24. Mentor

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"Understanding is the first step to acceptance and only with acceptance can there be recovery." — J. K. Rowling

Es war Wochenende und ich war mehr als nur froh darüber, endlich eine kleine Pause von der Schule zu haben. In den letzten Tagen war es der Hölle gleich gewesen dort zu erscheinen, mit dem ganzen Drama, das wegen Daisy herrschte. Die Stimmung war schlimmer als auf einer Beerdigung. Ich mied jeden, der mich mit Fragen belästigen könnte, und war heilfroh, dass Hayden wenigstens noch weiter erschien. Ich hatte ja eigentlich befürchtet, er würde es nach seinem Testversuch gleich wieder sein lassen, doch er zog es durch, auch wenn seine Laune kaum mehr Ähnlichkeiten zu seinem eigentlichen Ich hatten.

Ich sah Reed nicht. Ich hatte ehrlich gedacht, er würde mich nun jeden Tag, immerzu aufsuchen, kaum war der Bann fort, aber das tat er skurriler Weise nicht. Ich bildete mir zwar oft genug ein, seine Anwesenheit zu spüren, aber ich sah ihn nie irgendwo und vielleicht wurde ich auch nur langsam wahnsinnig bei allem, was los war. Außer Hayden und Sam wusste keiner, dass der Bann fort war und ich wusste, ich sollte es jemanden sagen, jemand aus dem Quartier oder meiner Familie, aber dann müsste ich natürlich auch erzählen, wie es dazu gekommen war und ich wollte keinen Ärger kriegen. Ich sorgte sowieso nur immer für Ärger.

Bisher war es ja gar nicht so schlimm, dass der Bann fort war. Reed ließ mich immer noch in Ruhe, auch wenn mein Herz und meine Seele und vermutlich einfach jeder Teil meines Körpers sich wünschte, dass er mich nicht in Ruhe lässt, sondern endlich kommt, um bei mir zu sein. Er kam nur nicht, er war genauso verschwunden wie Kellin, doch kaum dachte ich an Kellin, dachte ich an Malia und dass sie lebte, in Gefangenschaft bei ihm war und dann drohte mein Kopf nur wieder zu platzen von all den Fragen und Sorgen und Tatsachen, mit denen ich kontinuierlich konfrontiert wurde.

Ich hatte versucht während der Schultage nicht zu sehr an Janes Worte oder an Reed oder irgendeiner dieser vielen Angelegenheiten, in die ich mich zu sehr eingemischt hatte, zu denken, was mir besser gelungen war als angenommen, dafür stürzten die vielen Fragen und Sorgen nur wieder über mich herein, kaum betrat ich in Anwesenheit meiner drei Brüder das Quartier. Während Dari Unterricht haben würde, wurde ich von Mr Norbert einberufen zur Besprechung meiner Mentorenauswahl. Das war eine Angelegenheit, die ich recht gut aus meinen Gedanken gestrichen hatte und die mich nun dezent überforderte. Ich hatte mir kaum überlegt, wen ich als Mentor wollte, hatte niemanden bisher darauf angesprochen und eigentlich hatte ich im Moment nicht gerade viel Zeit für solche Dinge.

Etwas unwohl Mr Norbert das nun mitteilen zu müssen, betrat ich dessen Büro, wo ich verwundert war, dass dieser nicht allein war, sondern wohl jeder potentielle Mentor mit ihm anwesend war.

Leicht perplex sah ich zu den vielen Leuten, schloss zögernd die Türe hinter mir und schluckte den Klos in meinem Hals wieder herunter; das würde unerfreulich verlaufen.

„Ah, Alice", begrüßte M. Norbert mich mit seiner gewohnten freudigen Ader und ich zwang mich zu lächeln, sah zu den anderen. Da war Caroline, die Bibliothekarin, die mich recht ausdruckslos ansah, doch sie war mir gegenüber etwas distanziert dank meines großen Interesses an Hades. Ich sah Anna, die die jüngeren Schüler eigentlich unterrichtet und im Moment wohl auch bei diesen sein sollte, immerhin hatte Dari ja Training, doch schien so, als hätte sie sich die Zeit genommen. Sie hatte eine schöne dunkle Haut, die fast schon schwarz wirkte; ihre Haare waren gelockt, und nett lächelte sie mich an, was mich unheimlich beruhigte. Ich sah weiter zu Olivia, der Gärtnerin, die wie Anna am Lächeln war, ehe mein Blick bei dem grimmigen Mr Spencer hängen blieb, der mich auch jetzt mal wieder mürrisch ansah und meine Laune vermieste. Neben diesem war noch Jamal, der Anführer der Wachen, anwesend, der auch nicht gerade freundlich mir gegenüber gestimmt war und ich hätte fast geschnaubt bei dem Anblick der beiden Männer nebeneinander, doch das passte ja. Sicher waren sie dicke Freunde.

Avenoir| Band 2 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt