21. Jane

991 44 8
                                    

"I am too young and I've loved you too much." — Fyodor Dostoyevsky

Ich hatte mich nicht mehr betrunken, seit der Party, auf der Scott Harvey mich beinahe vergewaltigt hätte. Ich war eben niemand, der jedes Wochenende feiern ging oder sich betrank, doch wenn ich es mal tat, dann meistens richtig, so dass ich jetzt schon wusste, dass ich morgen vermutlich den Kater meines Lebens haben würde und mich anschließend selbst verfluche, das hier getan zu haben.

Hayden und ich bemühten uns leise zu sein, während wir uns den restlichen Jägermeister teilten, über alles und nichts in gewisser Weise sprachen.

Daisy, Reed oder irgendwas anderes wirklich Wichtiges wurde totgeschwiegen. Wir redeten über völlig banale Dinge, philosophierten über Religionen, Gesetze und irgendwelche Filme; kicherten wie kleine Kinder wegen den dümmsten Dingen und mussten uns gegenseitig mahnen, still zu bleiben. Würden meine Brüder alarmiert kommen, dann würde es Ärger geben und von dem hatte ich in letzter Zeit wahrlich genug gehabt.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es mir von dem Zeug so gut geht, ich fühle mich kein Stück mehr krank", sagte ich, lag neben ihm auf meinem Bett und sah glücklich und zufrieden die Zimmerdecke über mir an. Ich fühlte mich müde aber gleichzeitig auch seltsam hellwach und aufgedreht. Ich kam mir wie ein Kleinkind vor, das zu viele Süßigkeiten hatte und nun nicht mehr schlafen konnte.

„Natürlich, in Jägermeister sind so viele Kräuter, das kann einen nur gesund machen", meinte er, setzte sich auf, um erneut einen Schluck zu nehmen, die Flasche somit endgültig zu leeren. Es war vermutlich besser so, bevor einer am Ende das Kotzen anfangen würde, worauf ich sicher nicht scharf war, denn übergab er sich, übergebe ich mich und das wollte ich nicht.

„Ich weiß nicht, ob das wirklich so funktioniert, aber egal", sagte ich und er ließ sich mit dem Rücken wieder zurückfallen.

„Es gibt kein Problem, das Alkohol nicht lösen könnte. Sieh mich an, ich bin ein gebrochener Mann und doch bin ich voller Lebensfreude."

„Klingt als wärst du dabei, Alkoholiker zu werden", merkte ich kritisch an, drehte mich zur Seite, wo er nur die Augen verdrehte. „Oh bitte. Ich bin so alt, ich habe Suchtprobleme im Leben gehabt, die würden dich verstören; mit der richtigen Zeit komme ich von allem weg."

„Du Glücklicher, trotzdem will ich dich nicht die nächsten Jahre nur an der Flasche hängen sehen, weil du meinst, dir dein Leben für einige Jahre zu versauen", tadelte ich ihn und grinsend drehte er sich auch zur Seite, wo er mich einen Moment musterte, ehe sein Lächeln verschwand, es so war, als würde seine Maske fallen. Ich sah plötzlich, wie viel Kraft es ihn kostete, weiterhin so fröhlich und so gut gelaunt zu wirken, so stark zu sein, denn seine Augen füllten sich mit Tränen und er wirkte kaputt.

„Ich hätte es sein sollen", sagte er und ich wusste genau, wovon er sprach. „Ich hätte sterben sollen und nicht sie."

„Hayden", sagte ich sanft, hatte geahnt, dass Daisy noch ein Gesprächsthema heute werden könnte, auch wenn ich gleichzeitig so sehr gehofft hatte, dass sie es nicht würde. Es war eben eigenartig um jemanden zu trauern, der gar nicht tot war. Sie war nur fort, für immer und ewig und keiner konnte wissen, ob es ihr dort, wo sie war, auch gut ging.

„Sie ist so jung, ich habe so lange gelebt, sie hätte leben dürfen und nun... nun ist sie...", sagte er und drückte sich seine Hand auf die Augen, während Tränen über sein Gesicht flossen, ich gar nicht wusste, was ich sagen oder tun könnte, um ihn zu trösten. Meine Worte würden nichts ändern, nichts verbessern.

„Es war ihre Entscheidung", sagte ich, ergriff seine freie Hand und drückte sie sanft, leistete ihm Beistand.

„Ich kann nicht noch mehr verlieren, ich...", sagte er, brach jedoch ab und ich setzte mich aufrecht hin, zog ihn mit mir etwas auf, damit ich ihn in die Arme schließen konnte, ihn richtig halten konnte, und ohne zu zögern schlang er die Arme um mich, hielt mich fest, weinte sich aus. Mir selbst kamen die Tränen bei dem Gedanken an Daisy, wo sie gerade war, wie es ihr ging und es machte mich gleichzeitig auch fertig Hayden so zu sehen. Den Sonnenschein so traurig und fertig zu sehen. Er hatte das nicht verdient, er hatte diesen Schmerz und dieses gebrochene Gefühl nicht verdient.

Avenoir| Band 2 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt