33. Alte Freunde

927 44 14
                                    

"I'm tired, can't think of anything and want only to lay my face in your lap, feel your hand on my head and remain like that through all eternity." — Franz Kafka

Ich war vielleicht naiv, vielleicht war ich einfach so verzweifelt auf der Suche nach etwas Frieden, dass ich das tat, denn ich war mit Reed mit zu seinem Stützpunkt mitgegangen und dieser schien selbst vielleicht etwas naiv geworden zu sein. Ohne verbundene Augen, ohne, dass ich den Weg nicht sehen durfte, ließ er mich in sein Versteck, vertraute mir, wollte mir so sehr vertrauen und wagte es, mich ohne Sicherheitsvorkehrungen zu sich zu lassen.

Im Grunde war es wirklich irgendeine Lagerhalle in einem Industriegebiet nicht weit vom Quartier entfernt. Sie stand sogar gar nicht so weit weg von dem Ort, wo ich ihn damals aufgesucht hatte bei einer seiner illegalen kleinen Kämpfe. Ich wusste nicht so recht, ob ich den Weg von allein überhaupt finden würde, diese Stadt war einfach zu groß, zu kompliziert aufgebaut für mich. Es war mir eigentlich gleich, wo die Halle so genau lag, ich war nicht dabei, ihn zu verraten, würde es nicht übers Herz bringen, hoffte so sehr, es niemals zu müssen.

„Also, das ist dein Reich?", fragte ich, als ich sein Zimmer an diesem Ort betrat, das unscheinbar wirkte. Ich bezweifelte, dass er viel Zeit hier verbrachte. Es gab lediglich ein großes Bett, einen alten Metallschrank, der sicher schon vorher hier gewesen ist, und ansonsten nur ein Tisch und drei Stühle. Es war unscheinbar, doch es diente wohl wirklich nur zum Schlafen. Das einzige Licht, das er tagsüber kriegen könnte, kam nur durch ein winziges Fenster ganz oben an der Wand. Sicher war es hier immer sehr düster.

„Ich bin kaum hier", sagte er schulterzuckend, bestätigte meine Vermutung somit.

„Wieso ausgerechnet diese Halle?", fragte ich, zog meinen Mantel aus und warf ihn auf einer der Stühle, während er sich selbst auch seinen auszog, gefolgt von seinen Schuhen, die ich mir nun auch abstreifte.

„Sie war leer, ist nahe am Quartier, also ideal", meinte er, schlang von hinten seine Arme um mich und drückte einen Kuss auf meinen Hals.

„Findest du das alles nicht furchtbar?", fragte ich, lehnte mich dabei an ihn, genoss diese Zuneigung, genoss es so bei ihm sein zu dürfen.

„Was genau?"

„So zu leben? Auf der Flucht, von allen verachtet?"

„Ich weiß, was mein Ziel ist und das ist all das Elend wert", murmelte er, küsste weiter meinen Hals, schien nicht sehr erpicht darauf zu sein, mir wirklich zu antworten. Ich verstand ihn einfach nicht, den Sinn hinter alledem, würde es jedoch so gerne. Ich wollte hoffen und glauben dürfen, dass seine Beweggründe wirklich nachvollziehbar waren, dass er all das für das Wohle der Welt tat, doch wie sollte ich, wenn er mir nie richtig antworten würde? Ich musste die Antworten allein herausfinden, ohne seine Hilfe. Das wäre nur eine weitere Hürde und von denen hatte ich noch so viele vor mir.

Erstens müsste ich herausfinden, was es mit mir und Grace auf sich hat.

Zweitens müsste ich verstehen, was Reed von dem alten Tempel möchte und inwiefern er wichtig war.

Drittens müsste ich verstehen, was meine Tante und Cameron vorhatten und vor allem, was auch die Reiter vorhatten, was Rowan vorhatte.

Viertens würde ich gerne wissen, welche Seite die wahren Guten sind.

Fünftens, was war mit Kellin und Malia?

Und Sechstens war wohl, was genau hatte es mit Reed überhaupt auf sich?

So viele Hürden und ich konnte bisher nicht eine einzige auch nur annähernd überwinden.

„Nicht so viel denken, Alice, du willst nicht Teil des Krieges sein, also zerbrich dir nicht zu sehr den Kopf darüber", murmelte Reed, hatte vielleicht ja irgendwie recht, doch einfach alles zu ignorieren lag nicht in meiner Natur. Ich war neugierig, ich wollte Antworten und ich würde sie kriegen, egal wie lange ich dafür auch suchen müsste!

Avenoir| Band 2 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt