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Jungkook

Das konnte doch nicht sein Ernst gewesen sein, oder doch?

Tae hatte mich nicht wirklich stehen lassen, um dem Menschen zu helfen, der ihn so lange gequält hatte, das bildete ich mir sicher nur ein.

Ich stand einfach nur wie erstarrt da und hatte meinen Blick auf die Stelle gerichtet, an der Taehyung vor ein paar Minuten noch stand. Meine Gedanken fuhren Achterbahn und ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Das Alles ging mir viel zu schnell, immerhin hatten wir uns einen Tag vorher erst noch gesagt, dass wir uns liebten und nun hatte er mich einfach so stehen lassen, als hätte ihm das überhaupt nichts bedeutet?

„Was ist denn hier überhaupt los?", hörte ich meinen Lehrer fragen und schreckte leicht auf, da seine Frage mich komplett aus meinen Gedanken gerissen hatte. „Ich... weiß nicht so genau", stammelte ich als Antwort und schluckte. Die Leute fingen an zu tuscheln und einige zeigten nicht wirklich unauffällig auf mich. „Was ist? Was gibt es da zu reden?", schnaubte ich und sah einen nach dem Anderen an. Zwischendrin hörte ich Fragen wie: „Was hat der denn mit dem Typen zu tun?" und „Wieso gibt der sich mit so einem ab?", die Frage, die mich allerdings zum Ausrasten brachte war: „Was will JK bitte mit so einem Loser?".

„Loser? LOSER? Keiner von euch Idioten kennt ihn, klar? Also haltet eure Schnauzen!", brüllte ich mit wahrscheinlich hochrotem Gesicht und die kleine Gruppe, die vor mir stand, zuckte erschrocken zurück. „Jungkook, beruhig' dich!", legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich drehte mich blitzschnell um, nur um direkt in Minnies Gesicht zu sehen. „Mich beruhigen? Alle stehen bloß hier und haben gegafft oder gelacht, anstatt mal zu helfen oder einfach weiter zu gehen. Ihr seid nicht besser, als alle anderen Idioten, die sich ihre Meinung nur aufgrund eines beschissenen Momentes bilden. Ich liebe diesen ‚Loser', habt ihr das kapiert? Und sein Name ist Taehyung!", konnte ich mich einfach nicht mehr beherrschen und die Worte sprudelten nur so aus meinem Mund. All die Momente, in denen ich damals niedergemacht wurde, kamen mir in den Sinn und ich wollte einfach nicht mehr das Image dieses Arschlochs haben, das genauso war.

Und es fühlte sich gut an. Sehr gut sogar.

Minnie sah mich zwar ziemlich geschockt an und auch die anderen Schüler tuschelte nur umso lauter, aber das hätte mich nicht weniger stören können. Ich schnappte mir meine Tasche, die noch an der Wand stand und wollte Taehyung hinterher gehen, aber Minnie hielt mich auf. „Ich glaube nicht, dass er jetzt mit dir reden will, Jungkook. Lass' ihm etwas Zeit, das wird schon wieder", sagte sie ruhig, aber bestimmend und ich hielt Inne. Bevor ich allerdings noch etwas sagen konnte, klingelte es zur nächsten Stunde und der Lehrer, der Aufsicht hatte, stand plötzlich direkt neben mir. „Ich weiß ja nicht, wohin Sie so eilig möchten, Mr. Jeon, aber der Unterricht hat begonnen und mir ist, als seien Sie Schüler dieser Schule. Wenn Sie also keine Verwarnung oder gar einen Verweis in ihrer Akte haben möchten, rate ich Ihnen, in Ihre Klasse zu gehen. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, Ihre Eltern zu informieren", sagte er und deutete mir in Richtung Schulgebäude. Und mit dem letzten Satz hatte er mich.

Ich wäre Tae zwar noch immer am liebsten hinterher gegangen, aber auf Ärger mit meiner Mutter hatte ich auch keine Lust. Noch dazu hatte Taehyungs Vater nicht den Eindruck gemacht, als wäre er noch in der Lage dazu gewesen, ihm weh zu tun. Hoffte ich jedenfalls. Also ging ich widerwillig in die Klasse, schrieb Tae aber noch schnell eine Nachricht, dass er sich wenigstens melden und mir sagen sollte, dass es ihm gut ging. Minnie hatte recht, er hätte sicher nicht sofort mit mir reden wollen, aber er sollte wissen, dass das nichts daran änderte, dass ich für ihn da war. Auch, wenn ich seine Entscheidung nicht verstand.

Den restlichen Schultag über, kreisten meine Gedanken bloß noch um Taehyung und ich sah alle paar Minuten auf mein Handy, um ja keine Nachricht von ihm zu verpassen. Aber es kam nichts. Auch, als ich nach Hause lief, tat sich nichts und als ich vor meiner Haustür stand, erschreckte ich mich beinahe zu Tode, als sich auf einmal jemand räusperte. Ich war so sehr auf mein Handy fixiert, dass ich Yoongi und Jimin überhaupt nicht gesehen hatte. „Wo ist Taehyung?", kam sofort von Yoongi und ich seufzte. „Dir auch hallo", stieß ich aus und kramte meinen Schlüssel raus, bevor ich aufschloss und reinging.

Erst, als ich im Wohnzimmer stand und meine Tasche auf den Boden gestellt hatte, sah ich Jimin richtig an und schluckte. Er sah wirklich mitgenommen aus und das blaue Auge leuchtete schon fast, so stark ausgeprägt war es. „Warst du im Krankenhaus?", kam aus mir und Jimin nickte sofort, biss sich dabei aber auf die Unterlippe und sah unsicher zu Yoongi. „Was ist?", wollte ich wissen und Yoongi legte seine Hand auf Jimins Schulter. „Also... Wir waren bei der Polizei, meine Mutter hat darauf bestanden... Ich habe ihnen alles erzählt, ehm... Naja, ich... also, du musst wohl auch aussagen. Du und... Taehyung", stammelte er, fuchtelte dann aber aufgeregt mit den Händen. „Ich wollte euch da nicht mit reinziehen, wirklich nicht! Das musst du mir glauben!", sagte er aufgeregt, aber ich machte bloß eine beschwichtigende Handbewegung. „Schon gut, damit habe ich gerechnet."

Mit einem erneuten, tiefen Seufzer, setzte ich mich auf die Couch und ließ die Schultern hängen. „Was ist los?", sprach Yoongi mich wieder an und setzte sich auf die Lehne am Rand der Couch. „Taes Vater war heute an der Schule, besoffen natürlich. Er wollte, dass Tae wieder nach Hause kommt und Tae... ist mitgegangen...", erklärte ich, sah den Älteren dabei aber nicht an. Und ich musste seinen Gesichtsausdruck auch nicht sehen, um zu wissen, was er dachte. Anstatt mir aber die Hölle heiß zu machen, atmete er tief ein und aus, bevor er sich neben mich setzte und seinen Kopf auf seinen Händen abstützte.

„Damit habe ich gerechnet", sagte er und ich schaute ihn irritiert an. „Tae liebt seinen Vater mehr, also irgendjemanden sonst und er hat nur noch ihn... Irgendwann musste das passieren. Hat er sich wenigstens gemeldet?", wollte er wissen, aber ich schüttelte mit dem Kopf. „Gut, dann warten wir noch ein bisschen ab und wenn er sich bis heute Abend nicht gemeldet hat, gehen wir nachsehen."

Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt