Lieber Herrgott, wann wendete sich mein Leben zum Guten und aus diesem Schlamassel hinaus?
Es war bereits später Nachmittag, als ich erleichtert aus dem Bus ausstieg, frische Luft gierig einsog und versuchte, die giftigen Blicke meiner boshaften Mitreisenden zu ignorieren.
Mir blieb kaum Zeit, meine Freiheit zu genießen, denn schon begann eine Irre, die an einem verbeulten SUV lehnte, wie wild zu hupen. „Juhuuu!", brüllte sie und winkte mir in übertriebener Freude zu. Im Stillen flehte ich, sie möge nicht zu mir gehören, sie möge nicht die Konrektorin sein, die mich abholen sollte.Erneut wurden meine Gebete nicht erhört. Nur wenige Meter entfernt stand sie, jedoch rief sie in meine Richtung so laut, dass es auf einen Kilometer gereicht hätte: „Du bist bestimmt Autumn Nicholson. Genau so hab ich mir dich vorgestellt! Komm mal rüber, ich bin dein Taxi."
Ich seufzte ergeben. Hoffentlich war ihre gute Laune nicht ansteckend!Die unerschütterliche Optimistin und Konrektorin trug einen unordentlichen Pferdeschwanz, Cargohosen und einen grellen Kapuzenpulli, der von einer Bikerjacke fast vollständig verdeckt wurde. Bei ihrem Anblick wurde mir ganz anders und ich näherte mich ihr nur zögerlich.
„Nicht so schüchtern", grinste sie und griff nach meiner Hand, zu einem überdurchschnittlich festen Händedruck. „Schön dich endlich hier zu haben. Ich bin Sally Meyer, eure Konrektorin und Ansprechpartnerin auf dem Campus. Du kannst mich Sal nennen, wir sind doch fast ein Alter", blubberte sie und ließ dabei meine Hand nicht los. Offensichtlich war Sal schon mitte vierzig, was sie etwas zwanghaft zu verweigern schien. Eine ewig junggebliebene. Toll!Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, griff sie bereits nach meinem Koffer und hievte ihn auf den Rücksitz. „Machs dir bequem, keine Scheu", meinte sie Augenzwinkernd und deutete auf den Beifahrersitz.
„Du bist sicher müde, hm? Lange Reise gehabt?"
„Hmm", erwiderte ich nur, während ich den Gurt festzog.
„Keine Sorge. Das Gröbste hast du bereits hinter dir. In knapp einer Stunde sind wir auf dem Campus."
Darauf antwortete ich nichts. Ich wollte ihr nicht das Gefühl geben, ich sei gesprächig, denn sonst würde ich die Fahrt zum Campus nicht ohne Nervenzusammenbruch überstehen.Sal fuhr wie eine Irre! Mehrmals legte sie einen falschen Gang ein. Das Auto heulte auf, so als würde es nach Hilfe schreien. Ein Mal verwechselte sie sogar Gas und Bremse, weshalb wir beinahe ein Schaf angefahren hätten, das in seiner Gruppe arglos eine Straße überqueren wollte. Das musste man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Eine Schafherde mitten auf der Straße! Sowas gab es definitiv nicht in New York.
Ich konnte von Glück sprechen, als wir etwas durchgeschüttelt aber unversehrt ein gewaltiges Eisentor passierten und auf den Vorplatz des Internats fuhren. Beim Anblick des viktorianischen Gebäudes, verschlug es mir dann doch die Sprache. Um einen saftig grünen Rasenplatz stand das Internat in Hufeisenform und präsentierte sich so jedem Eintretenden in voller Pracht. Meterhohe Fenster und kleinere Türmchen wuchsen gen Himmel und auf den drei Etagen verteilten sich gigantische Rundbogenfenster. Es hätte noch ein Burgfräulein gefehlt und eine prunkvolle Kutsche, dann wäre das Bild perfekt gewesen.
So stand nur ich vor dem Gebäude und staunte, den Kopf in den Nacken gelegt, um die Szenerie völlig einzufangen.„Kein übler Ort, nicht wahr?", meinte Sal, die inzwischen auch aus dem Auto gestiegen war und meinen Blick richtig eingeordnet hatte.
„Es ist nicht schlecht", gab ich patzig zurück. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken mich hier wohlzufühlen. Ganz ausgeschlossen!Sal übernahm für mich das Tragen des Gepäckstücks bis zur Eingangshalle. Heller Marmor zierte den kompletten Boden und wirkte so sauber, als könne man problemlos von ihm essen. In alle Himmelsrichtungen verzweigten sich lange dunkle Korridore und zu beiden Seiten führten zusätzliche Treppen in die oberen Etagen.
„Zunächst gehen wir direkt in dein Zimmer. Dort kannst du dein Gepäck abstellen und dich etwas frisch machen. Anschließend bekommst du eine Privatführung, da du ja sozusagen eine Nachzüglerin bist", klärte Sal mich auf. Wich ihr das blöde Grinsen nie aus dem Gesicht?
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#grl_pwr, oder wie man ohne Wlan überlebt
Teen FictionZwei Qualitäten zeichnen Autumns Eltern aus: sie sind reich und immer unterwegs. Ihre Tochter bleibt daher sorglos und verwöhnt mit einer Kreditkarte in New York und lebt in den Tag hinein. Als sie die Schule abbrechen will um sich auf ihr eigenes B...