ELF

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Red blickte zu Nia. Man konnte keinen Unterschied erkennen. Sie sah immer noch halbtot aus, aber das Fieber schien nicht mehr weiter zu steigen.

Er stellte sich vors Fenster und sah in den Wald. Die Blätter leuchteten in rot und orange Tönen. Man konnte sehen, dass es Herbst war. Der Waldboden war mit lauter Blättern bedeckt. Hin und wieder wirbelte der Wind einige der Blätter auf und sie tanzten im Wind. Kleine Kinder fänden den Anblick toll, doch Red liess das Ganze kalt. Es berührte ihn nicht einmal annähernd.

Er wandte sich ab und blickte wieder zu Nia. Sie wälzte sich hin und her und bewegte ihre Lippen.

"Wollte sie etwas sagen?", ging es ihm durch den Kopf.

Red ging auf sie zu und kniete sich neben das Bett. Sanft strich er ihr die Haare aus dem Gesicht. Als seine Finger ihre Haut berührte, stellte er erleichtert fest, dass das Fieber gesunken war.

"Was willst du sagen?"

Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Er wagte es nicht lauter zu sprechen. Einerseits wollte er, dass sie aufwachte, andererseits wollte er sie nicht gehen lassen. Nia flüsterte wieder etwas, vielleicht war es auch mehr ein Stöhnen. Auf jeden Fall konnte er es nicht verstehen.

"Ich versteh dich nicht."

Etwas wie Verzweiflung machte sich in ihm breit und es erschreckte ihn. Noch nie hatte er so etwas wie Verzweiflung verspürt. Nicht einmal als er auf der Strasse lebte und nicht wusste, ob er den nächsten Morgen erleben würde.

Er war verzweifelt, weil sie etwas mit ihm machte, dass noch niemand zuvor je geschafft hatte. Ein weiteres Mal murmelte sie etwas und dieses Mal war er sicher, dass sie einen Namen gesagt hatte.

Aus einem ihm unerklärlichen Grund machte sein Herz einen Satz. Was wenn sie seinen Namen gesagt hatte? Was wenn sie wollte, dass er bei ihr blieb? Würde er bleiben? Oder auf dem Absatz kehrt machen und sie einfach im Stich lassen?

So schnell er konnte stand er auf und wich ein paar Schritte zurück. Sie durfte nicht seinen Namen gesagt haben. Das würde nur in einem Desaster enden. So wie immer. Sie musste einen anderen Namen gesagt haben. Sie musste einfach. Wenn sie seinen Namen gesagt hätte, wäre er ihr endgültig entfallen. Doch das durfte nicht passieren. Sie machte ihn schwach. Er hatte sich selbst nicht mehr im Griff, wenn es um sie ging und das durfte einfach nicht sein. Red war niemand, der schwach sein konnte. Jemand der Schwäche zeigen durfte. Er musste vierundzwanzig Stunden lang voll da sein. Immer für alles bereit sein. Doch das ging nicht, wenn sie in der Näher war. Nicht wenn sie seinen Namen sagte.

Vielleicht wäre es besser gewesen sie sterben zu lassen, ging es ihm durch den Kopf.

Auf der Stelle verbannte er diesen Gedanken wieder aus seinem Kopf, denn er hätte es nicht fertig gebracht. Etwas in ihm brauchte sie und er wusste nicht wie stark dieser Teil war. Er kniete sich ein weiteres Mal neben sie ans Bett. Gerade rechtzeitig um zu hören, wie sie "Lucy" murmelte.

Ihre Schwester.

Er war erleichtert und gleichzeitig spürte er einen Stich im Herzen. Er erhob sich und lief ins Wohnzimmer, um ihre Schwester zu holen.

Was Red aber nicht wusste, war dass Nia zuvor nicht Lucy gemurmelt hatte. Sie hatte immer den selben Namen gemurmelt. Nicht den Namen ihrer Schwester. Nicht die Namen ihrer Eltern oder Freunde.

Den Namen desjenigen, der alles auf den Kopf gestellt hatte.

Seinen Namen.

-

"Nichts? Es gibt wirklich gar nichts neues?"

Sie hatte es so sehr gehofft. Sie hatte sich gewünscht, dass es etwas neues geben würde. Auch wenn die Nachricht gewesen wäre, dass sie tot ist. Alles wäre besser als nichts zu wissen. Diese Unwissenheit war das Schlimmste. Sie konnte tot sein oder am Leben und irrte durch die Strassen oder sie wurde gefoltert oder schlimmeres. Man konnte sich alles vorstellen und alles konnte falsch sein.

MONSTERS - Let The Game BeginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt