Kapitel 20

6.1K 149 8
                                    

Ich saß auf dem Balkon und lernte meine Notizen, die Klassenarbeit gab es leider noch immer...
Jamal war unterdessen Sport machen gegangen, er hat heute noch einen Plan vom Trainer bekommen, den dieser, zusammen mit dem Mannschaftsarzt, zusammengestellt hatte.
Nachdem wir Sahra getroffen hatten, waren wir noch ca eine halbe Stunde in der Stadt, ehe wir dann beschlossen hatten nach Hause zu fahren. Der Nachmittag war, abgesehen von ihrem Besuch, echt nett gewesen und es freute mich sehr, dass Jamal mit Soph und Leo so gut zurechtkam.
"Hey Schatz, wo sind Maria und Jamal?", mein Vater stand am Fensterrahmen und wuschelte mir über den Kopf. Deshalb zog ich die Stirn kraus, ich hasste es, wenn er dies machte.
"Mama ist noch arbeiten und Jamal macht Sport."
"Oh, darf er wieder?"
"Er hat vorhin irgendeinen Plan zugeschickt bekommen. Die Übungen sollen ihm helfen wieder auf die Beine zu kommen."
"Ah, super! Ich geh mich umziehen."
Ich nickte und konzentrierte mich wieder auf mein Buch. Es war unfassbar langweilig, aber ich kam so oder so nicht dran vorbei.

Frustriert öffnete ich Google Translate, zum gefühlt zwanzigsten Mal in den letzten 15 Minuten. Ich hatte nie ein Problem mit Englisch gehabt, aber das Buch brachte mich echt zum verzweifeln.
Jamal kam in dem Moment auf den Balkon gelaufen, er war ein wenig verschwitzt und wischte sich mit seinem T-shirt seinen Schweiß auf der Stirn ab. Dabei sah er verboten gut aus und meine Schmetterlinge fingen wieder an zu flattern. Er stoppte die Zeit auf seiner Smartwatch und sah mich dann an. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht und er kam auf mich zu. Er gab mir einen Kuss auf meinen Hinterkopf und sah dann über meine Schulter in das Buch.
"Warum googelst du?"
"Tja Jamal, nicht jeder ist zweisprachig aufgewachsen...", meinte ich und sah erschöpft auf meine Notizen.
"Aber das ist doch ganz easy. Warte.", er nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben mich. Dann übersetzte er mir die Seite und wartete, bis ich alles aufgeschrieben hatte. Ich bedankte mich und gab ihm einen Kuss.
Er ging rein, weil er duschen gehen wollte und musste außerdem noch kurz mit dem Trainer telefonieren. Ich hörte, wie er meinen Vater begrüßte und dann ins Bad verschwand.

"Ich bin zurück!", rief meine Mutter und erschien im Türrahmen. Jamal und ich saßen auf der Couch im Wohnzimmer und sahen uns einen Film an.
Sie stellte 2 riesige Einkaufstüten ab, während wir sie begrüßten.
"Warum kommst du erst jetzt?"
"Gab noch einen Notfall in der Praxis. Ich hab vergessen euch zu schreiben. Danach bin ich noch einkaufen gegangen", meinte sie und räumte das Zeug in den Kühlschrank. So etwas hatte ich mir schon gedacht. Oftmals kam meine Mutter nicht rechtzeitig aus der Praxis, weil immer kurz vor Schließung noch jemand kam und teils auch noch operiert werden musste.
Dass sie dann nach meinem Vater nach Hause kam war mittlerweile fast schon Normalität.
Ich wendete mich wieder dem Fernseher zu und kuschelte mich an Jamal. Mein Vater saß in seinem Arbeitszimmer und hatte irgendeine Konferenz.
Jamals Handy vibrierte und er warf einen Blick auf das Display. Sein Blick veränderte sich und er sah auf mich. Stirnrunzeld entsperrte er das Gerät und wurde dann leicht bleich.
"Was ist denn los?", fragte ich ihn.
"Äh, nothing.", er machte das Handy aus und steckte es schnell ein. Ich sah ihn irritiert an, was war denn das gerade gewesen? Hatte er gerade etwas vor mir versteckt?
Ich sah wieder auf den großen Fernseher, konnte mich aber nicht auf den Film konzentrieren. Diese Reaktion war seltsam gewesen, abgesehen davon, dass Jamal nun ziemlich angespannt wirkte.

Ich machte mich bettfertig, Jamal war noch oben, bei meinen Eltern. Er war seit der Nachricht ziemlich abwesend gewesen und irgendwann war ich einfach ins Bad gegangen. Seine Reaktion verletzte mich, vor allem, weil er nicht mit mir sprach, aber da er all meine Versuche, mit ihm darüber zu reden, abgeblockt hatte, hatte ich es aufgegeben.

Ich ging ins Bett und machte mir Musik an, andernfalls würde ich sowieso nicht einschlafen können. Meine Gedanken wanderten immer wieder zu der Nachricht zurück. Was stand nur darin, was Jamal so aus der Fassung brachte?!
Nach gefühlten Stunden und unzähligen Umpositionierungen schlief ich dann doch endlich ein.

Ich wachte auf. Draußen war es noch stockdunkel und mein Zimmer war finster. Ich sah nur das kleine, grün-blinkende Licht an meinem Handy, welches ich daraufhin anschaltete, um auf die Uhr zu sehen. Es war halb zwei in der Nacht. In 5 Stunden würde ich aufstehen müssen, um zur Schule zu gehen.
Stimmen hatten mich aufgeweckt, aber wenn ich jetzt lauschte, war da nichts mehr.
Müde setzte ich mich auf die Bettkante und trottete gähnend ins Bad. Ich hatte Durst bekommen und leider vergessen mein Wasser neben mich zu stellen.
Im Bad schaltete ich das Licht an und sah in den Spiegel. Tiefe Schatten zeichneten sich unter meinen Augen ab und nachdem ich getrunken hatte, ging ich zurück in mein Zimmer. Ich brauchte Schlaf!
Dennoch konnte ich nicht wieder einschlafen und entschied mich deshalb dazu, auf die Terasse vor meinem Zimmer zu gehen. Ich öffnete die Fenstertüre und bleib wie angewurzelt stehen. Auf der Terasse saß Jamal, der sich gegen die Hauswand lehnte und den Kopf nach oben streckte. Er massierte sich die Schläfe und hatte mich wohl noch nicht bemerkt.
Ich zögerte und entschied mich dann wieder reinzugehen. Es ging ihm ziemlich schlecht, das konnte man sehen, und das tat mir unfassbar leid, aber ein paar Stunden vorher wollte er ja auch nicht drüber sprechen, also warum sollte er das jetzt tun wollen.
Ich versuchte die Türe leise zu öffnen, aber sie quietschte trotzdem.
"Juli?", ich drehte mich um und sah in Jamals Gesicht. Er sah mich stirnrunzelnd an.
"Ja, ich bin ... wach geworden.", ich stand unschlüssig vor der Tür, aber da Jamal nur nickte, entschied ich mich dazu, wieder reinzugehen.
"Ich, ähm, gehe dann wieder schlafen. Gute Nacht."
"Warte!", er sah mich an und zeigte neben sich.
Noch immer stand ich an der Tür, bevor ich vorsichtig zu ihm ging und mich neben ihn setzte.
Es war draußen ziemlich frisch, weshalb ich ein wenig fröstelte. Jamal bemerkte es, und zog augenblicklich seinen Pulli aus, den er mir hinhielt.
"Nein nein, sonst frierst du.", lehnte ich ab und lächelte ihn unsicher an.
"Juli, nimm ihn. Please!", er hielt ihn mir erneut hin und unsicher zog ich ihn an.
"Danke.", ich lehnte mich ebenfalls gegen die Wand und sah nach oben. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und das machte mir Angst. Bis jetzt war das noch nie bei Jamal passiert und ich wollte nicht, dass das nach gerade mal 2-3 Wochen anfing. Denn was würde das über unsere Beziehung aussagen?!
"Ich ähm, es tut mir leid Juli. Ich hatte kein Recht so abzublocken. Die Nachricht war ja nicht mal so schlimm, keine Ahnung was mit mir los war.", ich sah ihn an. Glaubte er ernsthaft, ich würde ihm das abkaufen? Die Nachricht war nicht so schlimm?! So ein Quatsch.
"Jamal, du bist blass geworden und hast so gut wie nicht mit mir geredet. Den ganzen Abend. Du denkst doch nicht wirklich, dass ich nicht merke, dass irgendetwas passiert ist, oder? Sag mir endlich, was los ist!", am Ende war ich lauter geworden. Das war nicht beabsichtigt, aber seine Aussage verletzte mich. Ich kannte ihn noch nicht lange, aber ich wusste ganz genau, wie er tickte. Und so wie heute, hatte er sich noch kein einziges Mal verhalten.
Er sah mich an und überlegte. Dann fing er an zu sprechen, aber irgendwie war es anders als sonst: "Du, du hast Recht. Es ist etwas passiert. Mein Bruder, er ... liegt im Krankenhaus."
Ich sah ihn erschrocken an. Irgendetwas an der Aussage irritierte mich, aber in dem Moment verdrängte ich das.
"Oh mein Gott, Jamal, das, das tut mir unfassbar leid! Was ist passiert? Wie geht es ihm?"
"Ihm, er ähm, ihm geht's gut. Er ist beim Spielen von einem Baum runtergefallen und hat jetzt eine Laceration, sowie eine ähm, leichte Concussion.", ich sah ihn entsetzt an. Eine Platzwunde war das eine, aber eine Gehirnerschütterung?!
"Das, das ist furchtbar! Willst du, also, hast du vor zurückzufahren?"
"Eigentlich nicht. Es bringt nichts, wenn jeder in seinem Zimmer steht und ihm beim Schlafen zusieht."
Ich drückte seine Hand und sah ihn an. Er sollte wissen, dass ich da war.
Er hielt meine Hand fest und atmete einmal tief ein.
"Du solltest schlafen gehen, Juli. Ich will nicht, dass du morgen vor Müdigkeit umkippst.", meinte er dann und gab mir einen Kuss auf meine Stirn.
"Bist du dir sicher? Sonst bleibe ich gerne hier."
"Nein, geh rein und schlaf. Du hast schon genug getan.", meinte er und sah mich warmherzig an.
"Ich hab gar nichts gemacht, Jamal. Stattdessen hab ich dich auch noch dämlich angefahren."
"Juli, du bist hier. Bei mir. Um diese Uhrzeit. Du bist in meinem Leben und mir ist es völlig egal, ob du irgendetwas", er malte Gänsefüßchen in die Luft, "machst. Du bist an meiner Seite und das ist das beste, was du machen könntest. Also bitte, geh rein und erhole dich. Du brauchst Schlaf, das sieht man dir an.", er gab mir einen Kuss und stand dann auf, um mir die Hand zu reichen. Ich ließ mich hochziehen und küsste Jamal noch kurz, bevor ich zurück in mein Bett ging. Was er gesagt hatte, erwärmte mir mein Herz und ließ mich dann doch ziemlich schnell einschlafen.

Young Love - Jamal MusialaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt