Shit, war ich müde. Nach einer kurzen emotionslosen Verabschiedung seitens meiner Eltern am Flughafen, hatte ich auf meinem siebenstündigen Flug den letzten Hauch von Luxus genossen. Glücklicherweise war die Zeitverschiebung nicht sonderlich dramatisch, doch nach einem langen Flug hätte ich normalerweise viel lieber direkt im Hotel eingecheckt, ein heißes Bad genommen, sowie ein Willkommensgetränk an der Bar, um dann in frisch riechender Hotelbettwäsche entspannt einzuschlafen. Doch nach meiner Ankunft am frühen Morgen in London, musste ich schleunigst zum Bahnhof, um den Zug nach Bristol nicht zu verpassen. Stress pur und niemand, der meinen Koffer für mich schleppte! Doch auch in Bristol kam ich schlussendlich an. Mittlerweile war es 10 Uhr am Morgen und ich hatte noch keinen vertrauenserweckenden Coffeeshop entdeckt, dem ich einen passablen Cappuccino abkaufen hätte können. Dementsprechend ging ich auf dem Zahnfleisch, was mir deutlich anzusehen war. Ich trug eine zerknitterte Stoffhose, eine einst faltenfreie Bluse, die einige fragwürdige Flecken abbekommen hatte und mein locker hochgestecktes Haar hing in dicken Strähnen heraus. Würde Amina mir hier und jetzt über den Weg laufen, sie würde mich vermutlich nicht wiedererkennen.
Apropos Amina! Auf der Reise nach Bristol hatten wir in regem Kontakt gestanden. Ich hatte ihr mein Leid geklagt und sie hatte mir beigepflichtet. Letztlich hatte ich schweren Herzens meinen letzten Post verabschiedet, um meinen Account anschließend in die vertrauensvollen Hände meiner Freundin zu geben. Ich hatte nicht gelogen, als ich meinen Eltern hoch und heilig versprochen hatte, mich ausschließlich auf die Schule zu konzentrieren. Sollte ich mich nämlich bessern- wovon ich ausging- könnte ich schneller zurück in mein altes Leben finden als Amina Gucci sagen konnte.
Seit meiner Ankunft in Bristol entpuppte sich der reibungslose Kontakt aber als etwas schwieriger. Hier und da gab es Empfangslücken, was mich völlig von der Zivilisation abschnitt. Des Weiteren begann ich zwischenzeitlich leicht zu schwitzen, bedeutete die funktionslosigkeit meines Handys zusätzliche Einsamkeit, was mich entsetzlich nervös stimmte. Wider erwarten regnete es zwar nicht, die Temperaturen glichen sogar denen in New York, doch ich musste noch über eine Stunde warten, um den Bus nach Sapperton zu nehmen. Wie konnte man sich die Zeit in Bristol vertreiben bei mangelndem Handyempfang, einer gesperrten Kreditkarte und einem Aussehen, als hätte man mehrere Tage nicht geduscht? Mir blieb wohl keine andere Wahl, als das kleine dunkle Café anzusteuern, dass dank seiner Backsteinfassade keine andere Möglichkeit hatte, als sich dem Kunden rustikal zu präsentieren.
Selbst der Innenbereich sah nicht sonderlich vielversprechend aus, doch mir war inzwischen alles recht, solange mir jemand Koffein zuführte. Eine mit ausgeblichenem Stoff überzogene Eckbank an einem Fenster, das dringend geputzt werden musste, lud nicht zwangsläufig zum Sitzen ein, weshalb ich mich lieber direkt an den Tresen setzte. Das Café war gut besucht und ein Haufen junger Mädchen huschten emsig von Tisch zu Tisch, um alle Gäste zufriedenzustellen. Als die Bedienung sich mit professionellem Lächeln mir zuwandte und ich einen Cappuccino mit viel Schaum und einer Prise Zimt bestellte, schmunzelte sie nur. „Du kommst aus Amerika, richtig?", sprach sie im Smalltalk und entblößte dabei eine Reihe stark gebleachter Zähne. „Jup, frisch aus New York", erwiderte ich, ohne große Lust zu plaudern. Das Mädchen gab jedoch nicht auf. „Wow, New York, da wollte ich ja schon immer mal hin", begann sie zu schwärmen.
„Naja, so toll ist es nicht", gab ich genervt zurück und bereute die Antwort schlagartig. „Echt? Wieso denn das? Wohnen da nicht die ganzen Promis?", löcherte sie mich sofort. „Ich denke du verwechselst das mit Hollywood", mutmaßte ich und betete inständig, sie möge mir einfach meine Bestellung geben.
„Ich würde ja mal total gerne das Empire State Building sehen und natürlich die Freiheitsstatue", schwärmte sie. „Das wäre so viel spannender als hier. Zwar leben wir auch im Stadtzentrum, aber Bristol ist noch lange nichg vergleichbar mit New York!"
„Natürlich nicht", gähnte ich. Dieses Mädchen langweilte mich zutiefst.
Mit wachsamem Blick musterte mich Fräulein Barista unverhohlen von oben bis unten, bis es mir zu bunt wurde.
„Wenn ich mal dort bin, werde ich auf jeden Fall auf der 5. Avenue flanieren", brabbelte sie und ich witterte meine Chance, ihr zu entkommen.„Zu schade, dass dein hart erarbeitetes Geld nicht ausreichen wird um dort auch nur eine einzelne Socke zu erwerben!", bemerkte ich patzig, beugte mich über den Tresen und rief der nächstbesten Bedienung zu: „Meine Bestellung ist zum mitnehmen!"
Dann drückte ich dem verdutzten Mädchen einen Schein in die Hand, lächelte säuerlich und verließ das Café sofort, nachdem ich das warme Lebenselixier in Händen hielt.Es konnte nurnoch besser werden? Falsch! Die Busfahrt belehrte mich eines besseren. Nebenbei erwähnt, war dies meine erste und hoffentlich letzte Busfahrt. Nur Vagabunden fuhren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Zu Hause hatte ich einen Chauffeur und nun? So tief konnte man also sinken...
Mein erster Eindruck, nachdem ich das unförmige Ungetüm betrat, war miserabel. Es sah aus, als würde im Inneren nur selten gereinigt, dementsprechend roch es wie im Dinosauriergehege. Allein beim Anblick des Stoffmusters der Sitzbezüge wurde mir speiübel. An einem der Sitzpolster klebte ein gigantisches rosa Kaugummi. Mir fiel die Auswahl meines Sitzes wirklich schwer- ich wollte mich davon überzeugen, den saubersten Sitz irgend möglich zu erwischen- doch einem korpulenten Fahrgast schien mein Bemühen nicht schnell genug von statten zu gehen. Gleich einem Rüpel drückte er mich irgendwann auf einen Sitz, ignorierte mein Protestgeschreie, sowie alle anderen Fahrgäste auch. So entschied sich die Suche nach einem hygienischen Sitz.Mehrmals auf dieser Fahrt rieb ich meine Hände beinahe manisch mit Desinfektionsgel ein; besser fühlte ich mich dadurch nicht.
Die nächste Geduldsprobe war eine kleine Frau, die fünf lästige Bälger im Alter zwischen null und zehn Jahren mit sich schleppte. Sie alle hatten den Bus als ihren Spielplatz auserkoren und tobten im engen Gang, brüllten wie die Affen und benahmen sich schlicht und ergreifend daneben. Die Mutter schien das nicht zu kümmern. Sie fing nach nur wenigen Minuten sogar an zu schlafen, auffällig, da sie sich durch ein durchdringendes Schnarchen bemerkbar machte. Nachdem einer der Zwerge mich anrempelte und ich zusehen musste, wie er anschließend gefährlich tief in der Nase bohrte, riss mein Nervenkostüm und ich stand auf, lief an den Sitzreihen entlang bis ich den sägenden Holzfäller erreichte, tippte ihr auf die Schulter und beklagte mich sofort, als diese die Augen öffnete, sie solle doch bitte ihre Kinder zurückpfeifen.
Hatte ich erwartet, sie würde sich in aller Form entschuldigen und die Knirpse rügen? Vielleicht.
Ihr Reaktion fiel allerdings ganz anders aus:„Haben Sie nichts anderes zu tun, als meine Kleinen in ihrer Freiheit einzuschränken?", fauchte sie. „Die Winzlinge schränken wohl eher mich ein", meinte ich und stemmte die Hände in die Hüften.
Mit vor Wut knallrotem Gesicht erhob sich nun auch die Frau und plärrte: „Die Kinder sind nicht das Problem, sondern dürre Ziegen wie Sie, die keine anderen Sorgen haben als ihr Makeup."
„Hätten Sie die Bratzen besser im Griff, könnte ich eine Sorge weniger verzeichnen", konterte ich, inzwischen in Rage.
„Mischen Sie sich nicht in meine Erziehung ein!", schrie die Frau. Mich wunderte wirklich, welch gewaltiges Organ diese Frau wohl besitzen musste, um so laut sein zu können.
„Kommen Sie", wandt ich ein, „jeder Anwesende in diesem Bus kann bestätigen, dass ihre Kinder unglaublich nervtötend sind!"„Die Frau hat recht. Setzten Sie sich wieder hin und lassen Sie uns andere in Ruhe!", mischte sich der Grobian von vorhin ein. Er wurde mir direkt sympathisch. „Dankeschön", nickte ich in seine Richtung und sah meine Kontrahentin triumphierend lächelnd an.
„Sie meine ich nicht", rief der Mann erneut. „Die Kinder stören hier keineswegs. Sie sind die Nervensäge", donnerte er.
„Wie bitte?"
Überrascht wich ich einen Schritt zurück.
„Sie haben doch schon beim Einsteigen Chaos verursacht. Sehen Sie zu, dass Sie sich wieder hinsetzen und sich ruhig verhalten", keifte jetzt noch ein anderer Fahrgast.
„Unfassbar!", stammelte ich, als ich beschämt zum Rückzug antrat.
„Unfassbar!", murmelte ich auch beim Hinsetzen und noch einmal, kurz vor Sapperton.
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#grl_pwr, oder wie man ohne Wlan überlebt
Fiksi RemajaZwei Qualitäten zeichnen Autumns Eltern aus: sie sind reich und immer unterwegs. Ihre Tochter bleibt daher sorglos und verwöhnt mit einer Kreditkarte in New York und lebt in den Tag hinein. Als sie die Schule abbrechen will um sich auf ihr eigenes B...