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„Einen Babysitter!"
„Lernpate!"
„Als ob ich das nötig hätte."
„Und wie du das nötig hast!"

Mit Sienna zu diskutieren war sinnlos. Letztlich musste ich eingestehen, dass sie recht hatte. Für den Test hatte ich null Punkte kassiert, während Sienna und Susan die Bestenliste anführten. Ich hätte besser lernen sollen. Doch diese Schule war so unfassbar langweilig, dass Lernen nicht zwangsläufig auf meiner To-Do-Liste stand.

„Wen stellen die mir zur Verfügung? Bobby aus meinem Erdkundekurs? Der hat ständig Blähungen!", beklagte ich mich. Susan legte beschwichtigend ihre Hand auf meine Schulter. „Das glaube ich eher nicht, Bobby ist kein besonders guter Schüler. Du bekommst bestimmt einen Allrounder. Vielleicht Sienna?"
„Bitte, nicht ich!", rief diese wie aufs Stichwort.

Wir Mädchen hatten uns mit je einer Tasse Kaffee in der gemeinsamen Küche versammelt und hielten einen Krisenrat. Es stellte sich heraus, dass sowohl Susan als auch Sienna eine ganze Portion Mitleid mit mir hatten, als ich ihnen von meinem toughen Gespräch mit der Sekretärin erzählt hatte, kurz nachdem ich ihr Büro verlassen hatte. Über das Wochenende hatte ich mich noch in unserem Apartment verkriechen können, doch heute Morgen im Unterricht hatte die Lehrerin mir prophezeit, bald von meinem Lernpaten zu hören- ein klassischer Montag eben.

„Wenn er gut aussieht, könnte das doch ganz interessant werden. Wie in einem total romantischen Film", schwärmte Susan. Ich verzog angewidert das Gesicht und stellte meine Tasse vor mir ab. „Hier gibt es keine gut aussehenden Schüler, außerdem klingt es alles andere als romantisch, sich über ein paar Schulbücher hinweggebeugt, gegenseitig anzuschmachten."
„Autumn sollte sich besser auf den Stoff konzentrieren, anstatt sich Gedanken über zwischenmenschliche Beziehungen zu machen. Bring sie nicht auf dumme Gedanken!", ermahnte Sienna Susan.
Ich seufzte ergeben und trank die Tasse aus. Wenn die beiden doch nur erahnen könnten was ich durchmachen musste!

Die übrigen Tage der angebrochenen Woche neigten sich dem Ende zu. Ich hegte bereits die vage Vermutung, die unheimliche Sekretärin hatte mir nur Angst einjagen wollen, weshalb der Lernpate nur eine leere Drohung gewesen war. Vorsichtig begann ich, mich zu freuen. Ein Leben unter ständiger Beobachtung auf Appleville war eine schlimmere Vorstellung als das Leben auf Appleville im allgemeinen. Doch meine Euphorie wurde jäh unterbrochen. Am Donnerstag nach der letzten Stunde- ich stopfte gerade mein Geschichtsbuch in die Tasche- passte mich Miss Blanche am Ausgang ab. „Autumn Nicholson, ich möchte Sie bitten, sich noch ein Weilchen zu setzen. Gleich kommt ihr Lernpate vorbei um mit Ihnen den Lehrplan zu besprechen. Bei der Gelegenheit können wir übrigens gleich über Ihre Teilnahme an meinem Unterricht sprechen...
Setzen Sie sich doch", bat sie mich und deutete auf einen Stuhl nahe der Tür.

Total entnervt wappnete ich mich innerlich auf das Eintreffen des Lernpaten... oder der Lernpatin! Allerdings würde ich mich vermutlich aus dem Fenster stürzen, würde gleich Sienna hier reinschneien. Ihre super strenge Art würde es nicht erlauben, einmal zu schwänzen. Mit Susan wäre das Ganze schon entspannter. Besonders in letzter Zeit hing sie ständig an meinem Rockzipfel und heischte nach Bestätigung wie ein tapsiger Welpe.
Mit ihr wären die Lernsessions easy peasy!

Das könnte hier alles ganz wunderbar enden: ein entspannter Pate, passable Noten und schon wäre es ein Leichtes meine Eltern um den Finger zu wickeln und dann... Hallo New York!

Doch die Verschwörung des Schicksals gegen mich seit meiner Ankunft nahm ihren Lauf!
Schon als ich die festen Schritte auf dem Korridor vernahm spührte ich innerlich, dass es mich sogleich buchstäblich vom Hocker hauen würde. Etwas bahnte sich an und ich sog sicherheitshalber tief die Luft ein. Unbemerkt presste ich meine Knie gegeneinander und starrte, wie auch Miss Blanche, auf die Tür, meinem Unheil entgegen.

Als sich dann ein hübsches Gesicht in mein Blickfeld bahnte, stockte mir der Atem: Der Raum war schlagartig erfüllt von seiner Präsenz und mir rutschte vor Schreck das Herz in die Hose. Wie viel Pech konnte eine einzige Person nur haben?

Miss Blanche hingegen lächelte freundlich und winkte meinen Lernpaten herein. „Mister Even, schön, dass Sie es noch geschafft haben. Autumn Nicholson ist Ihnen bereits bekannt?", fragte sie höflich.
Seine dunklen Augen verengten sich zu winzigen Schlitzen, als er mich taxierte. Unter seinem Blick rutschte ich unwillkürlich auf meinem Platz immer weiter nach unten. Er schob seine Brille mit dem Zeigefinger ein Stück nach oben und allein diese Geste wirkte auf mich sofort bedrohlich. Abschätzig verzog er anschließend sein Gesicht, was sein Grübchen in der Wange während der Grimasse unschön verzog.

„Wir wurden bereits bekannt gemacht", sagte er mit fester Stimme. Ich war mir sicher, jede Sekunde plötzlich tot umzufallen. Doch nichts dergleichen geschah. Ich hielt lediglich Blickkontakt mit dem attraktivsten Mann des Universums, mit dem ich den unangenehmsten Moment meines Lebens verband. Mein Lernpate war niemand geringeres als Javor Even! Erdboden, tu dich auf.

#grl_pwr, oder wie man ohne Wlan überlebtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt