40. Reeds Sicht Teil 2

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"The world was collapsing, and the only thing that really mattered to me was that she was alive." — Rick Riordan

Reed

Ich hatte alles getan. Ich hatte alles gegeben. So lange hatte ich verflucht nochmal versucht, sie zu beschützen und nun war alles dahin.

Wut wäre eine Unterreibung für das, was ich im Moment empfand. Er hatte ihre Seele. Dieser verfluchte Albtraum von Rowan hatte ihre Seele. Das zu wissen, ließ mich beinahe brechen. Mir wurde schlecht. Die Angst und Hilflosigkeit machten mich krank. Zu wissen, dass er mit ihr machen könnte, was er will, dass sie ihm gehört, war so widerlich, dass ich nur noch handeln wollte. Ich musste handeln. Alles andere wäre zu riskant. Ab jetzt würde kein Weg mehr daran vorbeführen.

Ich wollte ihn töten. Ich wollte ihn in Einzelteile zerreißen und in die verdammte Unterwelt zurückbefördern, wo er herkam und verrecken sollte. Leider fehlte mir die Macht dazu. Rowan konnte man nicht töten. Zumindest nicht so, als ob er ein gewöhnlicher Mensch wäre und erst recht nicht, wenn er Alice Seele in seinem Besitz hatte. Er könnte sie dadurch nur mit sich in die Finsternis reißen und das würde ich niemals zulassen.

Ich musste mir eingestehen, dass ich die Kontrolle verloren hatte. Ich hatte die Kontrolle zu allem verloren. Naiv hatte ich gedacht, ich würde alles schaffen, Alice beschützen können, die Wahrheit verbergen, alle Gefahren beseitigen und der Held sein, der ich nie zuvor gewesen bin. Nun würde ich was anderes werden müssen, wenn ich sie beschützen wollte. Ich müsste mehr zu dem werden, was ich einst gewesen bin, auch wenn ich mir, nachdem Grace gestorben war, geschworen hatte, nie wieder so zu werden. Niemals hatte ich mich wieder so sehr an die Dunkelheit verlieren wollen, aber was blieb mir anderes übrig? Zu viele finstere Mächte waren hier am Werk, würde ich nicht anders an die Sache herangehen, würde das nicht gut enden. Würde ich nur diese andere Seite wählen, diese anderen Wege bestreiten, würde es vieles ruinieren. Alice verabscheute mich jetzt schon genügend und ich wusste nicht, wie ich es richten sollte. Meine nächsten Schritte würden sie nur noch mehr gegen mich aufbringen, aber ich würde es riskieren. Ich würde alles riskieren, solange sie lebt, gesund war, sicher war. Soll sie mich hassen und verfluchen und verabscheuen, solange sie am Ende lebt, wäre es das wert gewesen.

Zurück in meinem Reich kam Palina mir entgegen. Sorge war auf ihrem Gesicht geschrieben.

„Wo warst du? Was ist passiert?"

„Was hast du gesehen?", fragte ich sie, ohne ihr zu antworten. Palina sah den Tod. Ich musste wissen, was sich nach dem heutigen Tag verändert hatte. Irgendwas würde sich garantiert verändert haben.

„Alice... ihr Leben... irgendwas hat sich verändert. Alles wirkt dunkler und chaotischer, als ob sie nun auf einem schmalen Pfad in die Finsternis wandern würde."

Dachte ich es mir. „Sie hat ihre Seele verloren."
„Sie hat was?"

„Rowan. Er besitzt sie. Das heißt, er hat jetzt die Kontrolle über sie", sagte ich verächtlich und Palina folgte mir, als ich weiter zu meinem Zimmer lief.

„Und jetzt?"
„Er ist geflohen. Ich weiß nicht, was seine Pläne sind. Solange sie im Quartier ist, kann er sie nicht aufsuchen und sie ist sicher. Würde er sie aufsuchen und ihr sagen, sie muss ihm folgen und bei ihm bleiben, hätte sie keine andere Wahl als ihm zu gehorchen, egal was er auch verlangt."
„Also ist sie vorerst sicher?"
„Ich hoffe es. Verlassen kann ich mich nur nicht darauf. In diesem verdammten Quartier kann man offenbar niemandem mehr trauen."

„Wieso bist du auch allein losgezogen? Deine Kleidung ist voller Blut. Was genau ist passiert?", fragte Palin wütend und ich verdrehte die Augen.

„All meine Leute waren zu weit weg. Ich kann nicht warten, wenn es um sie geht. Ich wusste, es würde eine Falle geben, ich habe wohl das Ausmaß dieser unterschätzt. Unterschätzt, wer dahintersteckt."
„Und wie konntest du entkommen?"
„Hades. Er war der einzige, den ich kontaktieren konnte, der halbwegs schnell da sein würde, auch wenn er sich verflucht viel Zeit gelassen hat", murrte ich. Wäre er schneller gewesen, wäre es nicht so weit gekommen.

Avenoir| Band 2 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt