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Nervös knetete ich den Griff meines Designerkoffers, während eine überdurchschnittlich große Quay Sonnenbrille mein Gesicht zierte, ebenso ein großer Hut -ich war schließlich undercover- und inspizierte die dickliche Frau im Zebrakleid und Sonnenbrand auf den Schultern vor mir in der Schlange am Ticketschalter. Die knallroten Flächen hatte sie sich sicherlich nicht im regnerischen New York geholt! Ihr täte gut daran einen Hautarzt aufzusuchen, aber mir sollte es egal sein. In wenigen Stunden würde ich mir die Sonne Hawaiis auf die Haut scheinen lassen und meine neu gewonnene Freiheit mit einem Cocktail und ein paar hübschen Bademeistern feiern. Meine Follower würden es lieben! Es war mir nicht leicht gefallen, mit nur wenig Gepäck zu verreisen. Immerhin hatten wir normalerweise Personal dabei, die sich um unser Gepäck kümmerten, aber das würde hier für zu viel Aufsehen sorgen. Ein bisschen Eigeninitiative konnte nicht schaden.

Zu gerne hätte ich den Trubel und die Aufbruchsstimmung, die hier überall im Raum spürbar war in meiner Story festgehalten, aber außer Amina und mir wusste keine Menschenseele von meinen Plänen oder meinem Aufenthaltsort. Zu dieser Sekunde konnten meine Eltern schon wutentbrannt das Büro der Rektorin verlassen. Mit dem Wissen, dass ich womöglich das Halbjahr nicht bestünde oder sogar von der Schule fliegen würde, hätten meine Eltern endlich die Möglichkeit mir mein Handy zu entziehen, oder meine geliebte Kreditkarte sperren zu lassen, weshalb ich so schnell wie möglich hier weg musste. Denn was wäre mein Account ohne Bilder aus meinem heißgeliebten Luxusdasein? Das sah man allein schon im Vergleich meiner übrigen Posts, mit dem von heute morgen. Der heutige hatte so viel weniger Likes bekommen, nur weil er meine langweilige Schuluniform zeigte. Die Leute interessierten sich nicht für die gewöhnlichen Dinge. Bestünde die Uniform aus Markenklamotten, sähe die Sache schon ganz anders aus, doch so wie die Dinge standen, musste ich einen 10 prozentigen Mangel an Interesse feststellen... oder waren das bereits 20%? Wie dem auch sei, weniger ist weniger und mehr ist mehr, klarer Fall. Wen kümmerten schon Gleichungen, wenn man mit einem Blick genau erkennen konnte, dass sich die Likes nach meinem letzten Post drastisch vermindert hatten.

Es ging nur schleppend voran, doch ich schöpfte langsam Hoffnung, als Miss Hautkrebs vor mir an die Reihe kam. Sie kam aus dem Ausland, sprach nur brüchiges Englisch und musste sich mit Händen und Füßen verständigen. Ich, vor Ungeduld platzend, hätte mich liebend gerne vor sie geschoben, doch ich hielt mich krampfhaft zurück. Die Devise "nur nicht auffallen" hatte ich mir besonders stark eingeprägt. Ich liebte Konfrontationen, denn meistens gewann ich jegliche Auseinandersetzungen, doch meine Mission das Land zu verlassen war im Augenblick eindeutig wichtiger.

Endlich war ich an der Reihe. Schon zückte ich meine Kreditkarte und kündigte nicht ohne Hochmut in der Stimme an: „Autumn Nicholson, für mich geht es nach Hawaii."
Der Herr mit der schlecht sitzenden Krawatte in der Symbolfarbe des Flughafens am Schalter beeindruckte das in keinster Weise. Routiniert tippte er auf die Tastatur des Computers vor ihm, klickte mit dem Mousepad einmal hier hin, einmal da hin. Wieder wurde getippt. „Hin und zurück?", schnarrte seine Stimme und ich schüttelte meine blonden Locken. „One way." Seine Finger flogen geradezu über die Tastatur. Solche flinken Bewegungen schienen nicht zu dem Herrn zu passen, der sich offenbar sehr nach einer Pause und einem Kaffee sehnte.

„Also ich hätte da etwas in drei Stunden", erklärte er mir und drehte mir seinen Bildschirm entgegen, damit ich die Daten vergleichen konnte. „Geht es nicht etwas früher, ich habe es sehr eilig", erwiderte ich kühl und begann vorsichtshalber meine Fingerkuppen auf dem Tresen ungeduldig auf und ab zu bewegen. Kleine Leute musste man ständig unter Druck setzen, dann verrichteten sie auch ihre Arbeit. Allerdings ließ sich der Angestellte nicht so schnell aus der Fassung bringen- ganz zu meinem Verdruss.

„Der letzte Flieger ist gerade zur Sekunde abgeflogen", bemerkte er und zuckte desinteressiert mit den Schultern. So leicht würde er mich nicht abspeisen! Ich war reich!

„Vielleicht haben Sie mich vorhin nicht ganz verstanden. Mein Name ist Autumn Nicholson und ich bestehe darauf, dass ich in weniger als drei Stunden hier abhebe." „Vielleicht haben Sie mich nicht ganz verstanden", warf mir der Mann nicht weniger patzig entgegen, "aber ich kann das Flugzeug nicht wieder zurück holen. Wenn Sie allerdings möchten, dürfen Sie sehr gerne beim Aufladen der Koffer des nächsten Fluges helfen, möglicher Weise hebt er dann etwas eher ab."

Von so viel Dreistigkeit blieb mir der Mund offen stehen. Offenbar kannte er meine Machtposition nicht, oder zumindest die Machtposition meiner Eltern. Doch eben diese anrufen und mich beschweren, kam aktuell nicht in Frage, also zückte ich nur grimmig meine Kreditkarte und bestätigte den nächsten Flug. Erneutes Tippgeräusch und ich überlegte schon, wo ich die folgenden drei Stunden zubringen würde. Vielleicht setzte ich mich in die Kantine. Niemals würden meine Eltern dort nach mir suchen, denn meiner Familie und meinen Freunden war allgemein bekannt, dass ich unter keinen Umständen warm gehaltene Speisen zu mir nahm. Ich war schließlich keine Angestellte. Oder doch lieber am Kiosk? Zwischen all den unwichtigen Klatschmagazinen und schamlosen Sudoku Heften würde mich niemand vermuten. Doch meine Überlegungen wurden schier unterbrochen.

„Verzeihung, Miss, mit Ihrer Kreditkarte stimmt etwas nicht."

„Wie bitte?", fragte ich verwirrt und starrte den Mann am Ticketschalter verständnislos an. „Was soll damit nicht stimmen?", mein Ton wurde rauer.

„Es scheint als wäre sie gesperrt." Sah ich da ein süffisantes Grinsen auf seinem schlecht rasierten Gesicht? „Die Karte ist wohl gesperrt", erklärte er. Gesperrt? Meine Augen verengten sich zu Schlitze. Sie mussten dahinter gekommen sein. Bald würden meine Eltern hier auftauchen und dann war alles verloren. Panisch kramte ich mein Handy aus der Jackentasche und rief unter einer Schnellwahltaste Aminas Nummer auf. Natürlich hob sie sofort ab und ehe sie auch nur etwas erwidern konnte, brüllte ich in das Mikrofon: „Meine Eltern sind bald hier, sie haben meine Karte gesperrt. Komm so schnell du kannst hier her und leih mir Geld, ich muss hier weg!"

Der Mann am Ticketschalter zog belustigt beide Augenbrauen hoch und auch die Leute hinter mir in der immer länger werdenden Warteschlange begannen sich langsam zu mokieren. Banausen! Sie alle hatten ja keine Ahnung was auf dem Spiel stand.

„Bitte Liebling, nicht böse werden...", stammelte meine beste Freundin am anderen Ende der Leitung und ich hörte ihr an, wie schuldbewusst sie klang.

„Was hast du getan?", fragte ich ängstlich.

„Autumn!", schalt da bereits eine tiefe Stimme hinter mir. Besiegt schloss ich die Augen. Da waren sie. Meine Eltern, die eigentlich mein halbes Leben verpasst hatten, da es allzu viele wichtige Geschäftstermine verteilt um den ganzen Globus gab, waren tatsächlich rechtzeitig eingetroffen um meine Träume wie eine Seifenblase zu zerstören.

„Die Schulleitung hat auch meine Eltern informiert. Scheint so, als hätten wir beide irrsinnig viele Fehlstunden", schaltete sich Amina am Handy wieder ein. „Meine Eltern wollen auch ein ernstes Gespräch mit mir führen, aber sie sind noch bis nächste Woche in Europa..."

Na und wenn schon. Letztlich würden sie Amina nicht weiter einschränken. ich kannte ihren Vater. Dem waren de Noten seiner Tochter ziemlich egal. Er erinnerte sich liebend gern an seine eigene Jugend und konnte demnach Verständnis dem Verhalten seiner Tochter entgegenbringen. Doch für meine möchtegern konservativen Eltern war das Maß nun endgültig voll. Das hatten sie mir in der Vergangenheit weis gemacht, taten es vor allen Leuten auf dem Flughafengelände, wo sie mich sogar von der Security abführen ließen und selbst zu hause fanden sie deutliche Worte für meinen Fluchtversuch.

„Das hat Konsequenzen!", brüllte mein Vater noch, bevor er meine Zimmertür hinter sich schloss, um sich mit Mama über eine Lösung zu einigen.

Mein Koffer lag geöffnet auf dem Boden vor dem Fenster, da, wo Papa ihn voller Verachtung hingeworfen hatte. Einige Stücke waren nach dem heftigen Aufprall herausgeflogen und das einfallende nachmittägliche Licht ließ jegliche Falten der teuren Stoffe gravierender erscheinen. So wie die Falten in Papas Gesicht. Er sah neuerdings so müde aus und alt.

#grl_pwr, oder wie man ohne Wlan überlebtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt