Kapitel 39

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Januar

Felix

„Also wenn es ein Mädchen wird, würde ich ‚Charlotte' als Namen ganz schön finden. Das war der Zweitname meiner Mutter." sprach ich, während ich Emilias Bauch streichelte. „Den finde ich auch schön." lächelte sie mich stolz an. „Was würdest du dir denn wünschen? Junge oder Mädchen?" fragte sie mich. „Hm, weiß ich gar nicht. Ich bin glücklich, egal was es wird. Hauptsache gesund." ich schaute sie an und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Plötzlich veränderte sich ihr Gesicht. Sie schien sauer zu sein. „Emilia? Was ist mit dir?" fragte ich.
„Es ist deine Schuld!" schrie sie mich an.

Ich wachte schweißgebadet auf und schaute mich um. Ich lag auf meinem Sofa, vor mir ein paar leere Bierflaschen und eine verschmandte Bong. Es war nur ein Traum. Ich atmete tief ein und aus und setzte mich auf.
„Es tut mir leid ihnen sagen zu müssen, dass ihre Freundin das Kind verloren hat." schallten die Worte des Oberarztes in meinem Kopf. Ich schloss die Augen und erinnerte mich zurück. Warum hatte sie mir nicht erzählt, dass sie schwanger war? Es wäre alles anders abgelaufen. Ich hätte ihren dämlichen Chef nicht geboxt, wir hätten uns nicht gestritten. Sie wäre nicht die Treppe runter gefallen und sie würde jetzt nicht schon seit fast einem Monat im Koma liegen. Mein Magen zog sich zusammen. Die Ärzte konnten sich nicht erklären, warum sie noch immer nicht aufwachte. Das Schlimmste hatte sie hinter sich. Körperlich sei alles verheilt, meinten die Ärzte. Warum verdammt nochmal wacht sie dann nicht auf?
Ich sah mich in meiner Wohnung um, die mittlerweile dem dreckigen Kotti ähnelte. Überall standen leere Alkoholflaschen, Essensreste die ich, wenn ich denn dann mal was aß, nicht weggeräumt hatte, vor mir eine Mische Gras und Tabak. Seit dem Unfall hatte ich meine Wohnung nicht mehr verlassen, mit niemandem geredet, außer mit dem schwarzen Dealer an der Ecke meines Hauses. Mittlerweile müsste ich mit Sicherheit um die 500 Nachrichten und verpasste Anrufe von allen möglichen Leuten auf meinem Handy haben. Keine Ahnung, ich hatte schon seit Tagen nicht mehr drauf geschaut. Ich hätte so viele Termine und Auftritte gehabt, zu denen ich einfach nicht gegangen bin. Nicht mal abgesagt hatte ich. Scheiß auf die. Scheiß auf alle, man.
Ich sollte zu Emilia. Ich sollte sie besuchen. Vielleicht wachte sie nicht auf, weil ich nicht bei ihr war. Aber ich konnte nicht. Ich war sauer auf sie, dass sie mir nichts von der Schwangerschaft erzählt hatte. Aber am meisten war ich sauer auf mich selbst. Es war meine Schuld. Alles meine Schuld. Sie wird mir niemals verzeihen.
Es klingelte an der Tür. Einmal. Zweimal. Lasst mich doch einfach alle in Ruhe.
„Felix man, mach endlich die Tür auf!" Hörte ich Julian durch die Tür rufen. „Du kannst dich doch nicht ewig verstecken."
„Verpiss dich, Julian!" rief ich ihm zu. „Wir machen uns alle Sorgen. Bitte, lass uns helfen." flehte er.
„Ihr könnt mir nicht helfen. Geh einfach weg." antwortete ich.
„Emilia ist immer noch nicht wach. Du kannst sie doch nicht einfach alleine lassen." hörte ich ihn rufen, doch ich sagte nichts.
„Verdammt, Felix! Sie braucht dich!"
Wieder antwortete ich nicht. Sollen sie doch alle zur Hölle fahren.

Julian schien endlich gegangen zu sein. Ich öffnete mir ein Bier und zündete mir einen Kopf an. Das hätte ich auch nicht gedacht, dass ich jemals wieder kiffen würde. Aber warum auch nicht. War sowieso alles egal jetzt.
Ich pustete den Rauch aus meiner Lunge und sah auf mein Handy. Tommi rief an. Er wollte bestimmt fragen, ob wir jetzt wieder Hack aufnehmen würden, nach der Winterpause. Als gäbe es nicht's wichtigeres auf dieser Welt als dieser beschissene Podcast.
„Ja?" ging ich entnervt ans Telefon.
„Alter, ich versuche dich seit 2 Wochen zu erreichen. Wie geht's Emilia?" fragte er.
„Immer noch nicht wach." antwortete ich knapp.
„Hör mal, ich weiß, du machst grade eine krasse Phase durch, aber wir müssten so langsam mal wieder durchstarten. Oder zumindest den Hörern Bescheid sagen, was los ist." machte er klar.
„Ich sag dir was los ist, ich mache den Scheiß nicht mehr." Ich nahm einen Schluck aus der Bierflasche.
„Wie jetzt?" fragte die Stimme aus dem Handy fassungslos.
„Es hat sich ausgehackt, Thomas. Ich scheiß auf diesen Podcast." machte ich klar.
„Findest du nicht, dass du überreagierst? Wir können den Hackis einfach sagen, dass du grade Privat viel zu klären hast und dass wir weiter machen, wenn sich alles gelegt hat." schlug Tommi vor.
„Alles gelegt? Wie soll sich denn irgendwas hier wieder legen, man??? Das ist doch alles albern! Mach's alleine weiter oder lass es bleiben, aber ich bin raus. Ab jetzt gibt's nur noch Schweinehack. Oder Rinderhack. Oder auch einfach gar nichts. Ist mir egal. Ich bin raus." ich legte auf und warf mein Handy in's Kissen.
Warum verstand niemand, dass sowieso alles sinnlos war? Der Podcast, die Auftritte, alles sinnlos. Ich hätte hier jetzt sitzen können, mit meiner wunderschönen, schwangeren Freundin und uns Namen fürs Baby überlegen können. Stattdessen sitze ich hier alleine, in meiner beschissenen Wohnung. Im beschissenen, verregneten, grauen Berlin. So eine Ficke man.

Zu Dir (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt