ACHTZEHN

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Nia hörte wie die Tür hinter ihr verschlossen wurde und begann sich etwas um zu sehen. Sie stand in einem kurzen Gang von dem zwei Türen zur linken Seite abgingen, eine Tür zur rechten und in einem weiten, hellen Raum endete. Vorsichtig ging sie den Flur hinunter und trat ins Wohnzimmer bzw. Esszimmer.

Es waren nicht alle Mädchen dort, also musste eine der Türen ins Schlafzimmer führen. Lucy sass auf einem der Sofas und blickte genau in dem Moment in Richtung Flur, als Nia das Zimmer betrat. Auf der Stelle stand sie auf und ging auf ihre kleine Schwester zu, um sie in den Arm zu nehmen. Ohne das sie es wollte, rollten ihr die Tränen über die Wange.

"Gott. Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht. Alles in Ordnung?"

Lucy schob Nia ein Stückchen von sich weg und betrachtete sie von Kopf bis Fuss. Sie konnte keine oberflächlichen Verletzungen entdecken und die Anspannung in ihrem Körper löste sich ein wenig, doch spürte sie einen kleinen Stich, als sie sah wie fertig Nia aussah.

Nia aber schüttelte bloss den Kopf und setzte ein gezwungenes Lächeln auf, was ihrer Schwester nicht verborgen blieb.

"Mir geht's gut, Lucy. Aber wie sieht es bei euch aus?"

Über die Schulter ihrer Schwester hinweg sah sie zu Jackie und Sam. Sam schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, während Jackie mit der Hand abwinkte.

"Wir tun das, was wir immer tun. Abwarten."

Nia seufzte leicht und setzte sich neben Sam aufs Sofa.

"Ich wünschte, ich könnte etwas für euch tun, aber ich weiss nicht was."

Lucy lächelte sie an und setzte sich zu ihnen aufs Sofa.

"Es ist okay, Nia. Du musst nichts tun. Wir kommen schon klar. Jetzt bist du ja wieder da."

Sam nickte zustimmend.

"Lucy hat recht und ich hab endlich wieder jemandem zum Quatschen."

Sie zwinkerte Nia zu und stupste sie mit dem Ellbogen an, doch Nia liess den Kopf sinken.

"Ich kann nicht bleiben. Ich darf nur eine Stunde zu euch kommen, danach muss ich wieder gehen."

Jackie und Lucy tauschten einen angespannten Blick und Sams Grinsen verschwand auf der Stelle. Jackie runzelte die Stirn.

"Du bist keine Ware mehr, oder? Deshalb kannst du nicht bleiben und du stehst auch nicht mehr zur Wahl, hab ich recht?"

Nia schluckte schwer und nickte langsam. Ihr war die ganze Sache unangenehm. Alle Mädchen, bis auf Sam natürlich, waren schon sehr viel länger als sie hier, doch sie wurde einfach so verschont. So etwas war doch nicht fair.

"Ich weiss nicht mal wieso. Es hat mir keiner je einen Grund genannt."

Lucy strich ihr sanft über den Arm und lächelte sie an.

"Du brauchst auch keinen. Ich bin einfach froh, dass dir nichts mehr passieren kann."

Jackie lachte, aber es war stumpf und hohl und alles andere als ernst gemeint.

"Lucy, sie ist noch lange nicht ausser Gefahr. Wer weiss, was er mit ihr machen wird, wenn es erst mal Nacht ist!"

Nia stellte den Kopf leicht schräg und sah Jackie komisch an. Sie wusste was die Ältere meinte, aber gleichzeitig war ich auch bewusst, wie lächerlich es war. Auch wenn Red immer wieder ein echtes Arschloch war und einem wirklich Angst einjagen konnte, so hatte er ihr bisher nicht auch nur ein Haar gekrümmt und sie wusste, dass er es auch nicht tun würde.

Lucy hingegen geriet in Panik. Sie hatte sich zwar alle möglichen Szenarien ausgedacht, aber die Hoffnung, das ihrer kleinen Schwester nichts passieren würde, war einfach grösser, so dass kein einziges schlecht ausging. Gerade als sie etwas sagen wollte, kam ihr ein lautes Krachen an der Tür zuvor und Reds Stimme drang zu ihnen.

"Nia! Die Stunde ist um."

Nia seufzte und stand auf.

"Du kannst nicht gehen! Bleib einfach hier."

Lucy hatte sich ebenfalls erhoben und hielt sie nun am Arm fest, doch Nia riss sich los und schüttelte den Kopf.

"Wenn ich nicht gehe, wird er reinkommen und dann darf ich vielleicht gar nicht mehr kommen." Sie wandte sich von den drei ab. "Bis Morgen."

Dann ging sie den Flur hinunter zur Tür und verliess die Zimmer der Mädchen wieder.

-

Red musterte sie aufmerksam und es entging ihm nicht, dass sie etwas niedergeschlagen erschien. Bevor er etwas sagen konnte, ging sie an ihm vorbei zur Couch und setzte sich neben Pacho. Sie zwang sich dazu zu lächeln, aber es kam nicht von Herzen und das konnte jeder sehen.

"Was macht ihr?"

Pacho tauschte einen kurzen Blick mit Red aus und sah dann wieder zu Nia. Er versuchte so aufmunternd wie Major zur lächeln, aber dazu fehlte ihm die Übung.

"Ach, eigentlich sitzen wir nur rum und machen ... nichts."

Nia lächelte leicht, ehe sie wieder aufstand und zur Balkontür ging. Sie öffnete die Tür und trat hinaus. Man konnte alles sehen und gleichzeitig sah man nichts. Major bemerkte wie sowohl Pachos als auch Reds Blick ihr gefolgt waren und schüttelte leicht den Kopf.

"Wenn ihr euch solche Sorgen macht, dann geht ihr nach und sprecht mit ihr, anstatt das ihr nur dumm rumsitzt und nichts macht."

Red warf ihm einen wütenden Blick zu. Er hasste es, wenn man ihm sagte, was er tun sollte, aber noch mehr hasste er es, wenn der andere recht hatte. Langsam ging er zu Nia auf den Balkon und schloss die Tür hinter sich. Er wollte nicht das die anderen lauschten.

"Alles in Ordnung?"

Nia sah weiterhin stur gerade raus.

"Ja. Du kannst also wieder rein gehen. Ich werde schon nicht springen."

Red musste leicht schmunzeln und stellte sich neben sie ans Geländer.

"Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen, aber wenn sie dir gekommen ist, musst du wohl darüber nachgedacht haben. Also bleibe ich besser."

Nia sah ihn aus dem Augenwinkel an und ein leichtes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Schliesslich seufzte sie und liess den Kopf leicht hängen.

"Ich denke in letzter Zeit über vieles nach. Immer wieder stell ich mir dieselben Fragen, aber ich komm einfach auf keine Antwort."

Red sah sie aufmerksam an.

"Was für Fragen? Vielleicht kann ich helfen."

Und da war es wieder. Dieses warme und überhaupt nicht bedrohliches Lächeln. Das Lächeln, welches sich mitten in ihr Herz geschlichen hatte. Nia sah ihm in die Augen, ehe sie antwortete.

"Naja, ich frage mich, wieso ich mir so sicher bin, dass du mir nichts antun wirst."

Weil sie ihm die ganze Zeit in die Augen gesehen hatte, entging ihr die Überraschung in seinen Augen nicht und zum ersten Mal war Red wirklich sprachlos. Denn er selbst hatte sich diese Frage ebenfalls schon viele Male gestellt. Sich immer und immer wieder gefragt, weshalb er nicht wehtun wollte. Weshalb er es nicht konnte und er hatte selbst keine Antwort darauf gewusst.

Er wandte seinen Blick von ihr ab und sah wieder auf die Stadt hinunter. Seine Stimme war bloss ein Flüstern als er sprach.

"Glaub mir, diese Frage stell ich mir selbst schon die ganze Zeit und ich weiss selber keine Antwort darauf." Er sah wieder zu ihr und machte einen Schritt auf sie zu. "Aber du hast recht. Ich würde dir nie etwas antun."

Während er sprach strich er ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht und Nia lehnte sich leicht in die Berührung. Plötzlich war seine Hand weg und Red wandte sich von ihr ab. Ehe sie ihn zurück halten konnte, war er wieder nach innen verschwunden.

Das einzige was zurück blieb, war die Erinnerung an seine Hand an ihrer Wange.

MONSTERS - Let The Game BeginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt