Kapitel 2

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Am nächsten Tag bin ich früh im Büro, sogar vor Ben und finde wieder einen Stapel Akten auf meinem Tisch vor. Seufzend setze ich mich und fange an die ersten zu bearbeiten als irgendwann Ben hinein gestürmt kommt.
"Guten Morgen, Cassie", begrüßt er mich und setzt sich auf seinen Platz.
"Morgen", antworte ich gereizt.
"Wie hältst du das jeden Tag aus?!", frage ich frustriert. Ben grinst und nimmt sich seinen Stapel vor.
Sein aufdringliches Parfum sticht mir in der Nase.
"Es ist ein Privileg hier zu arbeiten, vergiss das nicht. Andere würden..."
"Jaja, andere würden für den Job morden, schon verstanden", falle ich ihm ins Wort.
Plötzlich bricht auf dem Gang Hektik aus und Beverly kommt zu uns rein.
"Mr. Wright kommt in einer halben Stunde", gibt sie bescheid und schaut uns ernst an.
Dann stürmt sie wieder raus. Ein paar von den anderen Mädchen in ihren Miniröcken und High Heels folgen ihr aufgeregt.
"War er gestern etwa nicht da?", frage ich irritiert.
"Nein, Mr. Wright arbeitet oft von zu Hause und wenn er mal im Büro ist, ist das was besonderes, wie du siehst", antwortet Ben und lacht.
Von hier aus beobachte ich Beverly und Jenny wie sie sich mithilfe eines kleinen Taschenspiegels zurecht machen und sich gegenseitig Komplimente geben.
"Stell die Blumenvase noch dahin!", ruft Beverly und zeigt auf ihrem Empfangstresen.
"Wow, die beiden sind echte Klischees", bemerke ich und verdrehe die Augen.

Nach einer Weile legt sich die Hektik draußen und ich beschließe eine Pause von meiner monotonen Arbeit zu machen.
"Ich gehe mir unten etwas zu Essen kaufen, willst du auch was?", frage ich Ben und schnappe mir meine Tasche.
"Nein, danke"
Ich stehe auf und verlasse das Büro, um mit dem Fahrstuhl in die unterste Ebene zu fahren. Da habe ich gestern einen Snackautomaten bemerkt.
Ohne Nervennahrung halte ich das Ganze nicht aus. Und auch wenn es ein echtes Privileg ist hier zu arbeiten, wie alle sagen, denke ich seit gestern darüber nach, ob es ein Fehler war nach New York zu kommen.
In Vermont hätte ich auch für Anwälte arbeiten können, die zwar nur halb so bekannt sind, aber vielleicht wäre mein Arbeitsalltag etwas spannender. Mit Sicherheit wäre er das.

Ich steuere auf den Automaten zu, der gerade schon von jemand Anderem bedient wird und stelle mich hinter dem Mann an.
"Mist!", murmelt er und kramt in seinem Portemonnaie herum.
"Kann ich Ihnen helfen? Brauchen Sie Kleingeld?", frage ich und öffne mein Portemonnaie.
Der Mann schaut mich erst etwas verwundert an und nickt dann.
"Er will leider keine Scheine nehmen", antwortet er und lächelt verlegen, wobei seine Grübchen zum Vorschein kommen. Ich blicke in sein Portemonnaie und sehe nur 100 Dollar Scheine und davon viele.
Nach längerem Kramen stecke ich eine Münze in den Automaten und der Schokoriegel fällt in die Ablage unten.
"Vielen Dank", sagt er und schaut mir dabei zu wie ich mir auch einen Riegel ziehe.
"Ach keine Ursache, nichts ist schlimmer, als wenn man wegen etwas Kleingeld auf seine Nervennahrung verzichten muss", antworte ich und lache.

Wir laufen beide auf die Fahrstühle zu.
Erst im Fahrstuhl bemerke ich, dass er dunkelbraune kurze Haare hat, die er im Mittelscheitel trägt. Seine hellblauen Augen strahlen einen geradezu an.
"Sind Sie neu hier?", fragt er.
"Ja, seit gestern. Ich arbeite für Mr. Sanders in der 18. Etage, aber ich bereue es allmählich den Job angenommen zu haben", antworte ich und starre auf den Marmorboden im Fahrstuhl.
"Wieso?"
"Ich bearbeite den ganzen Tag nur Akten und auch wenn das vielleicht etwas arrogant klingt, aber ich bin für so etwas eindeutig zu überqualifiziert. Ich dachte Wright Industries wäre ein renommiertes Anwaltsbüro, aber alles was ich sehe sind verrückte Teenies, die sich auftakeln, weil ihr Chef anscheinend ein Casanova ist", erkläre ich und seufze genervt.
"Ein Casanova?", fragt er und schmunzelt.
"Ja, Mr. Wright hat den Ruf eines Casanovas. Ich weiß nicht, warum er so erfolgreich ist, wenn er den ganzen Tag nur Frauen aufreißt", antworte ich.
"Das fragen sich viele"
Die Fahrstuhltüren öffnen sich und wir verlassen ihn.
Beverly schaut uns mit großen Augen an und kommt dann auf uns zugesteuert.
"Guten Morgen, Mr. Wright. Ihr Büro ist vorbereitet und die Meetings von heute stehen in Ihrem Kalender", sagt sie.
Ich schlucke. Ist das etwa? Ich starre den Mann an, bei dem ich mich gerade über meinen Chef lustig gemacht habe.
Ich bin mit Mr. Wright Fahrstuhl gefahren und habe mich gleichzeitig über seine Firma aufgeregt.
Schockiert schaue ich ihn von der Seite an, während er mit Beverly seine Termine durchgeht.
Dann läuft er geradeaus und lässt uns beide stehen.

Kurz bevor er sein Büro betritt, dreht er sich nochmal zu uns um und schaut mich an.
"Ich frage mich auch, woher der Erfolg kommt", sagt er, lächelt leicht und verschwindet dann in seinem Büro.
"Was meint er damit?", fragt mich Beverly und schaut verwirrt.
"Das war gerade meine Kündigung", antworte ich und seufze.

Das kann einfach nicht sein. Wieso passiert mir sowas? Immer noch völlig schockiert gehe ich zurück in Bens Büro.
"Was ist denn mit dir passiert? Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen!", ruft Ben und lacht herzhaft.
"Ich habe meinen eigenen Chef als Aufreißer beleidigt", nuschel ich und setze mich auf meinen Platz. Ben schaut mich fragend an.
"Mr. Wright und Ich, wir waren in einem Fahrstuhl und..."
Ich stocke.
"Und was?"
"Ich muss mich bei ihm entschuldigen, oder ich kann meine Sachen packen", beschließe ich und springe von meinem Stuhl auf.
"Mr. Wright ist den ganzen Tag in Meetings, also keine Chance", sagt Ben und hält mich auf.
"Aber was ist passiert?"
Ich erzähle ihm die peinliche Story und als ich Bens Gesicht sehe, könnte ich nur noch mehr im Erdboden versinken.
"Hast du etwa noch nie ein Foto von ihm gesehen?", fragt er mit großen Augen.
"Nein! Sonst wäre mir sowas doch nicht passiert!", blaffe ich ihn an und halte mir die Hände vor das Gesicht.
"Wird er mich rausschmeißen? Ich kann nicht zurück nach Vermont!"
Ich spüre wie ich panisch werde, wenn ich nur an Stowe, meiner Heimatstadt zurückdenke.
"Entschuldige dich einfach morgen bei ihm. Er wird es dir schon irgendwie verzeihen...aber vielleicht musst du ihm dafür einen blasen", scherzt Ben und wirft sich vor Lachen zurück.
"Du bist so ein Arsch!", zische ich.

Abends nach der Arbeit erzähle ich Sage von meinem peinlichen Zusammentreffen mit Mr. Wright.
"Oh mein Gott, Cassie!", platzt es aus ihr raus.
Wir sitzen am Küchentisch, der für acht Personen ausgelegt ist und lassen uns die selbstgemachte Spaghetti Carbonara schmecken, die Sage gekocht hat.
"Ich weiß!", antworte ich und seufze.
"Und er hat sich im Fahrstuhl nichts anmerken lassen?", fragt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Weißwein.
"Nein! Ich meine, er hatte viel Geld in seinem Portemonnaie, aber das hat mich nicht stutzig werden lassen", antworte ich.
"Am besten ist es, wenn ich jetzt schon meinen Flug nach Vermont buche. Jetzt sind sie Preise noch günstig und..."
Sage unterbricht mich.
"Du wirst nicht gekündigt! Lass ihn wissen, was er verliert, wenn er dich rausschmeißt. Du bist eine super gute Anwaltsgehilfin und hast so einiges auf dem Kasten. Wenn er dich entlässt, wird er das spüren!"

"Ich danke dir für deine Motivation, aber das wird nichts bringen. Er weiß ja gar nicht was ich drauf habe, weil ich den ganzen Tag nur Akten bearbeite und sortiere", sage ich.

"Du bist Cassie fucking Mitchell und du hast diesen Job bekommen, niemand anderes! Du wirst dich nicht so einfach rausschmeißen lassen!"

Ich vermute, dass Sage schon etwas zu viel Wein getrunken hat, aber sie schenkt sich noch ein Glas ein. Wahrscheinlich ist das ihr Mechanismus, um diesen Hochzeitsartikel auszublenden, der ihr so auf die Nerven geht.

Nach dem Essen räume ich ab und spüle das Geschirr, während ich darüber nachdenke, wie ich mich am besten bei Mr. Wright entschuldigen sollte. Es wäre viel einfacher, wenn er nicht auch noch so attraktiv wäre und stattdessen irgendein Sesselpupser, der aussieht als hätte er seine besten Jahre schon hinter sich. Er hingegen ist wahrscheinlich der Traum jeder Frau und ich kann seinen Ruf so langsam nachvollziehen.

My seductive boss | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt