15. Grace' Tagebuch Teil 1

647 37 2
                                    

95/07/01

Liebes Tagebuch,

die Tage werden trüber. Ich spüre die Veränderung in der Luft, ich spüre, wie die Natur mit mir trauert. Alles wirkt so trocken und leblos. Ich höre die Vögel nicht mehr singen, ich sehe keine Bienen und Schmetterlinge mehr. Es ist beinahe, als würde ein Sturm aufziehen, ein großes Unheil.

Ich weiß nicht wirklich, an wen ich mich wenden soll. Ich komme mir allein in dem großen Haus vor und drohe in den Wänden zu verschwinden. Ich bin schon jeden Tag aufs Neue versucht, einfach zu fliehen, einfach zu gehen, allein, ohne Aufsicht. Es waren die erfreulichsten Gedanken, die ich derzeit hatte. Die, in denen ich vor Anna fliehe, aus dem Haus hinaus und frei bin. Ich vermisse es. Ich vermisse, wie es einst gewesen ist. Reed wäre nur sehr böse mit mir, wenn ich etwas in dieser Art wagen würde. Alec wäre sicherlich auch nur auf seiner Seite und ich will in diesen so furchtbar traurigen Tagen nicht noch mehr Tumult machen und Reißaus nehmen. Jeder hat genug Sorgen, da muss ich nicht auch noch für Ärger sorgen. So bleibe ich im Haus und hoffe sehr, dass ich nicht bald auch verschwinde.

Ich habe heute wieder den ganzen Tag nur geweint und konnte erst damit aufhören, als die Pflanzen mein Zimmer schon mit mir halb verschlungen haben. Ich habe das Gefühl, nur noch traurig zu sein, nur noch weinen zu können. Oh, mein Herz ist so schwer, ich glaube mein Kummer wird mich noch ins Grab befördern. Ich kann einfach nicht aufhören an die anderen zu denken, dass sie alle wirklich tot sein sollen. So viele Tote. Mir kommt es immer noch so vor, als ob wir alle erst gestern durch die Tore unserer Schule gelaufen wären, zusammen lachten und lernten und trainierten und nun sollen sie alle fort sein. Ich vermisse sie so sehr und es gibt niemanden mehr, mit dem ich darüber reden kann. Ich denke langsam wirklich, das Ende der Welt steht bevor. Ich hoffe nur, dass wenn wir alle mit den Göttern wieder vereint werden, dass mein geliebter Reed bei mir sein kann. Ich fürchte mich ein wenig davor, dass die Götter ihn nicht akzeptieren. Ich erahne, dass er für schlimme, schlimme Dinge verantwortlich ist, auch wenn er nicht mit mir über seine Tätigkeiten redet.

Ich habe heute von Hayden geträumt. Es war so skurril. So lange habe ich nicht mehr von ihm träumen müssen, doch in diesen oh so schweren Tagen vermisse ich ihn ganz fürchterlich. Er war wohl die letzte Person, die mir von damals geblieben ist. Er muss sicherlich großen Kummer haben, er muss ganz allein sein. Ich muss ihm schreiben. Ich muss ihn sehen, ich glaube sonst vor Einsamkeit wirklich noch umzukommen und er kann auch eine Freundin brauchen. Wir könnten uns sicher gegenseitig Kraft geben und helfen, wenn er mich denn noch sehen will.

Gerade eben geht die Sonne unter, die Nacht bricht herein und ich hoffe, dass Reed bald wieder da sein wird. Er weiß, dass die Dunkelheit mir nicht behagt, dass ich zu große Angst habe vor den Dingen, die ich nachts sehe. Manchmal fühlt es sich immer noch so an, als ob die Grenzen der Welten einfach verschwinden würden. Manchmal, wenn alles ganz ruhig ist, dann denke ich immer noch ein leises Wispern zu hören. Ich kann es gerade m Moment wieder hören. Die Angst lässt mich unruhig werden. Sicher wird Anna gleich kommen, um mir wieder einen Trank zu geben. Alles ist einfach nur so fürchterlich, aber ich versuche heute Nacht nicht zu weinen. Heute Nacht versuche ich einmal endlich stärker zu sein.

Wörter: 597


Aloha :) Ein Mini-Kapitel und mal eine neue Tagebuchsicht. Ich hoffe es war halbwegs interessant, auch wenn es nur ein Zusatzkapitel ist. Ich versuche dafür in den nächsten Tagen ein neues Kapitel wieder zu veröffentlichen xx

Avenoir| Band 2 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt