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Die Einladung in Sal's Büro ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sogar Susan verständnislos den Kopf geschüttelt hatte, als ich ihr von meinem nächtlichen Vergehen in der Caféteria erzählte, war meine Stimmung am absoluten Nullpunkt angelangt.
Lustlos hatte ich den frischen Salat in mich reingestopft, die Biostunde überstanden und trottete auf direktem Wege in mein Zimmer, um dort meine Freistunde zu verbringen.
Das Leben war furchtbar, oder betraf das ausschließlich mein eigenes?

Tief versunken in Selbstmitleid, ließ ich mich in die gefederten Kissen meines Bettes fallen und drückte mein Gesicht tief in den Stoff. Irgendwie musste ich dabei eingeschlafen sein, denn ich wurde durch ein zaghaftes Klopfen geweckt. Ich linste schnell auf meinen Wecker. Der Termin bei Sal war für den Abend angesetzt. In etwa einer halben Stunde hatte ich Französisch. Wer immer da also vor meiner Tür stand, musste auf mich verzichten. Erschöpft ließ ich mich zurück in die Kissen sinken. Doch das Klopfen ertönte erneut, etwas lauter. Nach erneutem Ignorieren setzte es wieder ein. Ganz schön penetrant. Wenn Susan oder Sienna ihren Schlüssel verlegt hatten, war das bestimmt nicht mein Problem.
Als nächstes schien es, als pochte jemand mit der flachen Hand gegen die Tür. Da wurde es mir zu bunt. Ich raffte meine Bluse zurecht, stapfte zur Tür und wappnete mich auf ein handfestes Streitgespräch mit den Störenfried, welches ihm oder ihr eine Psychotherapie bescheren würde.

Schwungvoll riss ich die Tür auf und blickte in die besorgt dreinblickenden blauen Augen von Javor.
Moment, Javor?
Besorgt?
„Wie geht es dir?", fragte er beinahe zögerlich. Seine wunderschönen Augen suchten mein Gesicht ab. Was erwartete er von mir zu bekommen? Ich würde mich nicht an seine muskulöse Schulter werfen und ihm mein Leid klagen. Nicht in diesem Leben! Nach allem, was mir in den letzten Monaten passiert war, behielt ich dennoch ein Fünkchen Würde.

„Prima!", strahlte ich und hätte ihm am liebsten die Tür ins Gesicht geklatscht. „Erzähl mir keinen Unsinn, Autumn. Gestern dachte ich noch, du würdest einfach nur weiter Blödsinn anstellen, doch dann habe ich nachgedacht."
„Oh Wunder." Ich verdrehte theatralisch die Augen. „Javor Even, Lehrerliebling und Freund aller Matheformeln hat nachgedacht."
Genüsslich dehnte ich jede Silbe in die Länge. Es wurde definitiv Zeit für ein wenig damenhaftes Tür-zuschmeissen. Doch Javor war schneller und stoppte mühelos den Druck der zufallenden Tür mit der flachen Hand.

„Du warst nicht wegen Bethany's Tagebuch in unserem Büro, hab ich recht?", fragte er unverblümt. „Kann dir doch egal sein, was ich wieder für Blödsinn anstelle, wie du so schön sagst."
„Warum willst du dir unnötigen Ärger einhandeln? Wenn du mir deine Motivation mitteilst, kann ich dir helfen.", rief er verzweifelt.
„Und weshalb solltest du mir helfen wollen?"
Ich konnte ein trockenes Lachen nicht unterdrücken. „Was sollte dabei für dich rausspringen?"
„Muss denn immer etwas dabei rausspringen? Kann ich dir nicht einfach die Hand reichen wollen?"

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Diese Unterhaltung war mir mehr als suspekt. „Hör zu", begann ich und sog beinahe theatralisch die Luft ein. Mr. Duvall, Leiter des Drama Clubs an meiner alten Schule, wären nach dieser Szenerie die Tränen über seine rosigen Wangen gelaufen. „Ich kann ja verstehen, dass du als hochrangiges Mitglied dieser Einrichtung das drängende Bedürfnis hast, jedem armen kleinen Vögelchen zu helfen, das sich auf den weiten Fluren des Internats verflogen hat. Doch selbst ein Gutmensch wie du es bist sollte spätestens ab diesem Punkt verstanden haben, dass man nicht allen verlorenen Seelen zu einem gottesfürchtigen Leben verhelfen kann."

Leider sah mich Javor nach meiner künstlerischen Rede nur etwas konfus an zog seine Augenbrauen zu einem unfassbar süßen, skeptischen Blick zusammen. „Was beabsichtigst du mit deinem Verhalten, Autumn?" Himmel, der gab ja nie auf. „Vielleicht möchte ich Menschen wie dir einfach zeigen, dass schulische Leistungen nicht dein gesamtes Leben in Ordnung bringen können, wenn es schon das reinste Chaos ist." Verdammt, ich musste mich ernsthaft wieder beruhigen. Mir gefiel nicht, wie unschön sich mein Magen verkrampfte. Javor wollte hier nur den Schulsprecher und Hobbypsychologen raushängen lassen. In Wahrheit interessierte es ihn herzlich wenig, wie es mir ging und was ich aus welchen Gründen auch immer tat. Also tief durchatmen. Ein und aus.

#grl_pwr, oder wie man ohne Wlan überlebtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt