Kapitel 1

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Ich saß auf dem Balkon meines Hotels, in dem ich vor ein paar Stunden eingecheckt hatte und schaute auf die riesige Kirche direkt gegenüber. Der Kirchturm war wunderschön. Er glänzte golden im Licht der Dämmerung und ich hörte, wie in der Kirche Lieder gesungen wurden. Einige Kilometer weiter hörte ich Züge in den Hauptbahnhof ein und ausfahren. Von diesem Platz aus konnte ich auch ein, nicht all zu weit entferntes, großes Gebäude sehen. Eine große Dachterrasse mit pinken und grünen Leuchtwürfeln war zu erkennen. Pink und Grün, was für eine schreckliche Kombi dachte ich mir, während ich einen Zug meiner Zigarette nahm. Für eine Großstadt wie Köln war es hier in diesem Moment sehr ruhig. Ich wunderte mich, warum ich ganz alleine auf dem Gemeinschaftsbalkon meines Hotels war. Ich überlegte kurz. Es ist Freitag Abend. Ich bin wahrscheinlich grade eine der wenigen, die nicht das Nachtleben Kölns genießt. Ich hatte mich vor ein paar Tagen von meinem Freund getrennt und musste einfach raus aus der Kleinstadt, in der ich lebte. Ich war seit Jahren nicht mehr alleine gewesen. Nicht mal für eine Nacht bei Freunden, geschweige denn ein paar Tage in einer fremden Stadt. Köln war schon immer ein Traum für mich. Die Menschen, die Stadt, der Rhein. Ich liebe es hier. Die Kirchenglocke riss mich aus meinen Gedanken. Ich schaute erneut auf die Dachterrasse mit den pinken und grünen Würfellichtern. Wenn ich den Freitag Abend alleine im Hotel verbringen wollen würde, hätte ich auch Zuhause bleiben können. Zuhause. Dieses Wort versetzte meinem Herzen einen Aussetzer. Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken schnell wieder los zu werden, drückte meine Zigarette aus und ging in mein Zimmer.
„Du solltest wirklich nochmal raus gehen!" tönte es aus dem Lautsprecher meines Handys. Meine beste Freundin Lena war am anderen Ende der Leitung. Ich ließ mich rückwärts aufs Bett fallen und seufzte. „Ich war draussen." antwortete ich knapp. „Ich meine feiern, neue Leute kennenlernen, sowas halt. Nicht kurz zu Five Guys um was zu essen und dich dann wieder im Hotel verkriechen." Eigentlich hatte sie recht und das wusste ich auch. Ich habe es nur einfach nicht so mit vielen Menschen und feiern war noch nie mein Ding. „Ich überlege es mir, okay?" Fragte ich sie und hoffte, dass sie mit dieser Antwort zufrieden war. „Ich möchte in spätestens einer Stunde einen Snap aus einer Bar, einer Kneipe, einem Club oder ähnlichem bekommen. Verstanden?" ich verdrehte die Augen. „Jawohl, Sir!" antwortete ich genervt und legte auf. Ich lag noch ein paar Minuten starr auf dem Bett und entschied dann, zu tun wie von mir verlangt. Ich stand auf, schlurfte ins Badezimmer und betrachtete mich im Spiegel. Meine langen schwarzen Haare fielen gewellt über meine Schultern bis unter meine Brust. Meine grünen Augen hatte ich, wie immer, mit einem schwarzen Lidstrich betont. Meine Olive-braune Haut sah fad aus. Die letzten Tage hatten auf jeden Fall ihre Spuren in meinem Gesicht hinterlassen. Ich beschloss, noch einmal schnell duschen zu gehen. Ohne Haare versteht sich, die saßen nämlich ausnahmsweise mal ganz gut. In der Dusche überlegte ich mir, wo ich gleich hingehen würde. Die Dachterrasse. Ist nicht zu weit weg, ich kann also schnell wieder hier sein, wenn ich keine Lust mehr habe, dachte ich mir. Ich stieg aus der Dusche, ging an meinen Koffer und kramte ein bisschen herum. Ich hatte mir nichts wahnsinnig schickes eingepackt. Das einzige, was vielleicht als „schick" durchgehen konnte, war das kurze, schwarze Kleid mit Spaghettiträgern. Ach, was soll's. Ich zog mir frische Unterwäsche und das Kleid an und stellte mich noch einmal vor den Spiegel. Um ein wenig frischer auszusehen, trug ich Make-Up und einen roten Lippenstift auf. Ich richtete noch kurz meine Haare, nahm meine Handtasche und schloss die Zimmertür hinter mir.

Zu Dir (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt