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Das Wetter machte England wieder einmal alle Ehre. Ein leichter Nieselregen und graue Wolken spiegelten meine Stimmung perfekt wider. Fröstelnd zog ich den Kragen meiner Jacke enger um meinen Hals und blickte immer wieder grimmig in den Himmel hinauf. Ich war nicht unbedingt das, was man besonders gläubig nennt, doch im Augenblick war ich mir absolut sicher, dass ein gewisser Herrgott mich dort oben verspottete. Der tiefe Fall der Autumn Nicholson. Das musste ihn wirklich sehr erheitern.

Mein Spaziergang führte mich über den kahlen Vorplatz von Appleville, quer über akkurat gestutze Grasflächen und helle Kieswege, die in ihrer Gesamtheit aus der Luft betrachtet ein geometrisches Muster darstellten. Missmutig kickte ich kleine Steinchen vor mir her, nur um die säuberlich gepflegte Anlage wenigstens ein bisschen zu zerstören. Das Personal würde mir danken.
Das Mistwetter schien die anderen Schüler kaum zu stören. Einige hatten sich in Grüppchen versammelt und tuschelten unter dunklen Schirmen mit dem Schulwappen verziert über den aktuellen Schulstoff und den üblichen Cliquen- Tratsch. Allesamt waren sie sicherlich an das launische, britische Wetter gewöhnt.
Meine Aufregung über den Lernpaten war inzwischen verflogen, von guter Laune war allerdings keine Spur. Und es wurde auch nicht besser, als plötzlich ein faustgroßer roter Ball knapp meinen linken Oberschenkel verfehlte. Ich stieß einen kurzen Schrei aus und sprang reflexartig zur Seite. Wütend blickte ich in die Richtung, aus der der Ball gekommen war. Die Schuldige war schnell gefunden: lange dürre Beine stolzierten auf mich zu und ein feindselig grinsendes Mädchen warf kokett ihr hellblondes Haar über die Schulter. In ihrer Hand hielt sie einen seltsamen Schläger mit Netz.
„Autumn! Verzeih, meine Liebe. Ich habe dich schlichtweg übersehen."
Überheblich baute sich Bethany di Viglio vor mir auf und stemmte einen Arm in die schlanke Hüfte. Den Schläger legte sie sich über die Schulter.
„Ist ja nichts passiert", flötete ich und wollte mich bereits zum Gehen wenden, doch Bethany hielt mich mit einem seitlichen Schritt davon ab, da sie mir den Weg versperrte.
„Ich habe gehört, du hast nun endlich den Sonderstatus bekommen, den du verdienst. Die arme lernbehinderte Autumn benötigt einen Nachhilfetutor", sagte sie in süßlichem Ton. Mittlerweile hatten sich ihre beiden Miniaturausgaben zu ihr gesellt und blickten mich abschätzig an. „Wer sagt denn, dass ich Nachhilfe nötig habe? Vielleicht gebe ich Javor ein bisschen Unterstützung für seine Klausuren", gab ich bissig zurück.

Als hätten sie sich abgesprochen, fielen Bethany und ihre Sklavinnen in ein gemeinsames dünnes Lachen ein. „Javor braucht keine Nachhilfe, er ist schließlich nicht nur Schülersprecher, sondern auch der beste Schüler auf Appleville", erklärte sie in überheblichem Tonfall.
„Und weiter?", fragte ich gelangweilt. „Hat er auch schon den Award für gigantische Spießigkeit erhalten?"
„Javor ist außerdem Ehrenmitglied des Buchclubs und sitzt im Vorstand der Sci- Fries", fuhr Bethany unbeirrt fort. „Wissenschafts- Pommes?", prustete ich los und sah das blonde Gift spöttisch an. „Die Sci- Fries ist eine kreative Kombination aus Science und Freaks, was du wüsstest, wenn du auch nur einer einzigen außerschulischen Aktivität nachgehen würdest. Javor entwickelt sich auf vielfacher Weise weiter. Er ist grandios!" „Und du?", fragte ich und deutete zweifelnd auf den Schläger, der noch immer auf Bethanys Schulter ruhte.

„Meine Stärken liegen im Sport und der Mathematik", erwiderte sie genervt. „Bethany ist Kapitän des Lacrosse- Teams, trainiert im Schwimmteam, ist erfolgreiche Springreiterin und hat im Matheclub letztes Jahr die britische Meisterschaft gewonnen im Einzelwettkampf", kam eine ihrer Lakaien ihr zu Hilfe. Während der Aufzählung nickte Bethany triumphierend. „Ist das nicht inspirierend?", säuselte sie. „Javor und ich ergänzen uns so gut; die Schwächen des einen, gleicht der andere aus. In der Mathematik ziehen wir am gleichen Strang. Wir sind allerbeste Freunde, schon von klein auf."

Ich sog scharf die Luft ein: „Ui, Friendzone, was? Tut mir ehrlich Leid für dich."
Augenblicklich verengten sich Bethanys Augen zu Schlitzen. Allerdings hielt mich ihr bedrohliches Gebärden nicht davon ab, weiter zu stänkern: „Du bist wahrscheinlich eifersüchtig auf die viele Zeit, die dein Schwarm und ich von jetzt an gemeinsam verbringen werden. Javor wird sich seltener mit dir abgeben können."

Bethanys Griff um ihren Schläger verkrampfte sich und ihr Gesicht nahm eine unschöne Röte an. „Pass mal auf, New York", spie sie. „Javor ist durchaus in der Lage seine Zeit sinnvoll aufzuteilen. Außerdem teilen wir uns immernoch das Schülersprecherbüro. Eine kleine dumme Großstadtgöre wie du kann unsere Freundschaft in keinster Weise beeinträchtigen!" Ungewollt hatte Bethany die letzten Worte geschrien. Ihre Sklavinnen sahen sich bestürzt an und einige Schüler auf dem Campus reckten neugierig ihre Hälse. Ich schmunzelte innerlich. Anscheinend hatte ich bei meiner lieblings Aristokratin einen wunden Punkt erwischt.

„Ich muss jetzt weiter", flötete ich süßlich, lächelte Bethany spöttisch ins Gesicht und schlenderte betont lässig an den Grazien vorbei. Hinter mir konnte ich die Wut der Blondine unter der Oberfläche brodeln spüren. „1:0 für mich", murmelte ich zu mir selbst und setzte meinen Spaziergang hämisch grinsend fort.

#grl_pwr, oder wie man ohne Wlan überlebtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt