Kapitel 35

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Dezember

Ich verließ die Klinik früher, weil ich mich nicht gut fühlte. Schon seit Tagen war ich permanent müde und mein Kreislauf sackte regelmäßig so tief in den Keller, dass ich kurz vor der Ohnmacht stand. Ich nahm mir vor, mich auf jeden Fall heute von einem Arzt durchchecken zu lassen. Normal konnte das ja nicht sein. Vorher wollte ich aber noch nach Hause und ein bisschen schlafen.
Ich öffnete die Tür zur Wohnung und wurde mit einem, am Telefon laut fluchenden, Felix begrüßt. „Es kann doch nicht sein, dass ich mich ständig selber darum kümmern muss, nur weil ihr zu dumm seid!" hörte ich ihn sagen. Ich setzte meine Tasche im Flur ab und ging in's Wohnzimmer. „Hey Schatz." begrüßte ich ihn und er winkte mir kurz flüchtig zu. Felix mit schlechter Laune war kaum zu ertragen. Besonders in letzter Zeit häuften sich die Tage, an denen er schlecht drauf war, tagelang nicht aus dem Bett kommen wollte oder er mich wegen Kleinigkeiten anzickte. Ich wusste von seinen Depressionsschüben, deswegen ließ ich ihn in diesen Momenten meistens in Ruhe. Später kam er immer an und entschuldigte sich bei mir.
„Das ist mir scheißegal, Julian! Entweder ihr klärt das oder der Scheiß wird nicht stattfinden. Punkt, Aus. Ich diskutiere da nicht drüber." meckerte er weiter und ich ging in's Schlafzimmer, um mich noch ein bisschen hin zu legen.

Ich wurde von schrecklicher Übelkeit und Kopfschmerzen wach, rannte im Halbschlaf in's Badezimmer und übergab mich in's Klo.
„Alles okay da drin?" fragte mein Freund, der an die Tür klopfte. „Hört sich das für dich so an?" erwiderte ich patzig und musste mich ein zweites Mal übergeben.
Nachdem ich mich einigermaßen besser fühlte, kam ich aus dem Bad.
„Was ist los?" fragte Felix und sah mich besorgt an. „Keine Ahnung. Ich muss wirklich zum Arzt." jammerte ich. „Zieh dich an, ich fahr dich." sprach er und streichelte mir über den Rücken.

„Was war da vorhin schon wieder los?" fragte ich ihn im Auto auf dem Weg zum Arzt. „Ach weißte, ich soll da bei irgend so einer Gaga Charity-Veranstaltung kurz vor Weihnachten in Hamburg auftreten und ich hab' Becci von Anfang an gesagt, ich hab' da keinen Bock drauf so. Und ich hab' jetzt nur zu gesagt, weil die Rede davon war, dass ich da nur Auftreten soll und nicht an diese dämlichen Spenden-Telefone gesetzt werde. Jetzt plötzlich meinen die Veranstalter aber, dass das Teil des Deals war und jetzt kriegen Julian und Becci es nicht hin, das vernünftig zu klären." regte er sich auf. „Dann geh halt nicht hin, wenn die das nicht geregelt kriegen." entgegnete ich ihm. „Mach ich auch nicht. Mir egal was Becci sagt." protestierte er.
„Tut mir leid, dass ich in letzter Zeit so gereizt bin." er schaute mich kurz entschuldigend an. „Die Vorweihnachtszeit ist nicht so meins." erklärte er. „Wegen deiner Mam?" er nickte langsam. „Kann ich verstehen."
„Und genau deswegen sollte ich dich nicht so behandeln. Ich weiß, dass die Zeit für dich selber nicht leicht ist. Ich werde versuchen, mich zusammen zu reißen, okay?" fragte er. „Alles gut, Schatz." beruhigte ich ihn. „Wir kriegen die Zeit schon irgendwie rum." ich lächelte ihm ermutigend zu, bevor ich aus dem Auto stieg und in die Arztpraxis lief.

Im Behandlungszimmer schilderte ich dem Arzt meine Probleme und er schaute sich durch das Ultraschallgerät meinen Bauch an. „Ah. Hm. Ja, da haben wir das Problem." sprach er, als er auf den Bildschirm schaute. „Also Frau Wagner," er säuberte meinen Bauch mit einem Tuch und rollte mit dem Stuhl nach hinten. „Sie sind schwanger. Herzlichen Glückwunsch." Was hat er da grade gesagt? „Ehm, was?" fragte ich perplex. „Sie sind schwanger." bestätigte er und lächelte mich an. „Nein. Nein, das kann nicht sein. Ich nehme die Pille." schüttelte ich ungläubig den Kopf. „Naja, auch die Pille ist nicht 100% sicher. Haben sie sie denn regelmäßig genommen?" fragte er. „Ja, auf jeden Fall!" Machte ich klar. „Mussten sie in den letzten Wochen Antibiotika oder andere Tabletten nehmen, die die Wirkung der Pille beeinflussen?" ich schüttelte den Kopf. „Oder haben sie sich vor Kurzem nach Einnahme übergeben? Auch das kann die Wirkung aussetzen." Oh nein. Mein Absturz. Ich schaute starr auf den Boden. „Das ist für sie jetzt sicherlich erst mal ein Schock." Das war hart untertrieben. Ich nickte. „Wissen sie denn, wer der Vater ist?" wieder nickte ich nur. „Was mache ich denn jetzt?" sprudelte es aus mir heraus und ich kämpfte mit den Tränen. „Es ist jetzt das Wichtigste, dass sie erstmal den Schock verdauen. Reden sie mit ihrem Partner. Treffen sie keine voreilige Entscheidung." riet er mir und ich nickte wieder nur.
„Gegen ihre Symptome kann ich leider nichts machen. Diese sollten aber nach einigen Wochen abklingen. Haben sie einen Frauenarzt hier vor Ort? Wenn nicht, dann suchen sie sich am besten einen." sprach er. „Ich wünsche ihnen alles Gute." und er verließ den Raum. Fuck, fuck, fuck!

„Und? Was hast du?" fragte Felix, als ich zurück in's Auto stieg. „Alter, du bist kreidebleich." merkte er an. „Ich.-„ begann ich, entschied mich aber dazu, ihm erstmal nichts zu erzählen. In seiner momentanen Verfassung wäre das wahrscheinlich zu viel für ihn. Für mich auch. Ich brauchte noch ein bisschen Zeit. „Ich habe nur eine Magenverstimmung." erklärte ich ihm. „Woher kommt die denn?" Er schaute mich verwirrt an. „Keine Ahnung, vielleicht habe ich was falsches gegessen."
„Ich sage dir ja jedes Mal, du sollst weniger von diesem Fertigscheiß essen." mahnte er mich an. „Ich höre ab jetzt auf dich." antwortete ich nachdenklich. „Ist wirklich alles okay?"
„Ja, alles gut. Mir geht's nur einfach nicht so gut." beruhigte ich ihn. „Ich möchte zurück in's Bett."
Felix nickte und wir fuhren nach Hause.

Zu Dir (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt