Taehyung
Dumpfes Piepen schallte durch meinen Kopf und vereinzelt tauchten immer wieder Bilder vor meinem inneren Auge auf. Ich versuchte durchzuatmen, aber irgendetwas in meiner Nase fühlte sich komisch an. Ich spürte, dass etwas um meine Brust gespannt war und es dauerte nicht lange, da schoss mein Puls in die Höhe.
„W-Wo bin ich?", stotterte ich heiser und öffnete blinzelnd die Augen. Das helle Licht piekste und meine Sicht verschwamm beinahe sofort. Das dumpfe Piepen wurde lauter und schneller, weshalb ich die Augen wieder zusammenkniff und meine Hände auf meine Ohren pressen wollte, allerdings schaffte ich es nicht, denn irgendwas hing an meinen Armen und ich zischte auf, als ich merkte, dass etwas IN meinem Unterarm steckte.
„Tae, beruhig' dich. Du bist im Krankenhaus, hörst du?", legte jemand seine Hand auf meine Schulter und ich brauchte einen Moment, um die Stimme zu erkennen: Yoongi. Sofort kam die Erinnerung zurück und ich riss die Augen auf. Ich wollte mich aufsetzen und stützte mich auf meiner Hand ab, allerdings zog ein stechender Schmerz hindurch und ich fiel wieder zurück auf das Kissen unter meinem Kopf. „Hey, bleib liegen! Du kannst doch nicht einfach so aufspringen!", kam erneut von meinem besten Freund, aber seine Stimme klang deutlich besorgter.
„W-Wo ist Jungkook?", wollte ich wissen, bekam den Satz aber nicht ganz heraus, da ich wieder husten musste. Es kratzte in meinem Hals und in meiner Brust schmerzte es, genau wie in meinem Bauch. „Jungkook ist draußen. Er redet mit der Polizei und irgendwelchen Anzugträgern. Ihm geht es gut, keine Sorge", antwortete der Ältere und setzte sich auf einen Stuhl neben mein Bett. Bevor ich weiter fragen konnte, holte er aber kurz Luft und redete weiter. „Bei deinem Vater sieht das anders aus. Er hat eine Gehirnerschütterung, eine Platzwunde am Kopf und eine leichte Rauchvergiftung. Er liegt ein paar Zimmer weiter und schläft seinen Rausch aus", erklärte er und ich atmete erleichtert durch.
Ich hatte also nicht wieder versagt.
Es dauerte eine gute Stunde, in der Yoongi mir etwas zu trinken gegeben hatte und mir dabei half, mich ein kleines bisschen aufzusetzen, aber die Sorgen um meinen Vater geisterten die ganze Zeit über durch meinen Kopf. Als dann aber die Tür aufging, spannte mein ganzer Körper sich an. Eine Frau und ein Mann im Anzug kamen rein, dicht gefolgt von zwei Polizisten und... Jungkook. Ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah, da sprach die Frau mich auch schon an. „Hallo, Taehyung. Mein Name ist Oh Soon-Ah, du kannst mich aber Soon-Ah nennen, wenn du möchtest. Das ist mein Kollege Choi Min-Sung und wir sind Sozialarbeiter bei der Jugendfürsorge. Würde es dir etwas ausmachen, kurz mit uns zu reden? Danach kannst du dich wieder ausruhen", stellte sie sich vor und ich verstand nur Bahnhof.
„Jugendfürsorge? Wieso sind Sie hier?", kam stattdessen von Yoongi, der aufstand und seine Arme vor der Brust verschränkte. Jungkook trat neben ihn und schüttelte mit dem Kopf, ehe mein bester Freund seinen Mund wieder schloss und ein Stück zur Seite ging. Die Anzugleute sahen sich kurz an und dann kam der Mann näher. „Sieh' mal, Taehyung... Uns ist bekannt, dass es deinem Vater gesundheitlich nicht gut geht, seit deine Mutter damals gestorben ist, aber uns war nicht bewusst, WIE schlimm es mittlerweile geworden ist und wie sehr du darunter leidest. Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du wirst nicht mehr zu ihm zurückkönnen und da du außer ihm keine Verwandten oder einen möglichen Vormund hast, nimmt das Jugendamt dich in Obhut."
Ich konnte nichts anderes tun, als blinzeln und mit offenem Mund dazusitzen.
Sie wollten mich meinem Vater wegnehmen? Jetzt?
„A-Aber ich will nicht woanders leben!", schoss es aus mir. Nicht, weil ich unbedingt bei meinem Vater leben wollte, sondern weil Jugendamt Heim bedeutete und ich wusste, dass es dort Regeln gab. Und das wiederum hätte bedeutet, dass ich Jungkook nicht mehr so oft sehen konnte und dazu wahrscheinlich auch noch die Schule hätte wechseln müssen. Unbewusst streckte ich meine Hand aus und es dauerte keine Sekunde, da ergriff Jungkook sie auch schon und strich mit dem Daumen über meinen Handrücken. Sein Kopf war gesenkt und er sah... traurig? aus.
„Das war leider noch nicht alles, Taehyung. Dein Vater wird zusätzlich wegen Kindeswohlgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Und bei der Schwere deiner Verletzungen, müssen wir davon ausgehen, dass er erst einmal nicht fähig dazu sein wird, sich um dich zu kümmern."
Von da an bekam ich alles nur mit, als hätte ich in einer Seifenblase gesessen. Ich war taub für alles, was die Menschen im Raum sagten. Sowohl der Arzt, als auch die Polizisten. Ich konnte nur noch nicken und starrte auf meine Hand, die verbunden in meinem Schoß lag. Mein ganzes Leben war ein Scherbenhaufen und ich fühlte mich so unglaublich machtlos...
Irgendwann waren so gut wie alle gegangen, nur Yoongi und Jungkook waren noch bei mir und als ich dem Dunkelhaarigen in die Augen sah, brachen alle Dämme. „W-Was wird denn jetzt aus mir? Aus uns? I-Ich kann doch nicht... Ich will nicht...", schluchzte ich und Jungkook setzte sich alarmiert zu mir aufs Bett, ehe er mich vorsichtig in den Arm nahm und mir beruhigend über den Rücken streichelte. „Shhh, das wird schon wieder, hörst du? Wir finden eine Lösung, Tae. Ich lasse dich nicht allein. Schon vergessen? Wir werden uns nie verlieren", flüsterte er, aber der Heulkrampf wollte einfach nicht aufhören. Ich bekam überhaupt nicht mit, dass Yoongi wohl irgendwann das Zimmer verlassen hatte, denn ich war gefangen in einem Strudel aus Verzweiflung, Angst und Trauer.
Jungkook tat sein Bestes, mich aufzumuntern, aber ich sah einfach kein Licht am Ende des Tunnels. Ich hatte doch immer alles getan, was ich konnte. Wieso spielte mir das Leben also so übel mit und riss mir immer und immer wieder den Boden unter den Füßen weg? Womit hatte ich das Alles nur verdient?
Nach einer Weile, in der ich mich nur mäßig beruhigt hatte, wurde die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen und Jin kam reingestürmt. Auch Yoongi war wieder da und er trug ein seltsames Grinsen auf den Lippen. „Oh mein Gott, Tae!", stieß mein Hyung aus und er schubste Jungkook fast schon zur Seite, ehe er mich in seine Arme zog und an sich drückte. „Hyung", wimmerte ich und krallte mich im Stoff seiner Jacke fest, so gut ich konnte. Ich fing wieder an zu weinen, da wurde die Tür erneut geöffnet. Die Frau vom Jugendamt kam herein und hielt irgendwelche Papiere in der Hand.
„Das hier ist das Formular, um das Sie gebeten haben, Mr. Kim", sagte sie und hielt es mir entgegen. Ich wollte danach greifen, aber mein Hyung kam mir zuvor. Irritiert sah ich ihn an, aber Jin beachtete mich einen Moment lang überhaupt nicht, stattdessen las er sich alles durch, was auf dem Papier stand. Dann wandte er sich an Soon-Ah. „Wie stehen die Chancen, dass es klappt?", fragte er und ich verstand noch weniger als vorher. Die dunkelhaarige Frau zog die Schultern hoch und faltete ihre Hände. „Nun ja, der aktuellen Sachlage nach, dürfte nichts dagegensprechen. Wenn alles geprüft wurde und keine Störfaktoren auftreten, sehe ich keine Schwierigkeiten. Sie haben einen festen Job, also ein geregeltes Einkommen und hoffentlich ein gutes, wohnliches Umfeld. Machen Sie sich also keine Sorgen, was ich ermöglichen kann, werde ich tun."
Und damit war sie auch schon wieder verschwunden.
„Wovon hat sie geredet?", kam es von Jungkook und wir alle sahen abwartend zu meinem Hyung. „Ganz einfach...", fing er an und drehte sich zu mir.
„...ich beantrage die Vormundschaft für dich."
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Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓
Fanfiction❝I think perfection is ugly. Somewhere in the things human make, I want to see scars, failure, disorder, distortion.❞ - Yohji Yamamoto Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen und obwohl es in der Natur des Menschen liegt, mit den Augen zu sehen...