32. Normales Paar

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"Feel the weight of your hand in mine. What's left if we're only stealing time." - Madi Diaz

Die ganzen nächsten paar Tage verliefen gewöhnlich. Ich hatte Schule, ignorierte dort jeden so gut es ging, verbrachte Zeit mit Hayden und lernte daheim. Es war unspektakulär, doch ich war dankbar darüber, brauchte etwas Abstand von Dramen oder anderen nervenaufreibenden Situationen. Ich musste lernen, essen und schlafen, mit Elin telefonieren und Serien anschauen, alles andere war fürs erste nicht so wichtig, auch wenn ich zu oft an Reed dachte. Ich vermisste ihn, wusste kaum weiter, wie das mit uns zwei auf Dauer gutgehen sollte. Ich wusste, dass ich ihm nicht widerstehen konnte. Diese Bindung war zu stark, sie war viel zu stark und ich brauchte ihn, so wie er mich brauchte. Wir brauchten uns gegenseitig und alles hätte so einfach sein können, würden wir nicht auf zwei unterschiedlichen Seiten stehen. Seine Worte bei unserer letzten Begegnung hatten mir nur sehr zum Überlegen gegeben. Wieso musste diese Differenz denn zwischen uns stehen? Ich wollte ihm wohl einfach so dringend glauben und vertrauen dürfen. Ich wollte glauben dürfen, dass er alles für ein größeres Wohl tat, aber wenn er dann wiederum Dinge sagte, wie dass ich Angst vor ihm haben würde, wurde ich unsicher. Wieso sollte ich Angst kriegen? Was würde er tun, dass ich ihn tatsächlich fürchten könnte?

Heute war Freitag und ich hatte die Schule auch mal wieder durchstehen können, hatte gelernt und gab meine Prüfungen doch nicht völlig auf, denn vielleicht würde ich das alles ja doch irgendwie packen. Ich kam mit dem Lernen allmählich voran und fing sogar an, die Dinge zu verstehen, die ich mir da in meinen Schulbüchern durchlas.

Nicht wirklich hungrig saß ich nun jedoch beim Abendessen wie gewöhnlich neben Dari, stocherte eher im Essen herum, als es wirklich essen. Ich hatte mich vorhin so sehr mit Schokolade vollgestopft, während des Lernens dass ich gar keinen Hunger mehr hatte, was ungewöhnlich für mich war, da ich eigentlich immer essen konnte, nur vielleicht hatte ich es wohl doch ein Stück zu sehr übertrieben mit den Süßigkeiten.

„Wenn du dein Fleisch nicht isst, kriege ich es dann?", fragte Dari mich, der seinen Teller schon leer gegessen hatte und lächelnd tauschte ich unsere Teller aus, gab ihm eine neue Portion somit.

„Man muss aber schon sagen, ich hatte zu Beginn ja wirklich gedacht, dass die Neuen sich schwertun würden", merkte Lilien laut an, so dass auch jeder im Raum sie hören konnte, und ich sah interessiert auf. „Ich hatte gedacht, dass es verwirrend sein müsste hier zurecht zu kommen, aber sie haben sich alle sehr gut integriert."

„Also waren alle Sorgen unberechtigt gewesen, dass jeder der Neuen ein Terrorist ist, welch ein Wunder aber auch", merkte Riley vergnügt an und ich kapierte, dass es um die Wächter ging, die neuen Wächter, die im Dezember ins Quartiert gekommen waren aus Chicago.

„Man kann nie vorsichtig genug sein", merkte Lilien schnippisch an. „Sie hätten auch sonst was für Leute sein können, aber der junge Sam scheint ja mal endlich einer aus der Zeitlinie zu sein, der kein kompletter Versager oder Verrückter ist."

„Hey", mischte ich mich da ein, wollte nicht, dass sie so über Hayden herzieht, konnte Reed leider nicht verteidigen, immerhin lag sie damit nicht so falsch, doch Hayden war gewiss kein Verrückter oder ein Versager. „Hayden ist großartig!"

„Er ist ein Wentworth", schnaubte Cameron abfällig, würde diese Familie niemals mögen, ihnen niemals verzeihen.

„Na und?", fragte ich angriffslustig, würde nicht stillschweigen und zuhören, wie er jemanden niedermacht, der mir wichtig war.

„Genug davon!", sagte mein Vater, bevor Cameron mir antworten konnte und schnaubend legte ich mein Besteck zur Seite.

„Wie dem auch sei, gerade wird ja darüber diskutiert, neue Leute in die engeren Kreise aufzunehmen", sagte Lilien, lenkte etwas vom Thema ab. Offenbar wollte sie nach dem letzten großen Streit hier am Tisch nicht erneut Streitigkeiten heraufbeschwören. „Arnold soll sich endlich seinen Wächterpflichten bewusst geworden sein und will mehr über alles Bescheid wissen."

Avenoir| Band 2 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt