Es sollte nicht die letzte Unannehmlichkeit bleiben, die uns in der Höhle ereilte. Nachdem Kirian und ich uns voneinander weggesetzt hatten, herrschte eine eiserne Funkstille. Niemand von uns begann in der Nacht noch ein weiteres Gespräch.
Der Regen nahm jede Sekunde weiter zu, während der Himmel immer dunkler wurde. Laut Kirian ein Unwetter, das heute nicht mehr enden würde, was bedeutete, dass wir übernachten mussten. Mir war höchst unwohl dabei, in einer Höhle zu verweilen, die nicht uns gehörte und von dem Kirian auch nicht überzeugt schien, dass derjenige uns nicht vielleicht doch umbringen würde. Das Unwohlsein wurde noch um einiges vervielfacht, durch den Eingang zum Narbenwald, der nur einige Meter von uns entfernt lag. Die ganze Nacht waberte weißer Nebel aus den Ausläufern zu uns in die Höhle und Geräusche von kreischenden Tieren drangen dumpf aus dem Wald hervor, die mir Gänsehaut bescherten. Die Bäume schienen sich im sanften Mondlicht zu bewegen.
In meinem Inneren schwankte ich andauernd zwischen Faszination und Furcht, wenn ich versuchte etwas in der tiefschwarzen Dunkelheit zu erkennen.
Weil ich nicht schlafen konnte blieb ich auf und hielt Wache. Kirian hatte sich einen der Rucksäcke unter den Kopf gelegt und es sich gemütlich gemacht. Obwohl es aussah, als würde er schlafen, war ich mir sicher, dass er genauso wach war wie ich.
Das Unwetter kühlte die Luft enorm aus und die Wolken verdeckten die Sonne. Mir war kalt und ich zitterte, trotz der Decke. Ich zog die Beine an meine Brust und stützte meinen Kopf darauf. Hibbelig von dem Streit pochte noch der Zorn in mir, aber das war nicht der Hauptgrund, der mich beschäftigte. Was hatte Kirian gemeint, als er sagte, dass es kompliziert sei. Unruhe rumorte in meinem Inneren und immer wieder schielte ich zu Kirian hinüber und ich überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte. Doch mein Stolz verbat es mir, also ließ es ich bleiben.
Nach einigen Stunden hatten wir unser Schweigen immer noch nicht gebrochen. Der Himmel war dunkel geworden, die Temperatur war noch tiefer gesunken. Ich legte mich hin und versuchte nicht wegzudösen, doch immer wieder erschlafften meine Lider und mein Kopf fiel mir auf die Brust.
»Schlaf. Ich halte Wache.«
Kirians Stimme klang rau, weil er sie so lange nicht benutzt hatte. Ich sah ihn nicht an.
»Nein, ich werde wach bleiben.«, entschied ich und wusste, dass es eine Lüge war. Meine Müdigkeit kam in immer stärkeren Wellen, doch ich biss mir auf die Zunge. Ich würde nicht einschlafen. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Kirian nur resigniert mit den Schultern zuckte und weiter wachsam in die Nacht hinausstarrte. Im Gegensatz zu mir, konnte er dank seiner Drachensinne auch etwas erkennen.
Klagend schrie mein Körper nach Schlaf, doch ich verwehrte es ihm, solange bis ich es nicht mehr aushielt. Zitternd, weil die Decke kaum wärmte, legte ich mich auf die Seite und schloss die Augen. In der Hand hielt ich den blauen Saphyr umklammert.
Im Wald war es still, als ich leise durch die Bäume huschte und keinen einzigen Laut von mir gab. Federleicht schwebte ich durch das Unterholz, lauschte dem Knacken, wenn Tiere sich bewegten. Plötzlich hielt ich inne. Ein Reh stand auf einer Lichtung und betrachtete mich aus dunklen Augen. Als es mich bemerkte hielt es inne und drehte seinen Kopf zu mir herüber. Ich erwiderte dessen Blick und ein leichtes Gefühl von Freiheit durchströmte mich. Meine Gedanken hingegen waren finster. Wie leicht wäre es, diesem Geschöpf einfach das Genick zu brechen. Mit einer einzigen Bewegung. Aber es war unnötig und würde nichts bringen. Ich trat näher, wollte das Reh näher begutachten. Es schlug mit seinem kurzen Schwanz, die Ohren zuckten, als hörte es etwas, was ihm nicht gefiel. Ich war das Raubtier in diesem Spiel und das Reh die Beute.
Ich verringerte den Abstand noch etwa weiter. Das Reh wurde jetzt panisch. Es schreckte zusammen und rannte davon. Keine Sekunde später war es im Gebüsch verschwunden.

DU LIEST GERADE
Heart of Ice
FantasyTextauszug: ,,Sein Blick fixierte meine Lippen und er hatte beide Arme neben meinen Kopf gestützt. Der Geruch von Feuer und salziger Meeresluft umfing mich. »Dann bieten wir ihnen doch ein Spektakel, welches sie davon überzeugt, dass sie uns in Ruh...