Am nächsten Morgen stand ich mit dem Wissen auf, dass mir die Zeit davonrannte. Noch zwei Tage. Mehr würde ich nicht haben, um meine Magie zu erwecken. Den Drachen zu erwecken. Je näher der Moment der Wahrheit rückte, desto mehr drängten sich Fragen in den Vordergrund, die ich bisher eisern hatte vermeiden können. Fragen, die das Dasein eines Drachen betrafen. Das Verwandeln. Einfach alles. Insgeheim weigerte sich mein Verstand einzusehen, dass die Fragen mich tatsächlich so sehr beschäftigten, doch leugnen war ebenso unmöglich. Wenn ich schon in meine persönliche Hölle gehen musste, dann wenigstens nicht unwissend.
»Hast du Hunger?«
Ich zuckte zusammen, als Kirian mir etwas zu essen hinhielt. Es waren Reste von dem Hasen, die er mitgenommen hatte. Als ich sein markantes Gesicht bei Tageslicht erkennen konnte, schossen mir unwillkürlich die Erinnerungen der letzten Nacht in den Kopf und ich wandte den Blick ab.
»Ja, danke.«, sagte ich und nahm ihm das Fleisch ab. Dabei achtete ich darauf, ihm so wenig Beachtung zu schenken, wie nur irgend möglich.
»Wir sollten etwas trainieren, bevor wir weitergehen.«, sagte er. Ich sah zu ihm hoch.
»Und wie gehen wir das dieses Mal an?«
Ich war nach wie vor skeptisch, ob der Versuch mich zu unterrichten nicht vielleicht doch umsonst verschwendete Energie war.
»Wir werden es dieses Mal anders machen.«
»Ach, schon so verzweifelt?«
»Nicht verzweifelt. Lediglich Lösungsorientiert.«, korrigierte er mich und scheuchte mich mit einer Handbewegung auf die Beine.
»Los, ins Wasser.«
Ich glaube, ich hatte mich verhört.
»Nackt?!«, fragte ich und wurde rot, ohne es verhindern zu können. Was zum Teufel hatte er vor? Wollte er etwa...? Nein, ganz sicher nicht.
Kirian hob eine Augenbraue.
»Du kannst deine Kleidung anbehalten. Ich will nur, dass du ins Wasser gehst.«
»Und was soll ich dort machen?«, fragte ich mit kühlem Unterton und watete ins kalte Wasser hinein. Als es mir bis zu den Knien reichte, blieb ich stehen und drehte mich um. Kirian war mir gefolgt und stellte sich neben mich. Wie er vor mir stand...
So dicht. Es war wie ein Déjà-vu, bloß bei Tageslicht.
Ich schluckte.
»Reicht das?« Ich deutete mit dem Blick auf das Wasser, welches mir sanft über die Haut strich. Kirian nickte.
»Also gut. Wenn Feuer dir nicht hilft deine Magie hervorzurufen, dann tut es Wasser vielleicht.«, begann er mir seine Gedanken zu erklären.
»Eis ist im Grunde nur Wasser in festem Zustand. Du sollst jetzt versuchen eine Bindung aufzubauen und damit deine Kräfte zu rufen. Verstanden?«
Er sah mich erwartungsvoll an.
Ich atmete tief ein und aus, um zu verbergen, dass ich mich in Wahrheit fürchtete. Mein ganzer Körper zitterte leicht und ich hob das Kinn, um mir selbst Mut zu machen. Ich wollte das nicht. Alles in mir sträubte sich dagegen diesen Schritt zu gehen. Aber ich hatte keine Wahl. Man würde mir keine lassen.
»Verstanden.«, bestätigte ich und schloss die Augen. Kirian musste mir nicht mehr erklären, was ich zu tun hatte. Dafür hatte ich es mir schon oft genug anhören müssen.
Stille trat ein, als weder ich mich rührte, noch Kirian. Ich lauschte den Geräuschen der Natur. Dem Zirpen der Insekten, dem Rascheln der Bäume. Machte mir vollkommen bewusst, dass diese Dinge da waren und um mich herum schwebten, wie ein immerwährender Chor aus Stimmen. Dann blendete ich sie aus und konzentrierte mich nur noch auf das Wasser. Das Gefühl der Kälte, wie es meine Haut zum Zittern brachte und mir Gänsehaut verschaffte. Das leise Plätschern, wenn es sich durch den Wind kräuselte und kleine Wellen sich am Ufer brachen.
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Heart of Ice
FantasyTextauszug: ,,Sein Blick fixierte meine Lippen und er hatte beide Arme neben meinen Kopf gestützt. Der Geruch von Feuer und salziger Meeresluft umfing mich. »Dann bieten wir ihnen doch ein Spektakel, welches sie davon überzeugt, dass sie uns in Ruh...