er und ich spürte, dass er es ehrlich meinte. Deshalb drückte ich ihn etwas von mir und legte meine Hände auf seine durchnässten Wangen.
„Du wirst mich nicht verlieren, Jungkook. Niemals, hörst du?", versicherte ich ihm und hoffte, dass er mir glauben würde, aber er konnte einfach nicht aufhören zu weinen. Wieder nahm ich all meinen Mut zusammen und sah ihm noch einmal in die Augen, bevor ich meine eigenen schloss und ihn einfach küsste. Erst reagierte er nicht, aber dann drückte er mich plötzlich so weit zurück, dass ich mit dem Rücken auf dem Bett lag und Jungkook sich über mir abstützte. Er unterbrach den Kuss nicht eine Sekunde lang, viel mehr stürzte er sich hinein, als wäre es die rettende Fata Morgana in einer ewigen Wüste gewesen. Er küsste mich mit so viel Verzweiflung, dass es mir einen Schauer über den ganzen Körper jagte und auch mir einzelne Tränen aus den Augen drangen.
Ich musste es ihm sagen.
Ihm beweisen, dass ich ihn nicht allein lassen würde und ihm diese Angst endlich nehmen.
„Jungkook", murmelte ich mühsam und er stoppte, lehnte sich zurück und sah mich fragend, aber noch immer leicht zitternd an. „Weißt du, wieso ich dich niemals verlassen werde?", fing ich an, aber sein Blick wurde nur noch fragender. „Nein, wieso?" Ein letztes Mal atmete ich durch, legte meine Hände wieder auf seine Wangen und lächelte. „Weil ich bei dir zu Hause bin, Jungkook. Und weil ich...
...dich liebe."
Das tat ich wirklich. Zum allerersten Mal in meinem Leben konnte ich diese Gefühle zulassen und es tat so unglaublich gut, sie nun endlich ausgesprochen zu haben...
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Hat ja nur 67 Kapitel gedauert xD
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Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓
Fanfic❝I think perfection is ugly. Somewhere in the things human make, I want to see scars, failure, disorder, distortion.❞ - Yohji Yamamoto Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen und obwohl es in der Natur des Menschen liegt, mit den Augen zu sehen...